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Bizarres wiederentdeckt

Asmus Tietchens, Conrad Schnitzler, Hans-Joachim Roedelius oder Kluster – diese Musiker sind Pioniere der elektronischen Musik aus Deutschland. Ihre Alben sind lange vergriffen. Doch sie werden von Gunter Buskies und sein Hamburger Label Bureau B wiederveröffentlicht.

Mit Sascha Ziehn | 03.08.2013
    Sascha Ziehn: Haben Sie denn diese beiden angesprochenen Kluster LPs auch als Originale in Ihrem Schrank stehen?

    Gunther Buskies: Also, leider ich persönlich nicht. Ich musste mir die von den Künstlern zuschicken lassen, damit wir sie abfotografieren können und grafisch so original wie möglich nachbauen konnten. Allerdings mussten wir auf die sehr aufwendigen Originalverpackungen mit Plastik und Relief verzichten, um sie noch zu einem normalen Vinylpreis anbieten zu können.

    Ziehn: Was sind das für Wiederveröffentlichungen, die Sie bei Bureau B machen? Gibt es da eine Art Konzept?

    Buskies: Bureau B hat sich vor 5, 6, 7 Jahren darauf konzentriert, spannende elektronische Musik der – grob gesagt – 70er und 80er Jahre wieder zu veröffentlichen. Das kam daraus, dass ich für Universal Music damals im Backkatalog-Bereich mir den ganzen Brain-Katalog angeguckt hatte und einige Platten gefunden hatte, die ich sehr schön fand, und da bin ich zum ersten Mal mit dieser Musik in Berührung gekommen.

    Ziehn: Also: Dieses alte Krautrocklabel Brain meinen Sie?

    Buskies: Genau, die Platten von Harmonia und der Nachfolgeband von Kluster, dann mit "C" geschrieben, sind dort erschienen. Und so bin ich auf die Suche gegangen nach weiterer Musik aus dieser Epoche, die mir persönlich gefällt, die spannend ist und Normen durchbricht, sag ich mal. Und daraus wurden mittlerweile an die 100 Veröffentlichungen.

    Ziehn: Viele dieser Platten sind in sehr kleinen Auflagen veröffentlicht worden, eben auch diese beiden Kluster LPs. Ist es da eigentlich schwierig, an die Originalaufnahmen oder Originalbänder ranzukommen?

    Buskies: Wir haben eigentlich immer direkten Kontakt mit den jeweiligen Künstlern, sofern sie noch leben - und im Fall von Conrad Schnitzler, der leider gestorben ist, eben mit seiner Witwe. Und wir haben dadurch auch direkten Zugriff auf die persönlichen Archive der Künstler und arbeiten immer vom Originalmaterial aus.

    Ziehn: Wie wichtig ist das denn für Sie als Label, dass diese Original-LPs mehr oder weniger verschollen sind? Macht es nur Sinn, eben genau solche seltenen LPs wieder zu veröffentlichen?

    Buskies: Nein, das ist nicht unser primäres Suchkriterium. Eigentlich forschen wir nach spannender Musik – und das können eben wie im Falle der Band Cluster Platten sein, die sehr viel verkauft wurden, etliche 10.000-mal – und die legen wir trotzdem gerne wieder auf, weil sie eben seit zehn, 20 Jahren nicht mehr verfügbar waren.

    Ziehn: Ist es denn eigentlich schwer, die Künstler davon zu überzeugen, diese alten Platten noch mal neu aufzulegen? Meistens wollen die ja eher, dass ihre aktuellen Arbeiten gewürdigt werden ...

    Buskies: Das tun wir ja auch. Bureau B ist ja nicht nur auf Wiederveröffentlichungen beschränkt, sondern viele der Künstler, sofern sie noch aktiv sind, bringen auch neue Platten bei uns raus. Und eigentlich werden einem da immer die Türen geöffnet. Die Leute sind eher froh, dass eine respektvolle Wiederveröffentlichung ihrer bisherigen Werke stattfindet.

    Ziehn: Das sind, wie schon gesagt, zum Teil eben sehr obskure, sehr seltene Aufnahmen, die Sie bei Bureau B heraus geben. Gibt es dafür einen Markt?

    Buskies: International gesehen ist der Markt groß genug, sodass sich genügend der Veröffentlichungen rechnen. Und von daher ist der Markt natürlich eine Nische, im Vergleich zu großen Pop-Produktionen. Aber da wir weltweit aktiv sind und weltweit Partner haben, die unsere Veröffentlichungen in den jeweiligen Ländern anbieten, macht es durchaus Sinn, sich diesem Thema zu widmen und eben auch viele Platten rauszubringen, die wir für wiederveröffentlichungswürdig halten.

    Ziehn: Was ist denn der größte Markt für Sie? Verkaufen sich die LPs von Asmus Tietchens oder Conrad Schnitzler vor allem in Deutschland oder dann doch eher in Japan und den USA?

    Buskies: Deutschland ist eher ein kleineres Land für uns. Es ist heutzutage sehr schwierig, das genau festzumachen. Natürlich kann ich sehen, welche Platten wohin "geshipped" werden. Aber amerikanische Großhändler verkaufen an spanische Plattenläden und niederländische Großhändler an finnische Plattenläden. Es ist ein sehr verzweigtes Netzwerk mittlerweile, sodass man nicht sagen kann: Jede Platte, die in die USA geliefert wird, wird auch in den USA verkauft. Aber die größten Märkte sind schon die USA, England und auch Japan.

    Ziehn: Es fällt schon auf, dass Sie viele Platten von deutschen Künstlern veröffentlichen. Ist das Zufall oder gewollt?

    Buskies: Es ist nicht gewollt, nur deutsche Musik zu veröffentlichen, um Himmels willen, nicht aus solchen Gedanken heraus. Einfach: Der persönliche Kontakt ist dort gegeben, weil wir viele der Künstler auch kennen und die uns auch an ihre Freunde weiter empfehlen. Und es ist nun mal so, dass in den 70er-, 80er-Jahren in diesem Land hier spannende Musik produziert wurde, die sonst auf der Welt nicht in dieser Menge produziert wurde.

    Ziehn: Was mögen Sie selber so gerne an dieser ja doch eher experimentellen Musik, die Sie da herausbringen?

    Buskies: Ich mag es sehr gerne, dass es die Grenzen durchbricht. Wir haben ja noch ein anderes Label, auf dem ganz normale "Popmusik" veröffentlicht wird. Und ich genieße das eigentlich, Platten zu hören so wie jetzt die neue "Guitar Sounds" von Schneider TM, die einfach mit jeglichen gelernten Pop-Kriterien bricht - und dass man sich Musik mal ganz anders nähern kann.

    Ziehn: Es gibt mittlerweile enorm viele Wiederveröffentlichungen. Vor ein paar Monaten ist das Gesamtwerk der Beatles noch mal auf LP erschienen, kleine und sehr kleine Label sind spezialisiert auf rare Krautrock- oder Psychedelic-Wiederveröffentlichungen. Muss man da nicht ein bisschen aufpassen, dass die Leute nicht irgendwann überfüttert sind.

    Buskies: Das mag durchaus so sein. Als ich neulich mit Karl Bartos bei dem Plattenladen Rough Trade East in London war, kamen die auch ganz amüsant auf mich zu und meinten, wir hätten doch sehr viele Roedelius Platten rausgebracht und ich soll mir doch das Fach bitte mal angucken, es würde schon überquellen. Aber ich denke, solange es Sinn macht, einen kompletten Katalog darzustellen werden wir daran auch weiter arbeiten.

    Ziehn: Wenn wir uns noch mal Kluster angucken, bei anderen Labels sind da so richtig dicke LP-Boxen erschienen, mit acht Platten drin. Macht das Sinn, so "dicke Dinger" zu veröffentlichen, die dann ja auch immer über 100 Euro kosten – oder mutet man da den Käufern auch ein bisschen viel zu?

    Buskies: Wir verstehen uns schon als Plattenfirma, die auch dem "normalen" Konsumenten Produkte anbieten möchte. Natürlich haben wir auch dann und wann limitierte Editionen, die ein bisschen teurer und aufwendiger sind. Es gibt dafür natürlich auch einen Markt, gut betuchte Sammler, die dann auch gerne über 100 Euro für eine Veröffentlichung ausgeben. Wir hingegen versuchen eben, so aufwendig wie möglich gestaltete Produkte in dem normalen Preissegment anzubieten.

    Ziehn: Was macht für Sie eigentlich eine gute Wiederveröffentlichung aus?

    Buskies: Sie sollte nah am Original sein, es sei denn, der Künstler wünscht eine Veränderung. Es sollte Hintergrundinformationen geben, die beim Hören auch Interesse wecken, sich näher mit dem Künstler auseinanderzusetzen – und das ist es eigentlich. Es sollte vom Sound gut gemacht sein, nicht vom Vinyl gezogen. Da gibt es leider auch viele schwarze Schafe, die sich vielleicht nicht ganz so viel Mühe geben.

    Ziehn: Gibt es denn noch viele Schätze zu entdecken, die man noch mal wieder veröffentlichen könnte - oder ist der Markt so langsam abgegrast?

    Buskies: Das ist ja das Erfreuliche, dass immer wieder Sachen zum Vorschein kommen, die man noch gar nicht kannte. Als Beispiel hat mir Detlef Weinrich von der Band Kreidler einen Tipp gegeben, dass es einen synthesizerverrückten Apotheker in der Nähe von Wiesbaden gab, Rüdiger Lorenz, und hat mir ein paar Aufnahmen von dem geschickt. Und dann hab ich mich dahinter geklemmt und von dem werden wir jetzt eine LP rausbringen. Witzigerweise lebt sein Sohn in Hamburg und macht mit Andreas Dorau, von dem wir auch schon Platten rausgebracht haben, Musik. Das macht ja auch den Reiz an diesem Job aus, dass man eigentlich immer wieder auf Sachen stößt, die man noch nicht kannte. Aber natürlich: Begrenzt, irgendwann hat man alles entdeckt, das fürchte ich auch.

    Ziehn: Ihre Alben erscheinen immer auch als LP – und 2013 wird wohl das Rekordjahr im 21. Jahrhundert, was die Vinylverkäufe angeht. Überraschend für Sie?

    Buskies: Also bei uns gab es eigentlich schon immer einen sehr starken Anteil an Vinylkäufern – also teilweise sogar mehr, als wir auf CD verkauft haben, weil wir uns ja immer an Musikliebhaber von vorneherein gerichtet haben. Und es macht einfach Spaß, eine Vinylplatte aufzulegen – auch wenn ich von der kaufmännischen Seite leider hinterher schieben muss, dass es kaufmännisch nicht ganz so viel Spaß macht, weil es sehr viel teurer ist in der Herstellung.

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