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Biokapital

Was haben der Krüger Nationalpark und der Thüringer Wald gemeinsam? Sehr viel, meint Autor Andreas Weber. Und er erzählt dem Leser vom Traum seines Interviewpartners. Mit ein bisschen guten Willen müsste sich doch aus zehn Quadratkilometer Land in Crawinkel ein Ökosystem zaubern lassen, das ebenso faszinierend und intakt ist wie der südafrikanische Nationalpark, der es mit rund 20.000 Quadratkilometern auf die Größe Hessen bringt.

Von Dagmar Röhrlich | 22.03.2009
    Dann sollen Touristen nach Crawinkel strömen, um sich die aus domestizierten Tieren zurückgezüchtete Auerochsen, Wildpferde und Wisente anzusehen oder die Hirsche und Hasen. Sie werden dafür ebenso gerne bezahlen, wie es die Besucher des Krüger Parks tun, um Elefanten zu sehen, Breit- und Spitzmaulnashörner, Nilpferde, Krokodile, Büffel, Gnus, Zebras, Impalas, Elenantilopen, Löwen, Leoparden, Geparden, Mungos, Glanzstare, Weißkopfseeadler…

    Ja, träumen kann man ja, und das macht Andreas Weber dann auch. In seinem Buch "Biokapital" will der Autor uns neue Wege in eine bessere Zukunft zeigen. Dazu müssen wir die "Wirtschaftsreligion" überwinden, die "alles dem ökonomischen Wachstum unterordnet" - und den Menschen zu seinen Wurzeln führen. Verdienstvoll ist, dass uns Weber den Wert der intakten Natur bewusst machen will, dass wir er uns dazu bringen will, in eine ökonomische Bilanz auch die ökologische Seite eines Produkts mit einzubeziehen, den Umweltschaden mit einzupreisen, den die Produktion oder der Gebrauch verursachen. Das ist als Idee nicht neu, nur wir handeln nicht danach.

    Deshalb fordert Weber ein radikales Umdenken, um das Biokapital, das heißt die Produktivität der Natur, zu bewahren. Weg vom Wachstumskurs, fordert er. Die Zeit des "immer mehr" ist vorbei, wir müssen die Grenzen des Systems anerkennen und uns von Konsumzwängen befreien. Das Wachstum des Bruttosozialprodukts allein ist kein Indikator für eine sinnvolle Entwicklung, wie das Beispiel China mit seinen erdrückenden Umweltproblemen zeigt. Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung, sondern Teil des Systems Erde. Seine Zivilisation wird nur überleben, wenn er das begreift und aufhört, sich zu verhalten, als existiere der Planet ihm zu Gefallen. In diesen Punkten möchte man Andreas Weber zustimmen - aber…

    In diesem Buch gibt es viele "Aber" - denn es ist ideologisch mit religiösen Zügen. Es fehlen am Ende noch nicht einmal die Zehn Gebote. Alles wird der Argumentation des Autors untergeordnet, wissenschaftliche Aussagen so lange verdreht, bis sie ins Konzept passen. Ein Beispiel: Wie Weber als Biologe Darwin so falsch verstehen kann, ist mindestens erstaunlich. Anders als der Autor glaubt, ist mit "survival of the fittest" nicht gemeint, dass sich der Stärkste durchsetzt, sondern derjenige, der besser an eine Umwelt angepasst ist. Absurd wird Weber, wenn er von Grashüpfern erzählt, die die meiste Zeit nichts tun und behauptet, dass sich das arme Tier nach "allen Regeln der Evolution" darum "abkämpfen" müsse, "so viel wie möglich zu fressen, so schnell wie möglich Kinder zu zeugen und so wenigen Artgenossen wie möglich dabei etwas übrig zu lassen". Mit Darwin hat das nichts zu tun, vielmehr verdreht Weber die Evolutionstheorie anscheinend um seiner eignen Argumentation willen.

    Weber meint es gut, wenn er vom Leben im Villgratental in den Osttiroler Alpen erzählt und eine Idylle heraufbeschwört, wo die Bauern nicht vom Skizirkus leben, sondern davon, dass sie die Wolle ihrer Schafe als "High-End-Wanddämmung" verkaufen oder das Fleisch ihrer Tiere an Feinschmeckerrestaurants. Was werden die Bergbauern machen, wenn alle anderen auch diese Nische bedienen wollen? Oder wenn es - wie Weber fordert - kein klassisches Wirtschaftswachstum mit monetären Profiten und Wohlhabenden mehr gibt, die diese Luxuspreise zahlen? Taugen seine rosaroten Rezepte für eine Welt, in der bald neun Milliarden Menschen leben, in der Nahrung und Wasser knapp sind, in der religiöse Konflikte schwelen oder ausbrechen, in der Ökosysteme zusammenbrechen und die Meere leer gefischt sind, in der sich vielleicht sogar die Menschen wieder aufmachen werden wie zu Zeiten der Völkerwanderung, jedenfalls fürchtet das die CIA?

    Der Autor träumt vom Bürgergeld. Er erzählt uns von der "Einheit der ökonomischen und ökologischen Kreisläufe", von der "fühlenden, schöpferischen Produktivität des Lebendigen", die zum Maßstab unseres Handelns werden soll und redet von Heimat. Es ist vom "Gekräusel der Hecken" die Rede, vom "klirrenden Lied" der Lerchen, oder vom "blassen Silber der Dämmerung", dass "die knorrigen Eichen an den Teichen zu Skulpturen aus einem vergangenen Märchenland erstarren lässt" und davon, dass "hinter den gekrümmten Eichenästen, eingewickelt in Dunkelheit, ungeahntes Leben schwillt".

    Nach solchen Landschaftsbeschreibungen fällt es schwer, sich wieder auf das Buch einzulassen. Aber wenn man seinem Impuls, das Buch ins Regal zu stopfen, nicht nachgibt, liest man auch ein paar gute Gedanken. Etwa dass in New York in den 90er Jahren die Wasserqualität so miserabel war, dass mehr als sechs Milliarden Dollar in einer Aufbereitungsanlage hätten investiert werden müssen, wenn es nicht eine viel bessere Alternative gegeben hätte. Die Stadt beschloss, im Umland Land aufzukaufen und dort nur noch Öko-Landbau zuzulassen. Das Wasser wurde wieder trinkbar. Die Maßnahme kostete nur eine Milliarde Dollar - und die Natur arbeitet seitdem umsonst. Wie gesagt, in manchem kann man dem Autor nur zustimmen, wenn er doch nur nicht so vom Sendungsbewusstsein und der eigenen Bedeutung, die er immer wieder gerne herausstellt, durchdrungen wäre. "Biokapital" ist ein Buch, an dem man sich reiben kann.

    Andreas Weber: Biokapital. Die Versöhnung von Ökonomie, Natur und Menschlichkeit
    ISBN 978-3-8270-0792-6
    Berlin Verlag, 239 Seiten, 19,90 Euro