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Biowaffe Vogelgrippe

Biologie.- Die Vogelgrippe (H5N1) ist nicht von Mensch zu Mensch übertragbar - noch nicht. Ein Forscherteam aus Rotterdam hat jetzt ein H5N1-Virus kreiert, mit dem sich Menschen gegenseitig anstecken können. Das Fachblatt "Science" lehnte es ab, die brisanten Ergebnisse zu veröffentlichen: zu gefährlich. In den USA befasst sich jetzt das Nationale Gremium für Biologische Sicherheit mit der Studie.

Von Marieke Degen | 28.11.2011
    Der Autor des Papers ist Ron Fouchier, ein renommierter Grippeforscher von der Erasmus Universität in Rotterdam. Er selbst darf sich im Moment noch nicht dazu äußern, schreibt er in einer E-Mail an den Deutschlandfunk. Ron Fouchier hat seine Studie aber schon auf Konferenzen vorgestellt. Und auf einer davon war der Virologe Daniel Perez von der Universität von Maryland. Er kann sich gut an den Vortrag erinnern.

    "Die Frage Nummer eins ist ja: warum kann H5N1 nicht von Mensch zu Mensch springen? Was fehlt dem Virus dafür, wie müsste es sich verändern? Und Ron Fouchier hat eben gezeigt, was passieren muss, damit das Virus von Mensch zu Mensch springen kann."

    Zuerst, sagt Daniel Perez, haben die niederländischen Forscher das Virus im Labor genetisch manipuliert und dann immer wieder Frettchen damit infiziert. Im Frettchenkörper hat sich das Virus weiter verändert. Irgendwann haben sich die Versuchstiere gegenseitig angesteckt, über die Luft, durch Tröpfcheninfektionen. Das Virus blieb genauso gefährlich wie eh und je: Die Frettchen sind reihenweise gestorben. Das Fazit: Fünf Mutationen reichen aus, um H5N1 genauso ansteckend zu machen wie eine normale Grippe. Und jede einzelne dieser Mutationen sei schon einmal in der Natur beobachtet worden, sagt Daniel Perez.

    "Wir müssen immer vorsichtig sein, wenn wir solche Ergebnisse auf den Menschen übertragen. Aber das Frettchen ist nun mal das beste Tiermodell für die Grippe beim Menschen. Und deshalb gehen wir davon aus: Was immer den Frettchen passiert, kann auch den Menschen passieren."

    Wie der "New Scientist" berichtet, hat Ron Fouchier seine Studie beim Fachblatt "Science" eingereicht. Jetzt liegt sie beim US-amerikanischen Nationalen Gremium für Biologische Sicherheit. Es soll mit darüber entscheiden, ob die Studie überhaupt veröffentlicht wird. Viele befürchten, dass eine Veröffentlichung verheerende Folgen haben könnte. Auch der Mediziner Donald A. Henderson. In den 70er-Jahren hat er mit seinen Kollegen von der Weltgesundheitsorganisation die Pocken ausgerottet. Heute arbeitet er am Zentrum für biologische Sicherheit an der Universität von Pittsburgh.

    "Der Forscher liefert ja eine Bauanleitung für diese extrem gefährliche Version von H5N1. Andere Forscher würden auch mit dem Virus arbeiten wollen. Und dann könnte so ein Virus aus einem Labor entwischen. Auch wenn Virologen sehr sorgfältig damit umgehen – Fehler passieren nunmal, und hin und wieder gelangt auch mal ein Virus ins Freie."

    In den 70er-Jahren sei das schon mal passiert, sagt D.A. Henderson. Damals sei wie aus dem nichts ein Grippevirus aufgetaucht, das große Ähnlichkeiten mit der spanischen Grippe von 1918 hatte.

    "Das Virus hat sich schnell verbreitet, aber glücklicherweise hat es die Menschen nicht so schwer krank gemacht wie 1918. Dieses Virus ist aus einem Labor entfleucht. Da gibt es keinen Zweifel."

    Die andere Befürchtung: Terroristen könnten aus dem Virus eine Biowaffe machen.

    "Meiner Meinung nach wäre H5N1 die gefährlichste Biowaffe überhaupt. Nur zum Vergleich: bei der Spanischen Grippe von 1918, einer der bislang schlimmsten Epidemien, sind zwei bis drei Prozent der Erkrankten gestorben. An der Vogelgrippe sind bislang 50 Prozent aller Erkrankten gestorben. Also selbst wenn das Virus aus dem Labor nur fünf oder zehn Prozent aller Infizierten töten würde – das wäre eine globale Katastrophe! Deshalb sage ich: Die Studie sollte nicht veröffentlicht werden."

    Der Virologe Daniel Perez sieht das ganz anders. Das Fachmagazin Science sollte die Studie auf jeden Fall veröffentlichen. Denn: H5N1-Viren kommen in vielen Ländern vor, vor allem in Indonesien und in Ägypten. Das Virus, das Ron Fouchier kreiert hat, sei wahrscheinlich längst da draußen.

    "Das H5N1-Virus, das zuerst einen Menschen befallen hat, stammt nicht aus einem Labor, es stammt aus der Natur. Und während wir diskutieren, ob die Studie veröffentlicht werden darf, gibt es dieses Virus wahrscheinlich schon längst. Es hat nur zufällig noch nie einen Menschen infiziert."

    Ron Fouchiers Arbeit sei wichtig, um H5N1 besser kontrollieren zu können. Die Forscher wüssten dann nämlich, wonach sie suchen müssen.

    "Wenn Wissenschaftler in den betroffenen Ländern ein H5N1-Virus finden, das dieselben Mutationen aufweist wie Ron Fouchiers Virus aus dem Labor, dann ist klar, dass sie etwas unternehmen müssen."

    Mithilfe der Studienergebnisse könne man außerdem einen besseren Impfstoff herstellen.

    "Wir könnten sehr früh einen Impfstoff entwickeln, der Menschen zuverlässig vor diesem gefährlichen H5N1-Virus schützt. So dass wir vorbereitet sind, wenn es auftauchen sollte."

    Aber eines, sagt Daniel Perez, ist auch klar: Für Viren ist die Natur das beste Versuchslabor überhaupt. Vielleicht schafft es H5N1 irgendwann tatsächlich, von Mensch zu Mensch zu springen. Vielleicht sieht dieses Virus dann auch tatsächlich so aus wie das Virus aus Rotterdam. Es könnten aber auch ganz andere Mutationen dazu führen, dass das Virus gefährlich für den Menschen wird. Das Nationale Gremium für biologische Sicherheit will seine Stellungnahme bald veröffentlichen. Dann muss das Fachmagazin Science entscheiden, ob es die Studie druckt oder nicht.