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Bittere Geschichte ist zu rekapitulieren

Die Vorstellungen, wie das Reformationsjubiläum 2017 gemeinsam begangen werden kann, gehen zwischen katholischer und evangelischer Kirche auseinander. Friedrich Schorlemmer und Wolfgang Thönissen im Streitgespräch (Teil 2) über verpasste ökumenische Chancen, die Rolle Martin Luthers und wechselseitige Zumutungen.

Moderation: Matthias Gierth | 07.05.2013
    Matthias Gierth: Im Jahr 2017 begeht die Christenheit das große 500-jährige Reformationsjubiläum. Droht dieser Termin zu einem ökumenischen Stolperstein zu werden?

    Wolfgang Thönissen: Nein, das denke ich nicht. Ich bin geradezu vom Gegenteil überzeugt, da ich jetzt nun auch für die Weltkirche wie auch für die deutsche Kirche gerade hier in einem tiefen Gespräch bin, sowohl mit dem Lutherischen Weltbund wie mit den Verantwortlichen der EKD. Wie können wir 2017 auch – ich sage und betone das auch – gemeinsam – jetzt nehme ich das Wort durchaus in den Mund – feiern. Wobei ich das Wort Feiern noch mal in Anführungszeichen setze, weil, wenn wir feiern – und wir haben was zu feiern, nämlich dass wir uns wirklich echt und in der Tiefe nähergekommen sind -, dann dürfen wir aber nicht vergessen, dass wir auch eine bittere Geschichte rekapitulieren müssen. Das dürfen wir beim Feiern nicht vergessen. Es geht also nicht darum, dass wir uns die Hände reichen und uns sagen, alles ist jetzt geklärt und in Butter, sondern wir müssen diese schwierige Geschichte seit dem 16. Jahrhundert mitnehmen. Vor der müssen wir uns verantworten. Wir müssen auch sehen, da sind Kriege gewesen, Auseinandersetzungen, die vielen Tausenden und Abertausenden von Menschen das Leben gekostet haben. Das dürfen wir nicht vergessen.

    Gierth: Aber sind das nicht Versuche, sich gegen ein positives Verständnis der Reformation abzugrenzen?

    Thönissen: Überhaupt nicht. Ich denke, das Reformationsgedenken, so wie es die Evangelischen in Deutschland ja selber halten, heißt ja auch am 31. Oktober – wenn man in die Agende hineinschaut – Reformationsgedenken. Es hat den Anteil der Buße und es hat den Anteil der Feier, der Freude und des Dankens. Wir brauchen ja nur das aufzugreifen. Und dafür plädiere ich. Dass wir selbstverständlich den Dank und die Freude in den Mittelpunkt stellen, dass wir das andere aber nicht vergessen. Wir müssen beides – und das ist jetzt unsere Frage, wie kriegen wir beides so miteinander verbunden, dass wir die verschiedenen Anliegen, die wir haben, miteinander – sagen wir einmal – in einer versöhnten Verschiedenheit leben und zum Ausdruck bringen. Das ist meines Erachtens die Herausforderung für 2017.

    Friedrich Schorlemmer: Da stimme ich ganz mit Ihnen überein, will nur noch dies hinzufügen. Wir müssen uns auch redlich erinnern, das haben ich auch gesagt, warum ist es denn zu dieser Kirchenspaltung gekommen, die eigentlich Kirchenerneuerung wollte. Wenn ich gerade die frühen Schriften Luthers, der später ja auch so etwas Päpstliches hatte, nun ja, aber der frühe Luther wollte einfach, er wollte, dass die Kirche sich auf das Wesentliche wieder zurück besinnt. Er wollte Kirchenreform nicht -spaltung. In der Überschrift "Ecclesia semper reformanda", also die Kirche, die sich immer wieder reformieren muss, und Gott darf nicht zum himmlischen Schacherer gemacht werden, bei dem man Ablass kaufen kann. Das waren die Dinge von damals. Und auch die Ausschweifungen der Renaissance-Päpste – das passte eigentlich nicht zu dem Evangelium. Und dass wir dies alles bedenken – auch wie es etwa zum 30-jährigen Krieg gekommen ist, den ja der Erasmus von Rotterdam schon vorausgesagt hatte. Also das Jubiläum muss erstens diese Buße tun, das Luthers 95 Thesen schon hervorholt, muss Abbitte einbeziehen und dann eine Umkehr von uns allen. Dann können wir auch dies Ereignis feiern, weil wir sagen, das haben wir glücklicherweise hinter uns gelassen, wir schauen es aber noch mal an. Tun einander Abbitte und dann feiern wir auch, dass es anders zwischen uns geworden ist. Ich finde, das sollten wir auch feiern und nicht nur die Profilierung, auch feiern, dass wir miteinander in dieser Zeit, das Zeugnis Christi in die Welt tragen.
    Thönissen: Ich denke auch, Luther ist für uns Katholiken eine geistliche und eine theologische Herausforderung – heute noch. Und das sollten wir auch in den Mittelpunkt stellen. Dabei können wir zeigen, was uns Luther ja auch gebracht hat. Es ist ja nicht etwas nur, was uns verloren gegangen ist, sondern was er uns auch mitgebracht hat, worauf er uns hingewiesen hat. Ich denke, in der Figur eines Franziskus wird das sicher deutlich. Hier sind doch gemeinsame Wurzeln da, wenn ich das richtig lese. Gerade in dieser franziskanischen Frömmigkeit.

    Gierth: Ich muss jetzt noch mal ein bisschen Wasser in den Wein gießen, denn, wenn man sich die letzten Monate anschaut, dann war doch auch auf der Ebene der Kirchenleitungen die Verständigung über die Frage, wie eine gemeinsame Sicht auf die Reformation gewonnen werden kann, sehr schwierig.

    Thönissen: Also, ich kann jetzt nur sagen, dass der lutherische-katholische Dialog auf Weltebene in Juni ein Dokument präsentieren wird, vom Konflikt zur Gemeinschaft, wo wir diesen Fragen wirklich in aller Ernsthaftigkeit nachgegangen sind. Darin finden sich eine Reihe von wichtigen Hinweisen, wie wir mit dem Gedenken und den Feiern umgehen können. Also, was wir berücksichtigen müssen, was wir bedenken müssen. Was verstehen wir unter Reformation. Aber eben auch, was Luther eingebracht hat und wie die katholische Kirche darauf reagiert hat – durch das Konzil von Trient, das II. Vatikanum. Was dann an gemeinsamen Lernprozess daraus geworden ist. Ich finde, das ist eine ganz spannende Geschichte. Und ich hoffe, dass dieses Dokument auch in Deutschland gelesen wird – es wird auf Deutsch auch publiziert werden im Laufe des Sommers – und dass es zu Diskussionen anregen wird. Das ist meine große Hoffnung.

    Schorlemmer: Also ich finde das sehr schön, dass Sie an Luther anknüpfen wollen. Nur da hat Benedikt XVI. etwas verpasst. Er hat im kleinen Kreise anerkannt das Gottesringen Luthers, aber er hat nicht ein Wort gesagt darüber, dass Luther ein Befreiter wurde von dem Angst-Gott. Und das ist, denke ich, für uns gemeinsam wichtig, dass wir nicht weiterhin Angst-Gott verbreiten. Luther hat mal gesagt, der Glaube ist und soll sein ein "Stehfest des Herzens". Da trennt uns doch nichts, wenn wir sagen, Glaube ist ein "Stehfest des Herzens". Und Gott ist jemand, der uns befreit und dann in die Verantwortung hineinfordert.

    Gierth: Welche Art der Beteiligung der katholischen Kirche wünschten Sie sich, Herr Schorlemmer?

    Schorlemmer: Also wirklich gemeinsame Gemeindefeste und Gemeindegottesdienste in diesem Jahr 2017 und das können auch symbolische Handlungen werden einer inneren Versöhnung miteinander. Und das Zweite: Dass wir einander sagen, was wir voneinander lernen können, und nicht sagen, was uns voneinander trennt, sondern was uns aneinander fasziniert. Wenn ich manchmal sehe, wie karg unsere Gottesdienste gestaltet werden, dann sehne ich mich manchmal nach der besonderen Feierlichkeit einer katholischen Messe. Wenn ich dann eine richtige, nach aller Ordnung zelebrierte, Messe sehe, dann sehne ich mich nach der Dürftigkeit aber Menschlichkeit eines evangelischen Gottesdienstes. Also, dies Miteinander. Und ich denke, dass deutlich bleiben muss, dass hier nicht eine sozial engagierte Gemeinschaft zusammenkommt, sondern eine, die durch Christus gerufen wird, sich den Nöten der Welt zuzuwenden. Da heißt also, die Spiritualität ist die Voraussetzung für das, was wir dann im Sozialen, Politischen und Gesellschaftlichen tun.

    Thönissen: Ich würde das auch noch mal unterstreichen. Ich denke, das ist ganz wichtig, was Sie, Herr Schorlemmer, gesagt haben, dass wir im Blick auf Jesus Christus diese Gemeinsamkeit leben und dass wir sie ausdrücken. Alles andere, was sozusagen an sozialer Verständigung oder Inhalten dann darüber kommt, das folgt daraus. Es ist aber nicht das Erste. Ich glaube, wenn wir diese wichtige Reihenfolge in dem Blick haben, dann haben wir eine Gemeinsamkeit, die uns auch Freude machen wird.

    Gierth: Wie würden Sie sich als katholischer Partner wünschen, Herr Thönissen, dass die evangelische Seite auf Sie zukommt?

    Thönissen: Die muss ja vielleicht nicht auf uns zukommen, aber vielleicht hören, was wir einzubringen haben. Und ich denke, wir haben einiges einzubringen. Wir beschäftigen uns voll und ganz mit Luther, nicht nur mit Luther alleine, sondern auch mit dem, was daraus geworden ist. Und dass wir vielleicht darin auch wahrgenommen werden, dass die Fragen, die wir haben, nicht einfach beiseite gestellt werden, sondern sagen: Ja, wir lassen uns darauf selbst auch herausfordern. Und wenn wir die gegenseitigen Zumutungen, die das Gemeinsame behält, wirklich ernst nehmen und auch uns nicht zu schade sind, sie zu nennen, dann kann daraus, wie ich finde, durchaus etwas Erfreuliches werden.

    Schorlemmer: Herr Thönissen, ich habe ja eine Bitte an Sie. Ich habe ein kleines Buch herausgegeben mit einem katholischen Verlag, dem Herder-Verlag, was protestantische Texte aus 500 Jahren, die wichtig sind. Schauen Sie da mal rein, zu welchen Sie auch Ja und Amen sagen können. Und dann schenken Sie mir ein Buch, was katholisch ist, wozu ich Amen sagen kann.