Freitag, 19. April 2024

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Biobauer, Philosoph und standfester Cowboy

oje hopp, oje hopp, oje, Peco, Jaco komm, oje hopp, Abrum...

Von Antonia Kreppel | 13.11.2004
    José Werlen zieht seinen buntgestrickten Cowboyhut über dem straff gebundenen Haarschwanz fester in die Stirn und schnallt den einbeinigen Melkschemel um. Exotisch sieht das aus.

    Carlos Santana ist wieder mal bockig und will sich beim Melken vordrängeln.

    Die kleine Alphütte im Rottental ca. eine halbe Stunde zu Fuss vom Dorf entfernt, liegt noch prall in der Sonne. Es ist fünf Uhr am Nachmittag, und gleich nach dem Melken beginnt José Werlen mit dem Käsen. Einmal im Jahr, im Juni, Juli, wird hier in der Ausfahrt - dem Weideland am Waldrand – gesennt wie vor hunderten von Jahren.
    Die Einzelsennerei – Enzelchääserie – hat Tradition.

    Die ganzen kleine Hüüser wo du hier siehst sind alles so Chääserien gesi, und da hat jeder Püüre für sich selber chääset.

    Püüre, der Bauer. Auch José Werlen macht Käse nur für den Hausgebrauch. Die übrige Milch liefert er in die genossenschaftliche Bio-Käserei.

    In der Sennhütte hängt der grosse Kupferkessel an einem Turnär, Drehbalken, über der offenen Feuerstelle. 150 Liter Milch wollen gerührt sein; den Rhythmus bestimmt Tom Waits mit seiner rauchigen Stimme: Ja, auch ein CD-Player findet Platz in der kleinen Alphütte.

    In der vom Föhrenholzfeuer geschwärzten Wand steckt die Schweizerfahne. Nein, EU-konformer Käse – sogenannter Brüsslechääs - wird das keiner!

    I hab Problem mit der EU , dass all's wie Standard is; das gibt’s nachher nimmer; da gibt’s nurmehr eiheitliche Brüsslechääs. Und fertig, und da hab i a bissel Müa mit dem. EU, z.B: offene Grenzen, is doch super. Des schlimme is immer, du machst ebbes, über Jahrzehnte, Jahrhunderte fast und da kommt ener und gseit –ebebeb(blahblah) – geht nimmer...

    Das ist ungefähr so, als wenn man den Geschinern von heut auf morgen verbieten würde, ihren Dialekt zu sprechen.

    Unser Dialekt is a bitz finer als der witer unten.W ir sagen viel mit chi, chi, chi, net ch. Zum Bispiel, wir sagen Milch (Frauenstimme) und die Blitzinger sagen schon Miülch .

    Das Eigene macht stolz. In exakten Achtern, immer an der gleichen Stelle, rührt José Werlen mit einem riesigen Schlagbesen in der Dicketä, der durch Zusatz von Labpulver dick geronnen Milch; jetzt schon fast eine Stunde. Ein Rhythmus – ein Blues!

    Brecher, Brecher. Wenn der mal durch is hör i auf zu chääs.

    Sollte der Brecher einmal kaputt gehen, hört er auf zu käsen.
    Jetzt am Anfang mach ich des Achter, ja jetzt brichts. (plätschern und rühren)
    Jetzt mach i schöne Bewegung, dass es schön in der Mitte absatzt, jetzt tropfena wir des us.


    Die gerührte Käsemasse, Bullerä genannt, setzt sich am Boden des Chessi, des Kupferkessels, ab. Heiss ist es in der Alphütte. Die Augen tränen.

    Das, das is Heimat. Heimat is das, wenn i zwei Tag weg bin, lange Zit; des is Heimat. Ja, es gibt Tag (flucht vor sich hin) aber nachher, halb Stund später is schon vorbi; Da kommen die Küa, die heb i gern, kennst jede Ecke, kennst jede Mucke (lacht).

    Die Kühe, die er gern hat, jede kleinste Ecke die er kennt – das ist Heimat!
    Des is im Bluat drinn. (lacht); hüöro langwilig in die Berge (Lachen )...

    Hüöro langwilig, abscheulich langweilig sind die Berge; widersprüchlicher Lobgesang auf das immer Gleiche. Anerkannter Biobauer ist José Werlen bereits seit 20 Jahren. Bereits 1981, also mit 21 Jahren, hat er den väterlichen Betrieb übernommen. Sein Vater hatte auch die Post im Dorf zu verwalten. Die alte Sennhütte hat José Werlen übrigens mit den Holzwänden einer ausgedienten Poststube erweitert; Post-José nennt man ihn hier auch in Geschinen.

    I bin immer de Post-José gesi.

    Der Briefkastenschlitz endet im Nichts.

    Ja, irgendwann bist du dann so dri gewachsen. Ich hab vorher immer mit Küa zu tuen gehabt, auf der Alp gesi als Hirte und als kliner Hirte, als Spiessfresser; Spiess is Essen ....

    Der Spiessfresser – der vierjährige Bauernjunge, ein nutzloser Esser. Draussen vor der Almhütte warten schon hungrige Mäuler auf den Anpfiff aus José Werlens selbstgebastelter Tröte. (ATMO: Tröte) Aufforderung zur Verkostung von Bullerä. Grossgewordene Spiessfresser : Die beiden Söhne Elias und David, der Bruder mit Lebensgefährtin, eine Familie aus dem Nachbardorf.

    Frau ruft: Bullerä
    José: Jetzta hätts lang müsse warte, Brunsbure (lachen)
    ATMO schöpft aus: Heh


    Das Ausgeben von Bullerä gleicht einem sakralen Akt. Die Hände zu einer Schale geformt stehen die Gäste an und erhalten von Meister José einen Batzen Frischkäse. Süss und saftig.

    José: kei Mensch gseit Amen! (lautes Lachen); Hüttechääs, frischerer Hüttenkäse bekommst nit als hier... Magst e biz......(schöpfen)

    Peter: mhh. I bin schon vielmal hiergesi, als erstes gibt’s Dicketä, dann kommt Bullerä und nachher Zigersüüffi

    José: Iss es guat..
    .
    Zigersüüfi, gesottene Milch vom Ziger - Gommer-alemannische Bezeichnung für eine weitere Käsevariante, die zuletzt produziert wird.
    Käsen ist eine Arbeit mit vollem Körpereinsatz. Sinnlich. Jetzt beugt sich José Werlen über den Kupferkessel, senkt ein netzartiges viereckiges Tuch in die weiße Brühe, hält zwei Enden mit seinem Mund fest und schöpft mit beiden Armen den Frischkäse aus dem Milchsud. Die Käsemasse wird in runde Formen gepresst und mit einer Metallscheibe beschwert

    José Werlen sieht inzwischen aus wie ein Bergarbeiter. Mit der Stirnlampe auf dem Kopf begutachtet er in den Tiefen des Kupferkessels die Konsistenz des Ziger.

    Der bröcklige Ziger schmeckt ein wenig nach dem Rauch der Almhütte. Eine kleine Pause in der klaren Luft tut gut - mit Blick in die Berge

    Durch die Berge bist da so in einem Kessel drin. Der Horizont ist hier ein wenig eng, isch a bitz enge. Aber des heisst noch lang nit dass der geischtige Horizont muss eng si mit dere Informationsmöglichkeit di me hittä hätt, Jesses Gott.

    Allerdings ersetzt das Surfen im Internet nicht ein anregendes Gespräch. Biobauer José Werlen gerät ins Philosphieren. Nur mit den Bauern über Kraftfutter und Subventionen zu reden ist nicht seine Welt. Und der Weg talabwärts in die Gommer Kreishauptstadt Brig ist zu weit für einen Bauern. José Werlen hält an der Zeit fest. Bauernarbeit ist nie Stress.

    Püüre-Arbet is ni Stress, für mich is Arbet ni Stress. Melkmaschinemotor läuft nit, da musst irgendwelcheMelkmaschine organisiere, des is Stress, aber Arbet is kei Stress.

    Wenn die Melkmaschine nicht funktioniert – das ist Stress! Oder die ersten zwei Sekunden am Morgen, beim Aufstehen...

    Stress is am Morge die ersten 2 Sekunden zum üfschtaa, ja, ja, und des zieh ich pickelhart durch, immer glich, immer glich, immer glich...

    Alles ist immer gleich. Was ausgebrannte Grosstädter in teuren Seminaren sich erarbeiten, das ist nun einmal José Werlens Leben. Eine Form der Meditation, zumindest vier, fünf Wochen im Jahr: Das beständige rühren am gleichen Fleck, das sitzen vor dem Kupferkessel in der rauchigen Hütte - die Tür halb offen, üssalüege, den Blick schweifen lassen auf die immer gleichen Berge. Und Tom Waits: Variationen über einen Maulesel...

    Weischt wieviel mal i üssagelüegt ha, hier beim sitze. I gsee zwar immer des gliche, aber da chennst laa schweife des Zig.

    Im Immergleichen variieren Sonnenuntergang und der Zug der Wolken.

    Aber du gseest en anneren Sonnenuntergang, gseest annere Wolken – eben HEIMAT gseest.