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Biodiversität
Ökologe fordert mehr Wertschätzung für Insekten

Auch im eigenen Vorgarten könne man anfangen, etwas gegen das Aussterben von Insekten zu tun, sagte der Agrarökologe Josef Settele im Dlf. Zum Beispiel durch den Verzicht auf Pestizide. Sie seien einer der Hauptgründe für den Rückgang verschiedener Insektenarten, den eine Studie kürzlich umfassend belegt hat.

Josef Settele im Gespräch mit Georg Ehring | 19.10.2017
    bunte Wildblumen-Saatmischung in einem Naturgarten mit Insektenhotel colorful wild flowers mix in a natural garden with insect hotel BLWS448837 Copyright: xblickwinkel/H.-J.xZimmermannx Bunte Wild flowers in a Natural garden with Insects hotel Colorful Wild Flowers Mix in a Natural Garden With Insect Hotel Copyright xblickwinkel H J xZimmermannx
    Insektenhotel im Naturgarten: Forscher haben in einer Langzeitstudie nachgewiesen, dass es einen Rückgang von Insektenarten um 75 Prozent gibt. (IMAGO / blickwinkel)
    Georg Ehring: Es gibt immer wieder Berichte über ein Verschwinden von Insektenarten. Doch können wir allgemein sagen, dass es in Deutschland immer weniger Insekten gibt? Forscher aus Krefeld haben diesen Verdacht geäußert. Sie hatten über lange Zeit Insekten in Fallen gesammelt und die Ergebnisse ausgewertet. Gestern erschien nun eine wissenschaftliche Analyse ihrer Daten in der Fachzeitschrift "PLOS ONE" und sie bescheinigt den Forschern zunächst solides Vorgehen.
    Professor Josef Settele ist Insektenkundler und Agrarökologe. Er arbeitet am Umweltforschungszentrum in Leipzig und ihn habe ich vor dieser Sendung gefragt, ob er die Ergebnisse der Forscher aus seiner Praxis bestätigen kann.
    Josef Settele: Ja. Wir haben derartige Forschungen im vergleichbaren Maße nicht gemacht. Aber ich würde sagen, die Studie, so wie sie das Ganze darstellt, ist sehr, sehr glaubwürdig. Das heißt, dieser Rückgang um 75 Prozent, in der Größenordnung, der ist durchaus sehr gut belegt bei den Kollegen aus Krefeld.
    Ehring: Gibt es Tendenzen, dass bestimmte Arten stärker betroffen sind?
    Settele: Ja, die gibt es natürlich schon. Es gibt Arten, die mehr im grünen Bereich vorkommen, die dann durch Nutzungsintensivierung zum Beispiel entsprechend zurückgehen. Das ist bei Schmetterlingen der Fall, auch bei einigen Tag- und Nachtfaltern. Es gibt auch andere Gruppen, wo das so ist, aber Details habe ich da jetzt leider nicht verfügbar, um das differenziert darzustellen.
    Vielzahl von Gründen für den Rückgang der Insekten
    Ehring: Was sind denn die Ursachen, wenn Insekten weniger werden?
    Settele: Das ist das Schwierige an der ganzen Thematik. Zunächst haben wir überhaupt erst mal die Beobachtung, dass dem so ist, und wir haben bei vielen Studien kleine Aspekte hier und da. Vieles läuft zurück auf die Landnutzungsintensivierung, zum einen mehr Ertrag pro Fläche, mehr Input in Sachen Pestizide, in Punkto Düngung. Wir haben aber auch den Effekt der Ausrottung der Agrarlandschaft, weniger Strukturen zum Beispiel. Wir haben auch andere Faktoren dabei, invasive Arten, die Arten verdrängen, oder auch zum Teil Klimawandelaspekte.
    Ehring: Es gibt zwei Pestizide, die in dem Zusammenhang immer wieder genannt werden, nämlich Neonicotinoide und (das verbreitete Pestizid überhaupt) Glyphosat. Spielen die nach Ihrem Eindruck eine Rolle?
    Settele: Neonicotinoide sind natürlich als Insektizide dafür gedacht, Insekten zu töten, weshalb es nicht überraschend wäre, wenn die da eine starke Rolle spielen. Bei den Daten, die wir bislang haben, ist es schon so, dass die Mortalität durch diese Substanzen gravierend ist und auch sicher mehr Organismen treffen als nur die Zielorganismen und die Schädlinge.
    Beim Glyphosat ist es ein bisschen indirekter. Glyphosat ist ja im Wesentlichen ein Herbizid und das sorgt dafür, dass zum Teil die Nahrungsquellen nicht mehr da sind. Aber da ist der Effekt auf die Insekten indirekt und nicht so direkt feststellbar.
    Manche Arten wichen dem wärmeren Klima nach Norden aus
    Ehring: Sie haben gerade den Klimawandel angesprochen. Welche Rolle spielt der?
    Settele: Das ist schwierig zu quantifizieren in dieser Zeit, die wir haben. In den letzten 20, 30 Jahren hatten wir bei einigen Organismengruppen eine Wanderung gen Norden bei uns. Das heißt, die Arten weichen dem wärmeren Klima aus, gehen dahin, wo es klimatisch noch passt. Aber andere schaffen es auch gar nicht, sich anzupassen, und bleiben einfach dann zurück beziehungsweise sterben dann aus.
    Ehring: Warum sollte man sich eigentlich Sorgen machen, wenn es weniger Insekten gibt? Viele Insektenarten wie zum Beispiel Mücken sind ja ziemlich unbeliebt.
    Settele: Natürlich kann sich jeder vorstellen, dass die Stechmücken jetzt nicht gerade unsere liebsten Freunde sind. Aber Stechmücken genau wie viele andere Mücken, sage ich mal, viele andere Insekten sind natürlich auch eine wichtige Nahrungsgrundlage in unserem Ökosystem. Speziell für Insekten fressende Vögel spielen sie eine wichtige Rolle, aber auch insgesamt für die Regulation vom System sind sie wichtig, zum Beispiel Gegenspieler von Schädlingen, also auch in der Landwirtschaft wichtig, oder auch Bestäuber, Bienen, Hummeln, andere Gruppen von Bestäubern, die dafür sorgen, dass wir entsprechende Erträge haben bei Obst und Gemüse.
    "Die Wertschätzung von Insekten müsste eine andere Orientierung erfahren"
    Ehring: Wenn man jetzt was für die Insekten tun will, im Kleinen wie im Großen, wie könnte das gehen?
    Settele: Im Kleinen kann man gleich im eigenen Vorgarten, wenn man einen hat, anfangen und im Wesentlichen eigentlich auf den Einsatz von Pestiziden verzichten, weil die ja normal nicht wirklich wichtig sind. Das ist eine Frage der Ästhetik, des Empfindens. Das heißt, die Wertschätzung von Insekten müsste eine andere Orientierung erfahren, sage ich mal. Man kann sich vorstellen, dass das schön ist und nicht nur lästig, und viele Insekten sind ja auch schön. Schmetterlinge zum Beispiel werden meist als sehr positiv akzeptiert, oder auch Bienen, die davon profitieren, dass entsprechend vieles blüht und vieles auch ein bisschen chaotisch wächst.
    Auf einer kleinen Skala ist jeder von uns eigentlich in der Lage, was beizutragen. Auf der großen Skala auch, aber das ist ein bisschen komplizierter. Da geht es schließlich darum, dass wir ja durchs Konsumverhalten vieles steuern, und viele Produkte, die natürlich aus intensiver Nutzung kommen, werden so lange produziert werden, solange sie gebraucht werden oder gekauft werden. Das heißt, dort ist sehr stark auch der Verbraucher gefragt, der sich bewusster darum kümmert, was er letztlich in seinen Einkaufskorb nimmt.
    Bioprodukte weniger nachhaltig bei langen Transportwegen
    Ehring: Heißt das vor allem Bioprodukte?
    Settele: Zumindest haben Bioprodukte den Vorteil, dass sie ohne Pestizideinsatz produziert werden. Das ist erst mal schon günstig. Das heißt, man macht da nicht allzu viel verkehrt. Natürlich kommen andere Faktoren dazu. Bioprodukte sind zum Teil ja auch weit importiert, Zwiebeln aus Ägypten. Die sind zwar biomäßig angebaut, aber natürlich dann durch den weiten Transport haben wir andere Aspekte dabei, die dafür sorgen, dass doch nicht alles so ganz schön und nachhaltig ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.