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Biografie
Auf den Spuren des Malers Felix Nussbaum

Die Biografie "Orgelmann. Felix Nussbaum – ein Malerleben" verfasst vom belgischen Journalisten Mark Schaevers ist nun auf Deutsch erschienen. Darin beschreibt er die Lebensgeschichte des Malers im Stil eines Reiseautors und lässt den Leser an der Spurensuche nach dem durch die Nationalsozialisten vertriebenen Künstler teilnehmen.

Von Paul Stoop | 01.11.2016
    Eine Ausstellungsbesucherin geht am Donnerstag (31.01.2008) in den Räumen des Felix-Nussbaum-Hauses in Osnabrück an dem neuen Gemälde "Mann mit Blume" (Öl auf Leinwand, 1938) (Mitte) entlang.
    Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück, der Heimatstadt des Malers. (picture alliance /dpa - Friso Gentsch)
    Anfang der 1970er-Jahre war der Maler Felix Nussbaum gerade mal mit einer Handvoll Werken in Museen vertreten. Der in Osnabrück geborene Künstler war aus seinem belgischen Exil deportiert und in Auschwitz ermordet worden. Sein Werk war verschollen. Heute sind rund 400 Zeichnungen und Gemälde von seiner Hand bekannt und katalogisiert. So manches Bild reist immer wieder um die Welt zu Ausstellungen über die Moderne des 20. Jahrhunderts. Nussbaums "Selbstbildnis mit Judenpass" ist ein Sinnbild für die Ausgrenzung und Ermordung der europäischen Juden geworden, und in Osnabrück hat Daniel Libeskind ein eigenes Museum für Nussbaums Lebenswerk entworfen.
    Entdeckt zu werden braucht Nussbaum also nicht mehr. Der belgische Journalist Mark Schaevers hat sich dennoch auf eine akribische Spurensuche begeben. Er fand die wenigen überlebenden Verwandten des Malers, durchforstete Zeitungen und sichtete Akten der belgischen Fremdenpolizei. Zwölf Jahre investierte er in seine Recherche. Die 2014 auf Niederländisch erschienene Nussbaum-Biografie ist nun ins Deutsche übersetzt worden unter dem Titel "Orgelmann. Felix Nussbaum – ein Malerleben". Schaevers hatte einen spezielles Motiv, dieses Projekt anzugehen:
    "Felix Nussbaum ist für mich auch ein wenig ein Belgier. Er hat nur 40 Jahre gelebt. Und zehn davon war er in Belgien. Das waren zehn wichtige Jahre. Mehr als die Hälfte seiner Bilder hat er in Belgien gemalt. Ich wollte Felix Nussbaum nach Belgien zurückbringen."
    Schaevers schreibt die Lebensgeschichte seines Protagonisten im Stil eines Reiseautors, lässt die Leser an seiner Suche quer durch Europa teilnehmen, an seinen eigenen Zweifeln bei der Deutung von Zeugenberichten, und manchmal auch an seinen Spekulationen, wie es vielleicht gewesen sein könnte. Ausgangspunkt ist das Berlin der Weimarer Republik, wo Nussbaum nach seiner Ausbildung in Hamburg als 26-Jähriger zum Shooting Star avancierte. 1931 steuerte er das Gemälde "Der tolle Platz" zur Frühjahrsausstellung der Berliner Secession bei. Auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor mischen die jungen wilden Künstler die Szene auf – die Honoratioren der dort residierenden Akademie marschieren in schwarzen Anzügen vorbei. Die alten Männer wenden sich ab, sind aber nur noch eine Marginalie.
    Das Bild wird als Sensation gefeiert, Nussbaum gewinnt bald darauf ein begehrtes Stipendium für die Villa Massimo in Rom, wo er im Herbst 1932 ankommt, in einer Stipendiatengruppe ausgerechnet mit Arno Breker.
    Zeit des Exils von Felix Nussbaum
    Nach einem handgreiflichen Streit unter Künstlern muss Nussbaum die Villa Massimo verlassen, kehrt aber nicht nach Deutschland zurück. Hitler hat inzwischen die Macht übernommen. Für Nussbaum und seine Frau Felka Platek, eine polnische Künstlerin, beginnt die Zeit des Exils. Das Paar lebt eine Weile in Italien, dann in Frankreich, landet 1935 schließlich in Belgien. Brüssel wird die neue Zwangsheimat, so nah an Deutschland, und doch völlig abgeschnitten vom Publikum, das Nussbaum gerade erst entdeckt und gefeiert hatte. Die Welt, in der das Künstlerpaar frei ist, schrumpft auf die Größe einer Wohnung.
    "Was ist ein Künstler im Exil? Das ist ein Künstler, der kein Echo mehr hat. Und auch Felix Nussbaum. Einer der wenigen Briefe, die wir haben, schrieb er an seinen Kollegen Meidner: ‚Ich bin hier in dieser Mansarde’, wo er auch während des Krieges noch ist, und meine Bilder, die schlafen, die langweilen sich hier an meiner Seite.’"
    Persönlich isoliert sind die Nussbaums in Brüssel nicht. Sie treffen Künstlerfreunde, einmal kann Nussbaum auf Einladung belgischer Sozialdemokraten ausstellen, aber er verkauft fast nichts. Seine Sorgen gelten den in Köln lebenden Eltern, die eigenen Ersparnisse gehen zur Neige. Die Aufenthaltsgenehmigung gibt es jeweils nur befristet. Immer wieder bildet Nussbaum tagesaktuelle Titelseiten belgischer Zeitungen in seinen Bildern ab, er spürt das Nahen des Krieges.
    Während die Wehrmacht im Mai 1940 Belgien überrollt, wird Felix Nussbaum wie viele andere Deutsche – Juden wie Nazis - von der belgischen Regierung nach Frankreich deportiert ins Internierungslager Saint Cyprien nahe der spanischen Grenze. Die Monate lange Erfahrungen der Demütigung, der Not, der Willkür dokumentiert er nach seiner Rückkehr in eindrücklichen Bildern – Andeutungen der Vernichtung.
    Die Situation im besetzten Belgien wird von Monat zu Monat schwieriger. Juden müssen sich registrieren lassen, der gelbe Stern ist zu tragen, dann werden die ausländischen Juden deportiert. Es gelingt den Nussbaums, untergetaucht zu leben, sie erfahren Hilfe von Freunden, Bekannten und völlig Unbekannten. Das allgegenwärtige Risiko lähmt Felix Nussbaum nicht, er kann nicht anders als malen, immer weiter malen.
    "Man kann sagen, dieser Krieg hat ihn wirklich fokussiert, da hat er sein Thema gefunden, da hat er seine großen Werke machen können."
    Die Bilder dieser Jahre sind düster, aber nie eindimensional: Mauern, begrenzte Aussichten aus dem Fenster der Dachwohnung, Stillleben. Zitate früherer Gemälde mit ihren ironischen Elementen gibt es sogar in diesen späten Bildern. Ein Motiv, das schon in Berliner Werken aufgetaucht war, ist der Orgelmann, in Berlin hatte er noch Leierkastenmann geheißen.
    "Dann gibt es dieses Bild Orgelmann, das er auch regelmäßig gemalt hat, eine Art jüdischer Wanderer, dieses Bild vom Orgelmann evoluiert dann, und ganz am Ende gibt’s einen Orgelmann, den er malt, und dann ist es nicht die Orgel mit diesen metallenen Pfeifen, sondern mit menschlichen Knochen. Da gibt es keine Musik mehr."
    Deportation der Nussbaums nach Auschwitz
    Sein letztes großes Ölgemälde nennt Nussbaum "Triumph des Todes", es ist Sommer 1944, Skelette tanzen in einer Trümmerlandschaft. Kurz darauf werden die Nussbaums in ihrer Mansarde aufgespürt, jemand muss sie verraten haben. Wenige Wochen vor der Befreiung von Brüssel werden sie nach Auschwitz deportiert. Felka Platek stirbt dort sofort im Gas, Felix Nussbaum muss einige Wochen nach Ankunft noch gelebt haben, wie ein jüngst gefundenes Lager-Dokument belegt. Saint Cyprien muss ihm wie eine Vorstufe dieses Lager-Universums vorgekommen sein.
    "Wenn er dann in Auschwitz kommt, dann ist es das zweite Mal für ihn, dass er in dieses Universum kommt, das muss noch viel schwieriger gewesen sein denn für andere Leute."
    Puristen der Kunstgeschichte mögen Details bemängeln, mancher mag Anstoß nehmen einem zeitweise arg saloppen Ton. Mit seiner Nussbaum-Biografie ist es Mark Schaevers aber tatsächlich gelungen, Felix Nussbaum den Belgiern nahezubringen. Das Buch wurde mit dem wichtigsten Literaturpreis ausgezeichnet und erlebte schon mehrere Auflagen.
    Mit der Übersetzung von Marlene Müller-Haas gibt er nun der deutschen Leserschaft etwas, woran es immer noch mangelt: ein Bewusstsein dafür, wie zerstörerisch der Vernichtungskrieg des NS-Staates in das Leben aller Europäer eingegriffen hat, und wie Exil und Verfolgung, Solidarität und Verrat Europäer über alle Grenzen hinweg für immer miteinander verbunden haben.