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Bionik
Dem Truthuhn auf den Hals geschaut

Truthühner haben eine besondere Fähigkeit: Bei Aufregung verfärben sie sich mithilfe besonderer Fasern der Haut. Dieses Prinzip hat ein internationales Forschungsteam für die Entwicklung eines neuartigen Biosensors genutzt.

Von Jochen Steiner | 22.01.2014
    Ein Truthahn, aufgenommen am Donnerstag (30.09.2010) auf einem Bauernhof bei Bernbeuren (Oberbayern) durch die Zaunlatten seines Geheges.
    Aufgeregte Truthähne können anders gefärbt sein als ruhige Vögel. (picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand)
    Was bei den meisten Amerikanern zu Thanksgiving im Ofen landet, schaute sich Professor Seung-Wuk Lee von der Universität von Kalifornien in Berkeley im lebenden Zustand an - aus wissenschaftlicher Neugier:
    "Bei Truthühnern und -hähnen kann sich die Farbe der Haut an Kopf und Hals verändern. Sie ist rötlich, wenn der Vogel ruhig ist. Wenn er aufgeregt ist, können diese Körperpartien bläulich oder weiß werden. Der Mechanismus hinter diesem Farbenspiel interessierte mich."
    Unter dem Mikroskop kamen Lee und seine Kollegen dem Rätsel auf die Spur:
    "Auf der Haut des Truthuhns befinden sich gebündelte Kollagenfasern im Nanometer-Maßstab. Je nach Dicke dieser Bündel können sie Licht unterschiedlicher Wellenlänge brechen. Wenn die Truthühner aufgeregt sind, dann können diese Kollagenbündel entweder anschwellen, sie werden dicker, oder aber zusammenschrumpfen. So können aufgeregte Tiere anders gefärbt sein als ruhige Vögel."
    Dem Chemiker kam die Idee, diesen Farbumschlag als Vorbild für einen Biosensor zu nutzen, der verschiedene Chemikalien nachweisen kann. Das Team um Lee wollte die farbenprächtige Truthuhnhaut nachbauen. Aber: Kollagen ist schwer herzustellen und deshalb als Sensormaterial ungeeignet.
    "Deshalb haben wir ein Baumaterial gewählt, das dem Kollagen sehr ähnlich ist, aber flexibler, länger und dicker. Es ist eine Bakteriophage, ein Virus mit dem Namen M13."
    Bauen mit Viren
    Schon seit seiner Doktorarbeit verwendet Lee im Labor hergestellte Viren als Baustoff. Die Forscher ließen die M13-Phagen auf einem gelartigen Substrat wachsen, aber unterschiedlich schnell. Dadurch weisen die Virenbündel verschiedene Durchmesser auf, die Licht jeweils etwas anders brechen. Fällt Licht auf die Fasern erscheinen sie deshalb unterschiedlich gefärbt - genauso wie beim aufgeregten Truthuhn.
    Der fertige Sensor erinnert an ein pH-Indikatorpapier, so Lee:
    "Außerdem können wir mit gentechnischen Methoden die Phagen-Matrix so gestalten, dass unterschiedliche chemische Substanzen andocken können."
    Das hat zum Beispiel mit gasförmigen TNT-Molekülen funktioniert, aber auch mit Dämpfen von Ethanol oder Methanol. Docken diese Verbindungen an den Biosensor an, verändert sich der Durchmesser der Phagen-Bündel - letztendlich kommt es zu einem Farbumschlag. Dieser kann dann ausgewertet werden, zum Beispiel mit einem einfachen Smartphone. Dazu muss nur ein Vorher-Nachher-Bild des Teststreifens gemacht werden. Lee erklärt:
    "Wir können damit analysieren lassen, wie stark die Rot-, Grün- und Blaubereiche des CCD-Chips gereizt wurden. So wissen wir, wie viel Licht von welcher Farbe auf den Chip fiel."
    Auf diese Weise lasse sich leicht herausfinden, so Seung-Wuk Lee, wie viel von einer Substanz tatsächlich vorliegt.
    Der Chemiker sieht zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für seinen Biosensor. Eines Tages könnte er etwa im Atem von Diabetes-Patienten den Aceton-Gehalt messen. Dadurch wäre dann eine indirekte Überwachung des Glukosespiegels möglich - ohne Pieks in den Finger.