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Billy Idol
"Drogen können ein Riesenspaß sein"

"Wenn man eine Autobiografie schreibt, erkennt man plötzlich all die Fallen und Tücken des Lebens", sagte Punkrocker Billy Idol im DLF. Er habe einen Riesenspaß mit Drogen gehabt. Letztlich sorgten sie aber dafür, dass man durchdrehe oder sterbe. "Ich werde immer ein Drogenabhängiger, aber auch ein Alkoholiker und ein Sexsüchtiger sein."

Billy Idol im Gespräch mit Marcel Anders | 18.10.2014
    Der britische Rockmusiker Billy Idol singt in Hamburg bei einem Konzert.
    Der britische Rockmusiker Billy Idol singt in Hamburg bei einem Konzert. (picture alliance / dpa / Christian Charisius)
    Marcel Anders: Herr Idol, wie therapeutisch war es, eine Autobiografie zu schreiben? Was haben Sie dabei über sich gelernt?
    Billy Idol: Wenn man eine Autobiografie schreibt, erkennt man plötzlich all die Fallen und Tücken des Lebens, die einem vorher gar nicht bewusst waren. Ich habe zum Beispiel erkannt, wie übel meine Drogenabhängigkeit wirklich war. Und deshalb versuche ich auch immer weiter davon loszukommen. Denn Drogen können ein Riesenspaß sein, aber letztlich sorgen sie doch dafür, dass du irgendwann durchdrehst, stirbst oder in der Reha landest. Und ich finde nichts davon sonderlich attraktiv.
    Anders: Warum haben Sie sich dann darauf eingelassen?
    Idol: Weil der Rock'n'Roll-Lifestyle, die Drogen und alles andere einfach nur ein Mittel waren, um bessere Musik zu machen. Das Problem ist aber, dass sie letztlich dein Leben zerstören. Selbst, wenn es zunächst eine Phase gibt, die dir durchaus hilft, deinen Horizont zu erweitern - oder die mir dabei geholfen hat, mich besser konzentrieren zu können. Denn ich leide unter einem Aufmerksamkeitsdefizit.
    Was in meiner Kindheit noch nicht als Krankheit galt. Aber heute heißt es: "Dieses Kind hat Probleme, sich zu konzentrieren". Was mit Drogen bekämpft wird. Und ich bin mir sicher, dass das einer der Gründe war, warum ich früher so viele genommen habe - weil sie mir geholfen haben. Klar, war das nicht die beste Idee, aber ich hatte doch einen Riesenspaß und ich würde nie behaupten, dass ich die Zeit nicht genossen hätte, denn das habe ich. Sie war fantastisch.
    "Ich bereue nichts"
    Anders: Das klingt als würden Sie nichts bereuen?
    Idol: Ich bereue auch nichts - es ist nur so, dass ich mittlerweile die Zusammenhänge erkenne. Also dass die Drogen vielleicht der Musik gutgetan haben, aber gerade in den 90ern auch dafür gesorgt haben, dass ich in puncto Kreativität immer langsamer wurde. Mehr noch: Es hat mich eine Menge Zeit gekostet, mich von ihnen zu befreien und einen Zustand zu erreichen, in dem ich mich unter Kontrolle hatte oder zumindest so diszipliniert war, dass ich wusste, was als Nächstes passiert. Aber du kannst dich nicht wirklich davon lösen. Und ich werde immer ein Drogenabhängiger, aber auch ein Alkoholiker und ein Sexsüchtiger sein. Ich meine, gib mir eine Linie Koks, ein Bier und du da drüben - komm gefälligst her und gib mir einen Blow Job.
    Anders: Dann war Ihr Motto also wirklich "Whiskey And Pills", um einen Song des neuen Albums zu zitieren?
    Idol: Das ist richtig. Wobei das vor allem für die 90er galt. Nicht so sehr für heute. Aber damals war ich wirklich so. Ich habe es glorifiziert, bis zuletzt ausgekostet und hatte eine tolle Zeit. Die Beste meines Lebens. Und ich habe darin so etwas wie Freiheit erblickt - während ich mich gleichzeitig in eine Abhängigkeit begeben habe.
    Von daher war das eine zweischneidige Angelegenheit. Und dessen muss man sich halt irgendwann bewusst werden, oder man endet in einer schrecklichen Situation, in der man den Verstand verliert. Ich kenne eine Menge Leute, die nicht mehr wirklich auf diesem Planeten sind, weil sie es mit den Drogen übertrieben haben. Sie leben zwar noch, bekommen aber nichts mehr mit. Und das soll mir nicht passieren.
    "Ich hatte einige Weckrufe"
    Anders: Aber irgendwann hat auch Ihr Körper nicht mehr mitgespielt ...
    Idol: Und das habe ich auch mitbekommen. Also ich hatte einige Weckrufe. Und damit meine ich nicht nur den Motorradunfall von 1990, der mit Sicherheit der deutlichste war. Sondern es gab auch noch andere. Doch erst beim Schreiben der Biografie sind mir Dinge bewusst geworden wie: "Oh, da war diese Geschichte von 1984, der ich keine Beachtung geschenkt habe." Oder: "Vielleicht hätte ich den Motorradunfall ernster nehmen sollen."
    Doch es hat bis zu einer Überdosis im Jahr 1994 gedauert, bis ich wirklich etwas geändert habe. Da waren meine Kinder vier und fünf, und ich wollte nicht, dass sie mich so erleben. Deshalb habe ich angefangen, clean zu werden. Nur: Es hat ewig gedauert, um an den Punkt zu gelangen, an dem ich wieder Interviews wie dieses geben kann und dabei kein Bier brauche. Früher hätte ich mich dabei regelrecht volllaufen lassen.
    Anders: Anfang der 90er ist Ihre Karriere komplett eingebrochen. Mit einem Album namens "Cyberpunk", das ein gigantischer Flop war. Wie konnten Sie sich nur so vergaloppieren?
    Idol: Ich denke, es war eine Mischung aus zwei Faktoren: Ich war total durchgeknallt und meiner Zeit vielleicht auch ein bisschen voraus. Ich dachte wirklich, dass die wenigen Leute, die sich damals im Internet bewegt haben, und die ja die Ersten waren, so etwas wie Cyberpunks wären. Dabei bin ich ein absoluter Stümper, wenn es um Computer geht. Nur: Ich glaubte, die Zukunft zu sehen. Ich erkannte, dass es die Welt meiner Kinder sein könnte, dass virtuelle Realität zur wahren Realität - und multinationale Großkonzerne zu Regierungen werden könnten.
    "Privat vor dem großen Crash"
    Anders: Was damals so absurd erschien, dass Sie Ihr Publikum regelrecht verschreckt haben?
    Idol: Es hat definitiv dazu beigetragen. Genau wie meine Richtung zu ändern. Aber eben auch meinen Produzenten und vieles mehr. Das hat da alles mit reingespielt. Außerdem stand ich auch privat vor dem großen Crash. Einfach weil die Zeit, in der Drogen Spaß gemacht haben, schlichtweg vorbei war und sie für immer mehr Probleme gesorgt haben. Sprich: Nach "Cyberpunk" hatte ich eine ganze Reihe von Weckrufen, die mir zeigten, dass ich die Art, wie ich damals gelebt habe, so nicht fortsetzen konnte.
    Anders: Wovon Sie sich nie richtig erholt haben. Für ihr erstes Comeback-Album "Devil´s Playground" haben Sie zwölf Jahre gebraucht, für das zweite - für "Kings And Queens Of The Underground" - geschlagene neun. Wieso?
    Idol: Wir hatten ein paar Fehlstarts was das Aufnehmen von Platten betrifft. Wir haben zum Beispiel eine mit Glen Ballard produziert und waren auch fast fertig, als die Plattenfirma plötzlich den Stecker zog. Was damit zusammenhing, dass die gesamte Industrie auseinanderfiel und viele Labels schon 1998/99 nicht mehr in der Lage waren, Studioaufenthalte zu finanzieren.
    Davon war auch unser Album betroffen, und später gab es noch ein paar weitere Fehlversuche. Aber der Hauptgrund waren halt die Veränderungen im Musikgeschäft, das regelrecht in Trümmern lag. Da war es nicht einfach, eine Finanzierung für meine Musik auf die Beine zu stellen.
    Anders: Und was das neue Album betrifft: Ist das so etwas wie Ihre Lebensbeichte, verpackt in zehn Songs - also wie ein Rockmusical oder eine Rock-Oper?
    Idol: Es ist die Geschichte meines Lebens. Aber gleichzeitig auch ein Tribut an die Leute aus dieser Zeit, von denen etliche nicht mehr unter uns sind. Die aber ihren persönlichen Beitrag geleistet haben. Allein durch ihre Attitüde, die Dinge zu verändern. Etwa den Rock'n'Roll, dem wir ja einen kräftigen Tritt in den Hintern verpassen wollten.
    "Es war alles neu und aufregend"
    Anders: Vermissen Sie einstige Weggefährten wie Sid Vicious, Joe Strummer oder die Ramones?
    Idol: Das tue ich. Denn das waren tolle Leute - und wahnsinnig wichtig für den Punk. Die Ramones waren zum Beispiel eine der Gruppen, die uns eine Richtung im Bezug auf unsere Musik aufgezeigt haben. Und wir haben sogar mal mit ihnen gespielt - am Silvesterabend 1977 im Londoner "Rainbow". Sie waren damals ganz schnell ganz groß geworden, was toll war. Und sie fragten uns, also Generation X, ob wir ihr Vorprogramm bestreiten würden. Natürlich wussten sie, dass wir keine Chance gegen sie hatten, aber das war egal. Wir haben es trotzdem geliebt, uns eine Bühne mit ihnen zu teilen.
    Und es war eine tolle Zeit, was die Energie betrifft, die in der Luft lag. Es war alles neu und aufregend, und wir haben quasi unsere eigene Mersey Szene, unseren eigenen "Cavern Club" und unserer eigenes "Max´s Kansas City" kreiert. Das "Roxy" in London war nichts anderes als unsere Version dessen, was wir aus den 60ern kannten. Aber es war unsere eigene Szene.
    Anders: Mal ehrlich: Nach allem, was Sie hier erzählen - finden Sie die musikalische Gegenwart, die so durchgestylt, so sauber und brav ist, da nicht fürchterlich langweilig? Was ist aus dem rebellischen, subversiven Rock'n'Roll geworden?
    Idol: Für den sind jetzt die jungen Leute zuständig. Denn wenn ich so weiter machen würde wie früher, wäre das glatter Selbstmord. Stattdessen ist es mir wichtiger, das Leben zu genießen. Genau wie die Musik, die ich gerade mache - und die ich früher gemacht habe. Denn die ist immer noch ein Riesenspaß und etwas ganz Besonderes. Aus dem einfachen Grund, weil wir uns damals sehr viel Mühe gegeben haben, etwas Zeitloses zu schaffen. Das war uns wichtig.
    Und Keith Forsey war ein toller Produzent, der dafür gesorgt hat, dass die Platten immer noch gut klingen. Denn auch darum ging es ja beim Punkrock: Nämlich richtig gute Musik abzuliefern, die den Leuten etwas bedeutet und die gesellschaftlich und kulturell etwas bewirkt. Das war einer der Ansätze, mit denen wir Grenzen durchbrochen haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.