Freitag, 29. März 2024

Archiv

Bill Clinton und James Patterson: "The President Is Missing"
Ein traumhafter US-Präsident

Für seinen neuen Thriller hat sich Krimivielschreiber James Patterson mit dem ehemalige US-Präsident Bill Clinton zusammengetan. Im Mittelpunkt des Buchs: Ein US-Präsident, der eindeutig der Gegenentwurf zu Donald Trump ist. Das wirkt ziemlich plakativ - ein Ziel haben die Autoren trotzdem erreicht.

Von Kirsten Reimers | 12.07.2018
    Bill Clinton und das von ihm mitgeschriebene Buch "The President Is Missing"
    Bill Clinton und das von ihm mitgeschriebene Buch "The President Is Missing" (Droemer Verlag / imago / Zuma Press)
    Bill Clinton, der ehemalige US-Präsident, hat gemeinsam mit James Patterson, einem der meistverkauften Krimiautoren der Welt, einen Thriller geschrieben: "The President Is Missing" heißt die deutschsprachige Ausgabe genauso wie das Original; weltweit ist der Thriller gleichzeitig am 4. Juni erschienen. Vorab gab es viel Geheimniskrämerei, nichts durfte vor der Veröffentlichung nach außen dringen. Das ist verständlich, denn es geht - vermutlich - um sehr viel Geld. Patterson gehört zu den weltweit bestbezahlten Krimiautoren, 2009 soll er einen Vertrag über 17 Bücher und 150 Millionen US-Dollar abgeschlossen haben; Bill Clinton hat für seine Biographie einen Vorschuss von 10 Millionen Dollar erhalten. Wie viel für den gemeinsamen Thriller geflossen ist, ist unbekannt, aber vermutlich war es eine hohe Summe. Hat sich der Aufwand gelohnt?
    Der US-Präsident als Ehrenmann
    Die USA sind in Aufruhr! Ist ihr Präsident tatsächlich einen Deal eingegangen mit Suliman Cindoruk, dem weltweit gefährlichsten Cyberterroristen? Hat der Präsident gar einen Anschlag auf diesen Mann verhindert? Ein Sonderausschuss soll dies klären, ein Amtsenthebungsverfahren droht. Doch bevor es soweit ist, schleicht sich der mächtigste Mann der Welt klammheimlich aus dem Weißen Haus. Die Presse schäumt, die politischen Gegner fallen über den Mann her, und auch in den eigenen Reihen werden die Messer gewetzt: "The President Is Missing."
    Allerdings nicht für uns Leser. Wir wissen stets, wo sich der Präsident aufhält und warum er was tut, denn den größten Teil der Geschichte erleben wir aus seiner Perspektive, quasi über die Schulter hinweg berichtet er uns, was gerade geschieht. Deshalb können wir uns jede Sekunde gewiss sein: US-Präsident Jonathan Duncan ist ein Ehrenmann. Ein Verfechter von Recht und Verfassung, einer, der geradeheraus ist, einer, der keine Ränke schmiedet. Kurz: durch und durch ein ehrlicher Kerl.
    Nichts weniger als die Apokalypse
    Was der Öffentlichkeit verborgen bleibt: Die Ursache für all dies ist ein heimtückischer Anschlag, der den USA droht. Durch ein Virus sollen sämtliche privaten wie öffentlichen Computer in den Vereinigten Staaten zerstört werden, die mit dem Internet verbunden sind. Die Versorgung mit Strom und sauberem Wasser bräche zusammen, von den Finanzmärkten ganz zu schweigen - die USA würden innerhalb von Sekunden zurück ins Mittelalter katapultiert werden. Darum trägt das Schreckensszenario auch den passenden Decknamen "Dark Ages". Nur wenige Tage bleiben dem Präsidenten, um dies alles aufzuhalten. Zum Glück ist Jon Duncan nicht nur geschickt auf dem internationalen diplomatischen Parkett, sondern auch geübt im Umgang mit Waffen:
    "Ich ziele auf die Brust und gebe zwei Schüsse ab. Er stolpert und fällt nach vorn. Die anderen beiden, die ich nicht sehen kann, ziehen sich ins Dunkel zurück. Wo sind sie? Wie viele Kugeln habe ich noch? Ich drehe mich nach links, als das Dach des Streifenwagens mit wiederholtem, dumpfen Knall zwei Schüsse abbekommt - fump-fump -, und bedecke Augie mit meinem ganzen Körper. Ich fahre mit dem Kopf blitzschnell herum und suche die Dunkelheit ab, während im Bürgersteig weitere Schüsse einschlagen. Augie versucht aufzustehen. "Wir müssen hier weg, wir müssen weg." - "Bleiben Sie unten!", brülle ich und drücke ihn flach auf den Boden. "Wenn wir wegrennen, sind wir tot."
    Ein ganzer Kerl dank Verfassungstreue
    Präsident Duncan: ein Hitzkopf, der entschlossen zupacken kann, der aber auch besonnen handelt, wenn es darauf ankommt. Einer, der sich mit Leib und Seele für sein Land und dessen Bürger einsetzt. Ein Traum von einem Präsidenten. Man kann sich gut vorstellen, dass Duncan der Präsident ist, der Bill Clinton gern gewesen wäre. Es gibt durchaus Parallelen zwischen beiden: Jonathan Lincoln Duncan ist Demokrat genau wie William Jefferson Clinton; beide haben ihre Frau während des Jurastudiums kennengelernt, beide haben eine Tochter. Da aber enden die Gemeinsamkeiten: Duncan ist ein Kriegsheld, seine Frau vor kurzem an Krebs gestorben, und er hat keinen Sex mit Mitarbeiterinnen. Allerdings hat in diesem Roman sowieso niemand Sex. Zudem leidet Duncan an Immunthrombozytopenie, einer chronischen Bluterkrankung, die bei Stress zum Tod führen kann. Und Stress hat dieser Präsident wirklich genug. Doch ganzer Kerl, der er ist, stellt er das eigene Leben hintan, solange die USA in Gefahr sind.
    So ist das Buch zu großen Teilen eine Aneinanderreihung von rasanter Action mit viel Lärm, Verfolgungsjagden und Explosionen. Neben einer hochprofessionellen Auftragskillerin mit großer Leidenschaft für die Musik von Johann Sebastian Bach gibt es auch noch einen Verräter in den eigenen Reihen, der rechtzeitig entlarvt werden muss. Zwischen der ganzen Hektik jedoch finden sich Reflexionen über Amt und Verantwortlichkeit und Ausflüge in die Geschichte des Weißen Hauses. Am Ende wird es dann richtig staatstragend. Nach überstandener Krise hält Präsident Duncan eine Rede vor dem Kongress, in der er an Vernunft und Gemeinschaftssinn aller appelliert:
    "Die gegenwärtige Abwärtsspirale hin zu kleinlichen Fehden, voreiliger Polarisierung und wutschäumender Feindseligkeit kann unsere Demokratie auf Dauer nicht überleben. Heute herrscht in Amerika ein Geist des wir gegen die. Das müssen wir ändern. Wir haben ernst zu nehmende Meinungsverschiedenheiten. Wir brauchen leidenschaftliche Debatten. Gesunde Skepsis hat noch nie geschadet. Sie bewahrt uns ebenso vor Blauäugigkeit wie vor Zynismus. Wenn jedoch das Vertrauen zwischen den Lagern völlig versiegt, verödet die Demokratie." Außerdem erläutert Duncan noch das Parteiprogramm der Demokraten.
    Zwischen Verfolgungsjagden und Staatsrechtsvorlesung
    Laut Verlagswerbung enthält dieser Thriller Details, die nur ein Präsident wissen kann - aber vermutlich muss man auch Präsident sein, um diese Details zu erkennen, dem normalen Leser erschließen sie sich nicht. Wie es überhaupt wenig Überraschendes oder gar Neues gibt. James Patterson ist so gut im Geschäft, dass er seit Jahren nur noch Ideen entwickelt, die eigentliche Schreibarbeit übernehmen andere - ein bisschen wie in den Werkstätten der Renaissancemaler. Diesmal jedoch musste Patterson wieder selbst ran - und das nicht unbedingt zum Besten des Buches: Holzschnittartige Figuren, flache Klischees, Kürzestkapitel in atemlosem, fast hysterischem Präsens, Cliffhanger auf Cliffhanger sowie erwartbare Wendungen bestimmen das Bild. Dazwischen die etwas trockenen Ausführungen zu Staatsrecht und Verfassung. Das wirkt alles ein wenig zusammengestoppelt.
    Auch die Stoßrichtung des Buches ist klar: Vermisst wird nicht der fiktive Präsident Duncan, denn den haben wir Leser die ganze Zeit vor Augen. Was fehlt, ist ein Präsident wie Duncan in der Realität. Clinton und Patterson verweisen mit Nachdruck, mit Krawumms und Moral auf die Leerstelle in Washington: ein Präsident, der seinen Namen verdient. Das ist ziemlich plakativ. Subtilität oder gar Subversivität ist Pattersons Sache nicht. Allerdings werden aber dieses Buch voraussichtlich nur Menschen lesen, die die politische Meinung der Autoren teilen. Dass Anhänger Trumps den Thriller in die Hand nehmen und sich womöglich bekehren lassen, ist eher unwahrscheinlich. So bleibt diese Buch eigentlich nur eines: ein Marketing-Coup, ein auf dem Reißbrett geplanter Bestseller. Und sieht man sich die Bestsellerlisten jenseits und diesseits des Atlantiks an, so scheint zumindest diese Strategie aufzugehen.
    Bill Clinton und James Patterson: "The President Is Missing"
    übersetzt von Anke und Eberhard Kreutzer
    Droemer Verlag, München, 475 Seiten, 24,99 Euro
    Das Hörbuch wird gelesen von Uve Teschner
    argon hörbuch, Berlin, Gesamtlaufzeit 14 Stunden, 24,95 Euro