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Biografie über Max J. Friedländer
Ein Leben für die Kunst

Er galt als einflussreiche Größe im wilhelminischen Kulturleben. Als Kunstschriftsteller und Experte für altniederländische Malerei setzte er Maßstäbe. Max J. Friedländer hinterließ nach seinem Tod im Jahre 1958 ein umfassendes Werk mit Beobachtungen zu Bildern. Über sein Leben ist jedoch wenig bekannt. Der junge Kunsthistoriker Simon Elson hat jetzt eine Biografie über ihn verfasst.

Von Florian Felix Weyh | 11.05.2016
    Der deutsche Kunsthistoriker und Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlins (1929-1933) in einer undatierten Aufnahme. Er emigrierte 1938 in die Niederlande. Sein grundlegendes Werk "Die altniederländische Malerei" verfaßte er in den Jahren 1924-1937.
    Der deutsche Kunsthistoriker und Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlins (1929-1933) Max J. Friedländer (dpa/picture alliance/Bildarchiv)
    "In Den Haag, bei seinen Nachlass, liegen ungefähr 150 Notizhefte, die sind alle komplett vollgeschrieben mit Beobachtungen zu Bildern."
    … erzählt Simon Elson, Biograph des heute weitgehend vergessenen Max J. Friedländer.
    "Da steht dann immer '1-3-6 Dürer?' Und dann bezieht sich das auf einen Gemäldekatalog der National Gallery in London. Oder da steht eine kleine Skizze, oder er zeichnet mal ein Ohr nach oder eine Hand, schreibt dann dahinter: 'Lippi?'"
    ... und beantwortet damit nichts, nicht für den Biographen, nicht für uns als Leser. Der Mann, Jahrgang 1867, dem eine 500 Seiten starke Monographie gewidmet ist, will ein Rätsel für die Nachwelt sein. Private Äußerungen? Fehlanzeige.
    Kunsthistoriker aus Überzeugung
    "Ja, das ist eine niederschmetternde Ausgangslage! Auf der anderen Seite ist es eine reizvolle Aufgabe, sich auf die Suche der Gespenster der Geschichte zu machen. Und diese Detektivarbeit bei Friedländer, dass man wirklich die wenigen Punkte vernetzt, dass man aber auch permanent auf der Suche nach Parallelgeschichten ist, nach Kollegen, Freunden, Bekannten, die zur gleichen Zeit gelebt haben, in Berlin, die jüdisch waren oder nicht jüdisch waren, preußisch, Kunsthistoriker. Diese detektivische Recherche gibt einem halt wirklich dann auch Aufschluss über die Zeit."
    "Genau genommen, habe ich überhaupt nur einen Entschluss im Leben gefasst, den, Kunsthistoriker zu werden."
    ... sagt Friedländer in einer seiner wenigen fixierten Selbstaussagen.
    "Alle anderen Entschlüsse haben andere gefasst, dabei so tatkräftige Männer wie Bode und Hitler."
    Das hat schon einige Impertinenz, den "Bismarck des Museumswesen" – wie Zeitgenossen den Gründer der Berliner Museumsinsel, Wilhelm von Bode, titulierten – in einem Atemzug mit Hitler zu nennen. Aber das Zitat enthält eine durchaus zutreffende Selbstbeschreibung: Max J. Friedländer ist ein passiver Akteur, ein Mann des zweiten Glieds, der sich immer preußisch, beamtenhaft korrekt in vorgegebene Hierarchien fügte und so zum fast unsichtbaren "Gespenst der Geschichte" wird, wie es sein Biograf Simon Elson nennt. Solche Männer werden gerne übersehen, sind aber wirkungsmächtiger und einflussreicher, als ihnen die Platzhirsche zubilligen. Man könnte sagen: Friedländer machte nichts von sich her – doch als Kunstschriftsteller und Experte für altniederländische Malerei setzte er Maßstäbe, und als zweiter Mann hinter Wilhelm von Bode, als Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts und sehr viel später auch Bodes Nachfolger schuf er Fakten, die den Kulturpolitikern heute viel Freude machen. Die großen Berliner Museen mit ihren prall gefüllten Magazinen sind Bodes und Friedländers Werk.
    Großpanorama des Kulturlebens im Zeitalter des Kulturimperialismus
    "Diese ganzen Museumsgründungen sind ja aus einem nationalistischen Geist entstanden. Der große Museumsforscher Gaehtgens hat da ja mal "Museumsimperialismus" genannt, was die da betrieben haben, Friedländer und Bode zu dieser Zeit. Die sind in die britischen Landhäuser reingefahren, in die spanischen Klöster, in die italienischen Villen und haben die Leute bequatscht und bedrängelt und ausgetrickst, dass sie ihnen die Bilder geben. Und dass sie dann in den Museen landen. Das haben nicht nur die Deutschen gemacht, das haben alle gemacht."
    Und so entfaltet Elsons Friedländer-Biographie ein Großpanorama des Kulturlebens im Zeitalter des Kulturimperialismus, vom späten 19. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Elson beschreibt die Geburt des modernen Kunstbetriebs – mit all seinen verschwiemelten Zügen, die er bis heute aufweist. Der private Kunsthandel, die staatlichen Museen, die unabhängigen Experten sind auf eine Weise miteinander verstrickt, die man als durchaus anrüchig bezeichnen könnte.
    "Bei Friedländer – und das hat er von seinem Chef Wilhelm von Bode gelernt – war das so, dass die Leute, die Expertisen haben wollten im großen Stil, zum Beispiel die amerikanische Kunsthandlung von Joseph Duveen, dass die verpflichtet waren, dem Museum Bilder zu schenken. Das heißt, Friedländer hat denen eine Dürer-Expertise gemacht und hat dann gesagt: "Ich möchte aber soundso viel Geld oder soundsoviel Bilder oder dieses Bild fürs Museum haben. Und das haben die Händler dann auch gemacht."
    "System Bode" nannten das die Zeitgenossen – ein System, das dennoch preußisch korrekt erschien, denn zu persönlichen Bereicherungen kam es nie. Der schon von Haus aus begüterte Friedländer war materiell ohnehin nicht verführbar.
    "Alle Zeitzeugen, die ihn beschreiben, beschreiben ihn als sehr bescheiden. Und er soll immer Bier so getrunken haben wie teuren Weißwein. Der einzige Luxus, den er wirklich hatte, ist, dass er dann, als er zum Beispiel nach Amerika gefahren ist, um dort die Kunstszene zu studieren, ist er dann schon Erste Klasse mit dem Ozeandampfer gefahren. Die kleinste Kabine Erster Klasse!"
    Kunst statt Sex
    Was aber macht diesen Menschen wirklich aus, diesen Fanatiker des genauen Blickes? Was treibt ihn sein Leben lang zig Mal um den Globus, nur um Bilder im Original zu betrachten?
    "Ja, das ist wirklich eine sehr, sehr gute Frage: Warum hat er sich so manisch mit Bildern beschäftigt? Wir sagen immer, wir leben in einer visuellen Kultur. Aber dass jemand sich wirklich so mit Bildern beschäftigt, mit Gemälden, mit Druckgrafik, mit Zeichnungen, das ist was ganz Seltsames. Ich hab es auch noch nicht ganz herausgefunden. Ich hab nur den Verdacht, dass diese Leute alle ein bisschen ähnlich sind. Die sind alle eher nicht sexuell. Oder haben nicht so eine starke sexuelle Ausprägung und verlagern ihr Sozial- und Gefühlsleben offensichtlich – so wie Friedländer das auch gemacht hat – sehr stark in diese Kunstwerke, vielleicht noch in die Beschreibung dieser Kunstwerke."
    "Es ist gut möglich, dass Friedländer mit 91 ungeküsst stirbt."
    ... spitzt Simon Elson zu, und zitiert den Hochbetagten, nachdem dieser einen Unfall erlitten hat:
    "Es kommt mir sonderbar vor: diese erstmalige Beschäftigung mit meinem Körper."
    Unter der schützenden Hand der Nazis
    Das Portrait eines nicht nur gegenüber anderen, sondern auch sich selbst Verschlossenen – keine leichte Aufgabe für einen Biographen. Auf küchenpsychologische Spekulationen verzichtet Elson gänzlich, lässt lieber karge Selbst¬mit¬tei¬lungen wirken wie die von der "seelischen Allergie", die Max J. Friedländer sich selbst attestierte. Wo Elson nichts findet, erfindet er auch nicht, sondern zitiert schreibende Zeitgenossen wie Ludwig Marcuse oder Harry Graf Kessler, um zumindest die Stimmung der Zeit einzufangen. Im Ergebnis schafft das ein dichtes und niemals langweiliges Panorama, mit dem Elson auch Leser anzusprechen vermag, die sich für kunsthistorische Problemlagen wenig interessieren. Denn zugleich ist das Buch immer auch eine Art Typologie der grauen Beamteneminenz, die sehr wohl etwas beabsichtigt, dabei jedoch niemals auffallen will. Das umfasst auch Friedländers jüdische Religion. Für ihn ist sie offenkundig bedeutungslos, bis sie die Nazis mit falscher Bedeutung aufladen. Der Ur-Preuße emigriert nach Amsterdam, wo er 1958 stirbt. Die deutsche Besatzung überlebt er, weil angeblich Göring selbst seine schützende Hand über ihn hält: Der größte Nazi-Kunsträuber benutzt die Expertise des größten Kunstkenners seiner Zeit.
    "Er selber hatte irgendwann einmal gesagt, man darf niemandem vorwerfen, dass er kein Held gewesen ist. Das Einzige, was ich Friedländer vorwerfe, ist, dass er nicht in die USA ausgewandert ist. Dann gäbe es jetzt wahrscheinlich dort ein Museum, das nach ihm benannt wäre oder fünf Lehrstühle oder irgend so was. Er hatte ein Angebot, er hätte dort nach Pennsylvania gehen können, aber er hat es ausgeschlagen, weil er eigentlich wie so viele ja auch dachte, dass mit dem Hitler, das erledigt sich bestimmt bald. Und: "Ach so schlimm sind die doch gar nicht! Und eigentlich möchte ich hier in der Nähe meiner Museen und meiner Bilder bleiben."
    Das hat er geschafft. Und es ist vielleicht auch die bleibende Botschaft dieses spröden Mannes und damit implizit auch die seines jungen Biographen: Kunst-Hingabe kann ein langes Leben erfüllen, mit Sinn und Sinnlichkeit.
    Simon Elson: "Der Kunstkenner Max J. Friedländer"
    Mit einem Nachwort von Florian Illies
    Verlag der Buchhandlung Walter König, 528 Seiten, 48 Euro