Freitag, 19. April 2024

Archiv

Bioethik
Wissenschaftsorganisationen fordern Umdenken bei der Embryonenforschung

Bislang verbietet das Embryonenschutzgesetz, in Deutschland entstandene Embryonen für Forschungszwecke zu nutzen. Zwei Wissenschaftsorganisationen drängen auf Änderungen. Für ausgewählte, hochrangige Projekte sollten solche Experimente möglich sein, argumentiert der Molekularbiologe Claus Bartram.

Claus Bartram im Gespräch mit Lennart Pyritz | 26.05.2021
Illustration einer Blastozyste
Illustration eines frühen Entwicklungsstadiums des Embryos (Blastozyste) (Imago/Science Photo Library)
Jedes Jahr entstehen in Deutschland viele Embryonen im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung, die von der biologischen Mutter nicht ausgetragen werden. Bislang dürfen diese überzähligen Embryonen nur für Paare mit Kinderwunsch gespendet werden - ansonsten müssen sie verworfen werden. Eine Spende für die Forschung ist bislang durch das seit 30 Jahren geltende Embryonenschutzgesetz verboten.

Plädoyer für abgestuften Schutz menschlichen Lebens

Nun hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, gemeinsam mit der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften, eine Stellungnahme vorgelegt, in der sie empfiehlt, künftig unter bestimmten Umständen Forschung an solchen Embryonen im Labor zuzulassen. Einer der Autoren ist Claus Bartram, inzwischen emeritierter Professor vom Institut für Humangenetik am Universitätsklinikum Heidelberg. Im Deutschlandfunk plädierte er für einen abgestuften Schutz des menschlichen Lebens und einen "Mittelweg des Abwägens".
Diskussion über neues Embryonenschutzgesetz - Raus aus der Grauzone Befruchtungen sind inzwischen medizinische Routine. Doch die alte Gesetzgebung halte mit dem medizinischen Fortschritt nicht mit, kritisieren Ärzteverbände. Der Umgang mit befruchteten Eizellen müsse neu geregelt werden.

Lennart Pyritz: Welche Forschungszwecke könnten solche Studien an Embryonen vertretbar machen?
Claus Bartram: Es müssten hochrangige Forschungszwecke sein, die auf anderen alternativen Wegen – zum Beispiel in Tierversuchen – nicht zu einem Erfolg führen werden. Und dazu gehört einerseits die große Gruppe der Aufklärung von Krankheiten, genetisch bedingter Erkrankungen, in ihren Frühformen, sodass man eventuell sogar therapeutisch Konsequenzen daraus später ziehen könnte.
Dann sind es die Fragen der Fortpflanzungsmedizin, Verbesserungen der Fortpflanzungsmedizin, dann die Aufklärung von Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten, dann wäre die große Frage: Embryonale Stammzellen für eine regenerative und individualisierte Medizin. Und letztendlich natürlich auch, wenn man überhaupt an Keimbahneingriffe denkt, Gentherapie in der Keimbahn, müsste dieses natürlich, bevor das natürlich überhaupt in eine Realisation kommt, dann an solchen Embryonen erforscht werden.
Pyritz: Bleiben wir mal bei dem letzten Punkt, können Sie da ein konkretes Beispiel nennen? Was wäre dann eine Forschungsfrage bei Eingriffen in der Keimbahn, die sich dann an solchen Embryonen erforschen ließe?
Bartram: Die Frage ist natürlich, auch mit der neuen Methode, die in aller Munde ist, CRISPR/Cas, also eine Genom-Editierung, mit der sehr viel gezielter heutzutage eingegriffen werden kann, ist diese Methode im Moment überhaupt sicher genug, um damit tatsächlich in einem realen Therapieversuch wagen zu können, eine genetische Erkrankung zu korrigieren. Das hätte natürlich den Vorteil, dass anders als in der Medizin nicht der individuell behandelte Embryo nur sozusagen geheilt werden könnte von dieser Erkrankung, sondern dass das für eine ganze Familie bedeuten würde, dass dieser Defekt behoben werden könnte. Das ist derzeit weit von einer Realisationschance entfernt, aber wenn man diesen Eingriff überhaupt – und das ist natürlich auch eine ethische Abwägung – in Anspruch nehmen möchte, dann müsste natürlich vorher an solchen Forschungsembryonen diese Eingriffstiefe abgeklärt werden.

Deutschland bisher nur Trittbrettfahrer

Pyritz: Sie haben das Stichwort eben auch schon genannt, Sie plädieren in der Stellungnahme auch dafür, dass humane, embryonale Stammzellen aus diesen überzähligen Embryonen für Forschungszwecke genutzt werden können. Wie konkret sehen da mögliche Forschungsideen, Forschungsvorhaben aus, für die diese humanen embryonalen Stammzellen unerlässlich sind?
Bartram: Wir haben ja im Moment die Situation durch die jetzt vorhandenen embryonalen Stammzelllinien, die im Ausland hergestellt wurde, viele Fragen der frühen Embryonalentwicklung, also wie entwickelt sich ein Embryo und was kann dort schiefgehen, nur bearbeitet werden können, das ist eine sehr große Selektion. Ich darf dazu sagen, dass wir damit natürlich auch, wenn man so will, Trittbrettfahrer werden von Dingen, die im Ausland entwickelt werden, die wir dann hier nicht praktizieren können, aber dann sozusagen weiterverfolgen. Insofern wäre es sicherlich sinnvoll, dass auch wir in Deutschland an frischen embryonalen Zellen derartige Versuche durchführen.
Pyritz: Da muss man vielleicht noch mal kurz zur Erklärung sagen, das gilt in Deutschland nach dem Stammzellgesetz, Forschende in Deutschland dürfen humane embryonale Stammzellen aus dem Ausland nutzen für Forschungszwecke, die müssen aber zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit schon gesammelt, gewonnen worden sein, da man eben vermeiden will, dass extra Embryonen für diese Stammzellenforschung dann im Ausland verwendet werden.
Bartram: Ja.

Entscheidungsfindung in einer pluralistischen Gesellschaft

Pyritz: Wie könnte denn so eine Reglung, die Ihnen jetzt in dieser Stellungnahme vorschwebt, konkret umgesetzt werden – als Einzelfallentscheidung, begleitet von einer Ethikkommission?
Bartram: Sie sehen ja, dass diese Fortschritte in der Biomedizin sehr viel schneller vorangehen international als jetzt diese Gesetzeslage, die ja schon 30 Jahre alt ist. Es wäre also zu fragen, ob man nicht diese Fragen delegiert an eine Bundesbehörde, sodass dann in Zusammenarbeit mit Ethikkommission in Einzelfallentscheidungen darüber befunden wird, ob es sich um alternativlose und hochrangige Forschungszwecke handelt. Dafür gibt es in Deutschland ein gutes Beispiel für solche Bundesbehörden, zum Beispiel die Zentrale Ethikkommission für Stammzellforschung, die am Robert-Koch-Institut angesiedelt sind. Das sind sehr bewährte Verfahren, und in ähnlicher Form könnte man sich also vorstellen, dass eine Bundesbehörde diese zentralen Fragen in Angriff nimmt.
Pyritz: Das Thema des Embryonenschutzes wird in Deutschland ja seit Jahren kontrovers diskutiert. Die einen wollen mehr Forschung zulassen, andere schreiben einem Embryo ab dem Zeitpunkt der Befruchtung einen moralischen Status und damit unbedingten Schutz, unbedingte Würde zu. Wie begegnen Sie Menschen, die diese Sichtweise vertreten?
Bartram: Das muss man natürlich als Standpunkt akzeptieren. Es sind die fundamentalistischen Sichtweisen, die entweder sagen, alles verbieten auf diesem Gebiet, oder es gibt auch andere, die sagen, das alles zulassen. Wir glauben, dass eine pluralistische Gesellschaft von einem Dialog und ständigem Sich-Überlegen geprägt ist, sind bestimmte Regeln, die wir uns irgendwann gegeben haben, auch für heutige Generationen noch zutreffend. Und da schlagen wir, wenn man so will, eine Mittelweg der Abwägung vor und sprechen von einem abgestuften Schutz menschlichen Lebens, sodass also diese, sage ich mal, Zellkugel von 100 Zellen nicht gleichzusetzen ist mit einem Menschen wie du und ich. Natürlich ist das menschliches Leben, aber in dieser Frühform einer abgestuften Bewertung ethisch-rechtlich zugänglich.

Paare könnten entscheiden, was mit überzähligen Embryonen geschehen soll

Pyritz: Die Entscheidung, Embryonen für Forschungszwecke freizugeben, die würde dann bei dem jeweiligen Paar liegen, von dem sie stammen.
Bartram: Ja, es ist so, dass diese Paare, die sozusagen einen Kinderwunsch hatten, sich natürlich mit der Frage auch im Vorfeld schon sehr auseinandersetzen, was passiert jetzt, wenn mehr Embryonen da sind, die wir aus den verschiedensten Gründen dann nicht mehr gebrauchen. Und es gibt sehr viele Belege dafür, dass solche Paare, bevor diese Embryonen vernichtet werden, der Forschung sehr positiv gegenüberstehen – denn sie haben ja auch bereits von Forschungsansätzen profitiert, sonst wäre ja die Option für ein solches Kind gar nicht möglich gewesen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.