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Biochemie
Zucker im Windkanal

Zuckermoleküle sind unverzichtbar, beispielsweise als Energielieferanten. Ihre Erforschung aber wird ausgebremst: Denn ihre Strukturen sind so komplex, dass sie sich nur sehr umständlich analysieren lassen. Forscher aus Berlin berichten nun von einem Durchbruch: in einer Art Windkanal können sie Zuckermoleküle erst auftrennen und dann identifizieren.

Von Volkart Wildermuth | 23.10.2015
    Ein Modell eines Glucose-Moleküls: schwarze und rote Kugeln an einem silbernen Gestänge
    Ein Modell eines Glucose-Moleküls (imago/stock&people/Science Photo Library)
    Die Doktorandin Johanna Hofmann spritzt im Labor am Berliner Fritz Haber Institut der Max Planck Gesellschaft eine Probe in die neue Analysemaschine. Sie stammt von Chemikern eines anderen Max-Planck-Institutes. Die haben mit viel Mühe einen komplexen Zucker hergestellt. Jetzt wollen sie sicherstellen, dass auch wirklich das gewünschte Molekül herausgekommen ist. Dazu dient das Ionen-Mobilitäts-Massen-Spektrometer, das hier auf einem kleinen Tisch aufgebaut ist. Elektrische Felder ziehen die Zucker durch einen gewundenen Parcours aus fingerdicken Stahlrohren. Auf dem Weg klacken Zigarettenschachtel große Turbo Molekularpumpen. Sie sorgen mal für Vakuum, mal für den nötigen Gasdruck. Der ist entscheidend für dieses neue Messinstrument erläutert Kevin Pagel, Chemieprofessor an der Freien Universität Berlin:
    "Wir trennen die Moleküle hinsichtlich ihrer dreidimensionalen Form und Größe. Wir leiten die Moleküle dabei durch diese gas-gefüllte Zelle und sehr kompakte Moleküle kollidieren dabei weniger mit dem Gas als gestreckte Moleküle."
    "Nicht damit gerechnet, dass es so gut funktioniert"
    Kevin Pagel vergleicht das mit einem Windkanal für Zuckermoleküle. Normalerweise wird in einem großen Windkanal der Luftwiderstand von schnittigen Sportwagen und kastenförmigen Transportern bestimmt. Den gleichen Effekt nutzt der Chemiker in viel kleinerem Maßstab zur Trennung von Zuckern, die sich nur im Winkel einer einzigen chemischen Bindung unterscheiden. Solche kleinen Varianten sind entscheidend für die biologische Wirkung von komplexen Zuckern. Sie sorgen zum Beispiel dafür, dass das Vogelgrippevirus zwar an die Lungenzellen von Enten und Hühnern bindet, aber eben kaum an die von Menschen. Zurück ins Labor. Auf dem Bildschirm bauen sich schon nach wenigen Sekunden Kurven auf. Sie verraten, wie viele Millisekunden die unterschiedlichen Zucker gebraucht haben, um durch den winzigen Windkanal zu driften. Diese Information und die Molekularmasse erlauben es, auch komplexe Zucker genau zu identifizieren.
    "Wir waren in der Tat überrascht, dass die Methode so gut funktioniert. Man stellt sich das Ganze natürlich am Anfang irgendwann, wenn man die ersten Projektanträge schreibt, mal vor, wie das ganze funktionieren könnte, wir hätten nicht damit gerechnet, dass es so gut funktioniert."
    Biologie der Zucker besser verstehen
    Und tatsächlich können die Chemiker beruhigt sein: Ihr synthetischer Zucker enthält keine Verunreinigungen. Für kleine Zucker funktioniert die Qualitätskontrolle im Windkanal schon sehr gut. Größere Zuckerbäume zerlegt das Gerät einfach in Bruchstücken, die sich gut analysieren lassen. Die Struktur des gesamten Zuckers puzzeln die Forscher dann aus der Form der Einzelteile zusammen. Kevin Pagel hat eine offene Datenbank eingerichtet, in der die Luftwiderstandswerte von möglichst vielen solcher Bruchstücke gesammelt werden. Das vereinfacht die Analyse. Trotzdem gibt es immer wieder Proben, die Johanna Hofmann Kopfzerbrechen bereiten.
    "Wir haben Daten gesehen, die überhaupt nicht mit dem zusammengepasst haben, was wir erwartet hätten, und waren zunächst natürlich etwas enttäuscht."
    Allerdings stellte sich dann heraus, dass die Probe nicht richtig beschriftet war, "dass es doch eine andere Struktur war, die dann wieder perfekt mit unseren Ergebnissen übereinstimmte."
    Noch gibt es nur wenige Ionen-Mobilitäts-Massen-Spektrometer, aber Kevin Pagel ist sich sicher, dass diese Geräte bald in vielen biologischen Laboren stehen werden. Denn die Methode funktioniert nicht nur mit synthetisch reinen Zuckern, sondern auch ohne große Aufreinigung mit Zell- oder Gewebeproben.
    "Das Schöne dabei ist, dass diese Analysemethode auch in Gegenwart von Verunreinigungen sehr, sehr gut funktioniert, da man eindeutig die Zuckermoleküle von den anderen abtrennen kann, um die Information zu gewinnen."
    So kann der Windkanal für Moleküle dazu beitragen, die so wichtige Biologie der Zucker noch besser zu verstehen.