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Biotechnologie
Bakterien unter Strom

Die moderne Biotechnologie füttert Mikroorganismen mit Kohlenhydraten und lässt sie dann für sich arbeiten. Viele Substanzen werden mittlerweile so hergestellt: beispielsweise Zitronensäure, Nahrungsergänzungsmittel oder Aromastoffe. Forscher wollen die Technologie nun weiter entwickeln: im Zusammenspiel mit Elektrochemie.

Von Arndt Reuning | 18.06.2015
    In der Bio-Elektro-Synthese kommen zwei Welten zusammen, die bisher getrennt voneinander existierten, sagt Falk Harnisch vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, UFZ.
    "Und zwar die Welt der Elektrochemie, also das Antreiben von chemischen Umwandlungsprozessen mithilfe von elektrischem Strom, und die klassische Biotechnologie."
    In der klassischen Biotechnologie erzeugen Bakterien und Pilze hochwertige Chemikalien, indem sie Zuckermoleküle umbauen. Einen gewissen Teil dieser Kohlenhydrate benötigen sie jedoch auch, um sich selbst mit Energie zu versorgen. Eigentlich zu schade um den recht teuren Rohstoff, findet der UFZ-Experte aus Leipzig. Denn Energie können manche Bakterien auch aus Strom beziehen, etwa aus überschüssigen Kapazitäten der Windenergie.
    "Und wenn ich jetzt diesen Anteil an Molekülen, die ja nur zur Energiegewinnung verwendet wird und nicht in mein Endprodukt fließt, durch elektrischen Strom ersetzen kann, habe ich natürlich einen starken verfahrenstechnischen Vorteil."
    Dazu tauchen in das Fermentationsgefäß, in dem die Bakterien ihre Arbeit verrichten, zwei Elektroden ein. Mit deren Oberfläche können die Mikroorganismen Ladungen austauschen und sich so ihre Extraportion Energie abholen. Dass sich mit diesem Verfahren tatsächlich Geld sparen lässt, haben Falk Harnisch und seine Kollegen durchgerechnet. Und zwar am Beispiel der Aminosäure Lysin. Als Nahrungsergänzungsmittel werden davon jährlich einige hunderttausend Tonnen durch klassische Fermentation hergestellt. Würde man die Bakterien zusätzlich mit Strom versorgen, könnte man am Zucker sparen.
    "Wenn man das mal auf die heutigen Anlagen hochrechnen würde, was natürlich jetzt nicht 1:1 geht, weil ich Investmentkosten und dergleichen noch mit betrachten muss, hätte man bei derzeitigen Marktpreisen bereits einen Ersparnishorizont von ungefähr zehn Prozent. Das hängt ein wenig davon ab, ob ich mich auf dem US-amerikanischen Markt bewege oder auf dem europäischen."
    In absehbarer Zeit erste industrielle Anlagen?
    Doch längst nicht alle Mikroorganismen sind dazu in der Lage, die elektrischen Ladungen von der Oberfläche der Elektroden zu verwerten. Die Juniorprofessorin Miriam Rosenbaum beschäftigt sich damit, wie man diese Fähigkeit genetisch in etablierten Stämmen von Mikroorganismen verankert. In ihrem Labor an der RWTH Aachen arbeitet sie daran, Bakterien der Art Pseudomonas putida förmlich zu elektrisieren.
    "Kollegen bei uns am Institut arbeiten schon lange mit Pseudomonaden, die Seife herstellen. Und ein großes Problem bei der Produktion ist, dass diese Reaktoren schäumen, was ja die Funktion von Seife ist. Und die schäumen, weil der Organismus, das Bakterium ganz viel Luft und Sauerstoff braucht."
    Diese Luft wird daher ständig durch das Reaktionsgefäß hindurch geleitet, wodurch allerdings auch die störenden Blasen entstehen.
    "Und unsere Idee ist jetzt, einen Teil des Sauerstoffs weg zu nehmen und dafür aber eine Elektrode anzubieten."
    Die Biochemikerin hat daher den Bakterien die Fähigkeit verliehen, eine Substanz herzustellen, die elektrische Ladungen von den Zellen auf die Elektrodenoberfläche übertragen kann, ein Elektronentaxi sozusagen. Dadurch können die Bakterien nun neben dem Sauerstoff auch den Strom als Energiequelle nutzen.
    "Und wir können die Begasung der Reaktoren vermindern. Und damit hoffen wir in Zukunft - das haben wir noch nicht gesehen und getestet, das ist der nächste Schritt der Forschung - dass diese Bioseifenproduktionen ohne dieses Schäumen auskommen und damit eine Produktion, eine großtechnische Produktion vereinfachen würden."
    Und so dürften auf dem noch jungen Forschungsgebiet der Bio-Elektro-Synthese schon in absehbarer Zeit die ersten industriellen Anlagen zu erwarten sein.