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Biologie
Spermien zu Eizellen

Schon wenn das Spermium die Eizelle befruchtet, steht das biologische Geschlecht fest - bei Menschen wie Insekten. Was für den Körper als ganzen gilt, ist aber für einzelne Zellen offenbar weniger selbstverständlich, das haben amerikanische Forscher jetzt eher zufällig herausgefunden.

Von Joachim Budde | 28.01.2015
    Eine Fruchtfliege im Flug
    Die Forscher untersuchten Fliegen, bei denen einzelne Gene mutiert sind (dpa / Björn Brembs)
    Erika Matunis kennt sich mit den Geschlechtsteilen von Fliegen aus. Die Dozentin für Zellbiologie an der medizinischen Fakultät der Johns Hopkins Universität in Baltimore, USA, erforscht Stammzellen. Weil bestimmte Arten dieser Zellen auch in den Genitalien von Fruchtfliegen der Gattung Drosophila vorkommen, benutzt sie die Insekten als Modellorganismen.
    Vor Kurzem stutzte die Forscherin beim Betrachten von Mikroskopaufnahmen.
    "Wir suchten auf den Bildern eigentlich etwas ganz anderes, als wir bemerkten, dass mit den Genitalien etwas nicht stimmte. So etwas hatten wir nie zuvor gesehen."
    Die Forscher verwenden Fliegen, bei denen einzelne Gene mutiert sind, um die Funktion dieser Gene zu erforschen. Solche mutierten Tiere kann man ganz einfach bei spezialisierten Firmen bestellen. Der Stamm, den Matunis und ihre Kollegen bekommen hatten, hatte noch andere Gendefekte als erwartet.
    Was die Genetiker wunderte: Die Samenzellen in den Fliegenhoden sahen aus wie Eizellen. Als die Forscher das Gen aufgespürt hatten, dass für diese Veränderung verantwortlich ist, sorgte das für eine weitere Überraschung.
    "Die Fliege hatte eine Mutation in einem Gen, dessen Funktion bereits beschrieben war."
    Während die Fliegen heranwachsen, sorgt dieses Gen dafür, dass Stammzellen unverändert erhalten bleiben. Bisher unbekannt war, dass es auch in ausgewachsenen Tieren eine wichtige Rolle spielt. Ist es gestört, sehen die Fliegen direkt nach dem Schlüpfen noch ganz normal aus. Erst nach und nach verändern sich die Hoden.
    Zellen, die ihr Geschlecht wandeln
    Während bei heranwachsenden Fliegen schon früh festgelegt wird, welches Geschlecht sie haben, ist das bei bestimmten Stammzellen in den Hoden, den Keimzellen, anders, sagt Erika Matunis.
    "Diese Zellen müssen ständig an ihr Geschlecht erinnert werden, sogar in vollständig entwickeltem erwachsenen Gewebe."
    Wenn das Gen, mit dem Matunis arbeitet, beschädigt ist, erhalten die Zellen keine chemischen Erinnerungsbotschaften mehr und nehmen das weibliche Geschlecht an.
    "Weil es sich um Stammzellen handelt, breitet sich die Veränderung aus. Denn die Stammzelle teilt sich dauernd und erzeugt neue Zellen, die ebenfalls weiblich sind. Wir wussten bisher gar nicht, dass dieses Gen überhaupt etwas mit dem Geschlecht zu tun hat."
    Erika Matunis und ihre Kollegen haben also einen Schalter gefunden, mit dem sich das Geschlecht der Keimzellen wechseln lässt.
    Neue Forschungsmöglichkeiten
    Beim Menschen funktionieren diese Mechanismen ähnlich. Das haben andere Forschungsprojekte gezeigt. Darum eröffne die neue Erkenntnis interessante Forschungsmöglichkeiten, sagt die Wissenschaftlerin.
    "Wenn man Stammzellen beliebig von einem Zelltyp in einen anderen umschalten könnte, wäre das ein mächtiges therapeutisches Instrument. Wir glauben, dass unsere Fruchtfliege ein großartiges Modell sein kann, um die Umschaltmechanismen zu verstehen. Denn diese Wechsel liegen vermutlich vielen Krebsarten zugrunde."
    Man nimmt an, dass viele Tumoren aus Stammzellen hervorgehen, die dieselben Eigenschaften wie normale Stammzellen haben, jedoch mit einer wichtigen Ausnahme: Sie sprechen nicht auf die normalen biochemischen an, deshalb entwickeln sie sich zu Krebsgewebe. Wenn man die Unterschiede herausarbeiten könnte, wenn man sozusagen wüsste, wo der Schalter in den Krebszellen klemmt, wäre man ein großes Stück weiter.