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Biopic über Zwingli
Die Reformation im Kino

Die Reformation in der Schweiz lässt sich bald vom Kinosessel aus genießen. Denn die Geschichte von Ulrich Zwingli ist ein Thriller und hat unterhaltsame Facetten: Alles, was ein Kinofilm braucht. Der kommt im Herbst in deutsche Kinos. Er beginnt damit, wie Zwingli vor genau 500 Jahren in Zürich einzog.

Von Peter Backof | 09.08.2019
Ulrich Zwingli (Max Simonischek)
Ulrich Zwingli (Max Simonischek) im Film „Zwingli – Der Reformator“ (W-film / C-Films)
Ein verschneiter Januartag vor 500 Jahren: Im Winter 1519 tritt Ulrich Zwingli die Stelle als "Leutpriester" am Zürcher Grossmünster an. Da ist er 35 Jahre alt. Und der Film "Zwingli – der Reformator" beginnt mit einem Panoramaschwenk der Kamera. Zürich, nicht viel größer als ein Dorf, aus heutiger Sicht. Und mithilfe von digitalen Effekten historisiert: Zwingli schaut sich um und sieht Menschen in Schandblöcken, von Folter gezeichnet; von Kindern verspottet. Marktstände, an denen Ablassbriefe verkauft werden. Dann eine Blende zu Anna Reinhart, Witwe und später Zwinglis Frau, die im Grossmünster betet und verzweifelt ist. An der Wand: Gemälde von Hölle und Fegefeuer. Ein galliges Szenario. Ein Klima der Angst!
Priester und Anna Reinhart im Dialog: "Ich weiß, wie sehr ihr euren Mann geliebt habt. Ich schließe ihn in mein Gebet ein. Wäre es nicht einmal wieder an der Zeit, eine Totenmesse zu lesen?" - "An Allerseelen hatte ich schon eine gezahlt!" - "Ja. Eine?" - "Ich habe drei Kinder!"
Kein didaktisches Reformationsepos
"Zwingli – der Reformator" bricht zwölf historische Jahre herunter zu einem zweistündigen Biopic: eine Auszugsbiografie, die Ulrich Zwinglis Zeit von 1519 bis zu seinem Tod 1531 behandelt und dramatisiert. Kluger Schachzug aus cineastischer Sicht: Von Anfang an ist Anna Reinhart zweite Hauptfigur.
Es gibt keine "allwissende" Erzählerkamera: Nur die Perspektiven von Anna und Ulrich machen den Film aus und reiben sich aneinander. Das ist packend. Ein Kostüm- und Ausstattungsfilm, ja! - aber kein didaktisches Reformationsepos! Keine Jahreszahlen und Off-Stimmen, die für historische Glaubwürdigkeit der Szenen stehen würden, sondern: Drama pur.
Anna Reinhardt (Sarah Sophia Meier) im Film "Zwingli – Der Reformator"
Zwinglis Frau Anna Reinhardt (Sarah Sophia Meier) (W-film / C-Films)
Zwingli: "Wer von euch kennt dieses Buch wirklich? Unsere Bibel! In diesem Buch spricht Gott mit uns. Aber wer kann das verstehen, was er sagt? Von heute an will ich euch das Neue Testament vorlesen. Und zwar auf Deutsch, in unserer Sprache! Ich beginne mit dem Matthäus-Evangelium."
Predigt Zwingli, der von dem Humanisten Erasmus von Rotterdam inspiriert und begeistert ist. Zwingli ist Priester, seit er 22 ist und in den eidgenössischen Kantonen bekannt, als eloquenter Mann mit neuen Ideen. Überhaupt: Predigen! Auf Deutsch! Das sind neue Töne. Der Film, das muss man dazu sagen, ist teils nachsynchronisiert. Das Schweizerdeutsch des Originals, das in der Schweiz bereits zum letzten Reformationstag in die Kinos kam, wird ein deutsches Publikum zum Kinostart rund um den kommenden Reformationstag kaum verstehen. Im Film kommt dann auch Humor hinzu:
"Wie war das genau? Der Abraham hat den Isaak geboren, der Isaak hat den Jakob geboren? Und der Jakob?" - "Wie haben die denn eigentlich geboren? Es braucht doch keinen Bullen, sondern eine Kuh!" - "Was meint ihr denn?" - "Wenigstens versteht man mal was."
"Fang nicht an, hier herumzufuhrwerken wie der Luther!"
Generalvikar Faber und Zwingli: "Zwingli, der große Humanist! Wie viele Jahrzehnte brauchst du, um uns die ganze Bibel zu erklären?" - "Unserem Herrgott pressiert es nicht." - "Fang mir einfach nicht an, hier herumzufuhrwerken wie der Luther!"
Zwingli wird dargestellt von Maximilian Simonischek, ein charismatischer, athletischer Typ. Gute Besetzung! Wie es Zwingli schnell gelingt, die Zürcher Gesellschaft für seine Reformideen für die Kirche zu interessieren und sogar zu begeistern, das wirkt glaubhaft, zumindest aus heutiger Sicht.
Ablasshandel, vom Klerus gezeugte und verheimlichte uneheliche Kinder, der Zölibat als solcher: Weg damit! Alle sollen lesen können! Und man sollte mehr für die Armen tun! Ulrich Zwingli ist als Mensch der Neuzeit gezeichnet und steht – zu Anfang des Films – wie ein Kinoheld da. Doch dabei bleibt es nicht. Noch etwas hält 1519 Einzug in Zürich: die Pest.
Historische Kulisse
Bei der historischen Kulisse wurde mit digitalen Effekten nachgeholfen (W-film / C-Films)
Leichenwagen durchkämmen die Stadt. Auch Ulrich Zwingli erkrankt. Anna Reinhart fasst sich ein Herz und pflegt den Mann. Eine barmherzige Tat, ein Tabubruch. Sich mit Pestkranken abzugeben: lebensgefährlich! Es ist auch: der Anfang einer Liebesgeschichte. Und tatsächlich überlebt Zwingli die Seuche. Eine Schlüsselszene. Das festigt sein Gottvertrauen und sein theologisches Profil: Zwischen Gott und den Menschen soll nichts stehen. Die Institution der Kirche stört oder handelt falsch! Eine ungeheuerliche Aussage. Nur weil Zwingli vom Zürcher Stadtrat protegiert wird, darf er predigen, während kirchliche Kräfte versuchen, ihn als Ketzer anzuklagen. Es kommt zu einer "Disputation", einer Aussprache im Stadtrat, mit 900 Besuchern. Zwingli:
Zeitgeschichtlich präzise
Zwingli, Stadtrat, Generalvikar: "Ich bin bereit alles zu hinterfragen. Auch mich selber. Messt meine Worte an der heiligen Schrift. Sola scriptura! Also, Generalvikar Faber: Wo in der Bibel steht, dass man in der Fastenzeit kein Fleisch essen darf?" - "Das ist nicht der Punkt. Wenn man sich nur auf die Heilige Schrift abstützt, dann verleugnet man eine tausendjährige Tradition." - "Zeig mir die Stelle in der Bibel, wo das Fegefeuer vorkommt! Zeig mir, wo Jesus Söldner anstellt und ein Volk gegen ein anderes aufhetzt!"
Dem Generalvikar gehen die Argumente aus, befindet der Rat. Zwingli darf weiter predigen, weiter reformieren. Es zeigen sich aber zunehmend die Schwierigkeiten der Reformation und die Komplexität der Schweizer Gesellschaft der damaligen Zeit. Freiheit, Unabhängigkeit, das sind zentrale Begriffe in der Schweiz. Doch wie sich positionieren zwischen Kaiser, Papst und den Franzosen? Der historische Ulrich Zwingli lebte genau in dieser Gemengelage und war Kriegsteilnehmer auf der Seite des Papstes, vor seiner Zürcher Zeit. Den Film versteht man aber auch ohne Vorwissen: der zeitgeschichtliche Hintergrund taucht in Dialoge verwoben auf; und das auch präzise, wie Historiker dem Film bescheinigen.
"Zwingli – der Reformator" funktioniert aber vor allem auch als Film. Immer wieder wegen der Figur Anna Reinhart, gespielt von Sarah Sophia Meyer, die quasi als Einzelperson den Schritt vom Mittelalter in die Neuzeit macht, wie in dieser Marktszene:
"Zwanzig Würste haben sie gefressen, beim Froschauer, zwanzig Würste!" - "Nichts ist denen heilig" - "Und die prahlen noch damit, diese Ketzer!" - "Vielleicht seht ja wirklich nichts vom Fasten in der Bibel." - "Halt’s Maul! Hast du etwa die Bibel gelesen?" - "Nein, aber ich würd’s gern können. Ihr nicht?" - "Das ist Gotteslästerung!" - "Ich hätte gerne sechs Forellen."
Ambivalent wie eine Shakespeare-Figur
Anna lernt langsam lesen, zum Beispiel die Schrift "Von der Freiheit der Speisen", von Zwingli, die als Pamphlet durch Zürcher Straßen flattert und fordert: Jeder Christ, jede Christin könne selbst entscheiden, ob er oder sie freitags Fisch oder Fleisch isst. Zwinglis Ideen treffen auf Wohlwollen beim Stadtrat. Der katholischen Kirche indes sind sie mehr als ein Dorn im Auge.
Was den Film besonders macht: Er tut nicht so, als wäre durch Zwingli ein Schalter vom Mittelalter auf die Neuzeit umgelegt worden: Es gibt kein Progressiv versus Reaktionär, sondern diese Zeit ist wirr und zerrissen. Da gibt es auch innerhalb der Reformbewegung Kräfte, die sich radikalisieren und das Neue schneller herbeiführen wollen. Das ginge nur durch Gewalt. Und das bricht immer mehr auch Ulrich Zwingli selbst. Er ist ambivalent wie eine Shakespeare-Figur, fordert zum Beispiel die Abschaffung des Zölibats – aber selber heiraten? Anna heiraten, die inzwischen von ihm schwanger ist? Ihn plagen lange Skrupel.
Das Auseinanderklaffen von Haltung und Handeln plastisch zu machen, das Menschliche, das macht die Qualität von "Zwingli – der Reformator" aus. Die Gewissenskonflikte, der Machtpoker um die Reformation gehen noch viel weiter im Film, aber das kann man sich dann im Kino ansehen.
Ulrich Zwingli (Max Simonischek)
Zwingli wird im Film zu einer ambivalenten Figur (W-film / C-Films)
Anna und Ulrich: "Schickt sie nicht in Schlachten, in denen sie verrecken! Wer hat das gepredigt, häh?" - "Ich war stets dafür, für eine gerechte Sache zu kämpfen!" - "Du hast mir von den Soldaten erzählt, die wie wilde Tiere werden." - "Ich will nicht für fremde Herren in den Krieg ziehen. Ich will für den Herrgott kämpfen."
Das Drama kippt um in eine Tragödie. Zwinglis Versuch scheitert, Kräfte der Reformation zu einigen, zum Beispiel durch einen Brief an Martin Luther. Am Ende der Handlung steht der Zweite Kappelerkrieg, ein Schweizer Bürgerkrieg. Zwingli kommt darin um, wird verstümmelt und verbrannt. Die genauen Ereignisse sieht man nicht in diesem Film, der mit einem Budget von sechs Millionen Euro entstand und oft als Kammerspiel inszeniert ist. Es fehlt einem auch nichts.
"Zwingli – der Reformator" will kein Historienschinken sein, der auf Bilder setzt. Sondern der Film punktet mit der Plastizität und Glaubwürdigkeit von Motiven und Gedanken; und erzählt von den Schwierigkeiten jeder Reformation oder Revolution. Das ist absolut sehenswert!
"Zwingli – Der Reformator"
Deutscher Kinostart: 31. Oktober 2019