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Blackout in Europa

Am Samstagabend war es plötzlich zappenduster. Der großflächige Stromausfall in Westeuropa bringt die Energieversorger in Erklärungsnot. Doch die sehen sich nicht in der Schuld, sei doch das Netz in kurzer Zeit wieder stabilisiert worden.

Von Michael Braun, Brigitte Scholtes und Volker Wagener | 07.11.2006
    Um kurz nach 22 Uhr am vergangenen Samstagabend herrschte Hochspannung in der RWE-Halle in Mülheim an der Ruhr. Der Hauptkampf um die EU-Meisterschaft im Schwergewicht stand an, Rene Dettweiler und sein britischer Gegner Michael Sprott warteten schon in fertiger Montur, in wenigen Minuten sollten sie den Ring betreten. Den ganzen Abend hatten die 3000 Zuschauer auf diesen entscheidenden Kampf hingefiebert. Und dann das: Blackout um 22.10 Uhr, ohne dass überhaupt jemand zugeschlagen hätte! Alle Lichter gingen aus in der RWE-Arena - und sogar der Name der Halle passte irgendwie zum Thema des Abends. Ein Stromausfall in der Fläche mit Folgen für Tausende.

    Allein in Köln meldeten sich in wenigen Minuten Hunderte besorgter Bürger bei Polizei und Feuerwehr. "Die Leute haben sofort die 110 gewählt und gedacht, die Polizei kann den Strom in die Häuser zurückbringen", so ein Sprecher der Sicherheitskräfte. Das Zentrum des Blackouts war eindeutig die Domstadt. Plötzlich blieben die Straßenbahnen mitten auf der Strecke stehen. Doch Franz Wolf Ramien, Sprecher der Kölner Verkehrsbetriebe, macht zwei Tage nach dem Energieeinbruch schon wieder einen entspannten Eindruck.

    "Die Situation, dass eine Sicherung rausfliegt und dadurch das ganze Haus schwarz wird, gibt es ja bei einer Stadt in der Regel nicht. Wir haben in unserem Stadtwerke-Konzern, zu dem die Kölner Verkehrsbetriebe AG auch zählt, ja die große Tochter GEW RheinEnergie. Wir kennen dort sehr genau die Geschäfte, und wir haben Zutrauen, dass sie das schnell in den Griff bekommen. Das war schon ein größerer Schaden. Und nach 30 Minuten die Stadt wieder komplett am Strom zu haben, denke ich mir, das war auch keine schlechte Leistung."

    Auch der Flughafen Köln-Bonn bekam die stromlose Zeit zu spüren. Dank der sofort angesprungenen Notstromaggregate blieben hier Beeinträchtigungen des Flugverkehrs aus. Etwas folgenschwerer die Konsequenzen für die Bahn AG. Einige Züge mussten auf freier Strecke eine Zwangspause einlegen. Es kam zu Verspätungen vor allem im Nacht-Fahrplan.

    Spontaneität und Sinn für die Situation bewiesen rund 300 Teilnehmer eines Gesangswettbewerbs im sauerländischen Menden, die die nicht eingeplante Dunkelheit mitten in der Sängerehrung mit ein paar Liedern überbrückten.

    Niemand im am stärksten betroffenen Bundesland Nordrhein-Westfalen hatte am Samstagabend eine Ahnung, dass der Auslöser des Ausfalls einen Namen hatte: "Norwegian Pearl", ein Luxusschiff der Papenburger Meyer-Werft. Um das 294 Meter lange Gefährt durch die Ems Richtung Nordsee zu manövrieren, waren lediglich die vorgeschriebenen Sicherheitsstandards beachtet worden. Weil zwischen den Aufbauten des Ozeanriesen und den Stromkabeln über die Ems bei dem derzeitigen Wasserstand nur sechs Meter Abstand gemessen wurden, war eine risikofreie Passage nicht gewährleistet. Die so genannte Höchstspannungsleitung, für die der Düsseldorfer E.ON-Konzern verantwortlich ist, wurde abgeschaltet. Peter Hackmann, Sprecher der Papenburger Meyer-Werft:

    "Alle Rahmenbedingungen waren perfekt an diesem Wochenende - bis zu dieser ungewöhnlichen Überraschung mit den Hochspannungsleitungen. Und da kam wohl auch das Thema zusammen, dass man auch noch irgendwo anders eine Störung hatte, sonst wäre das so wohl auch nicht eingetreten."

    Wenn eine Hauptleitung ruht, müssen andere umso mehr Energie durchleiten. Diese Theorie der Überforderung des Netzsystems erscheint einleuchtend.

    Es gibt auch Stimmen, die verweisen auf die Windenergie. Weil dieser Energieträger immer stärker in die Systeme eingespeist wird, sehen manche Experten eine Leitungsbelastung, die zu unvorhersehbar starken Schwankungen führen kann. Genau darauf machte schon am Wochenende das nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Energieministerium aufmerksam. Ein willkommenes Argument der Windenergie-Gegner, ist aus dem Lager der Bündnisgrünen in Düsseldorf zu hören. Tatsächlich sei am Wochenende lediglich eine Windenergie-Einspeisung in Nordwestdeutschland von nur 25 Prozent verzeichnet worden, so Rainer Priggen, der Energie-Experte der Grünen im Düsseldorfer Landtag. E.ON sei eindeutig schuld an der Panne, so Priggen. Die großen Stromanbieter seien offensichtlich nicht gut koordiniert, wenn ein zeitlich kurzer Engpass nicht über andere Leitungen überbrückt werden könne. Wulf Bernotat, der E.ON-Konzernchef, konzentriert sich derweil mehr auf die guten Seiten des Blackouts, wenn er sagt:

    "Man sollte vielleicht auch mal bei allem Ärger, den die Verbraucher gehabt haben, darauf hinweisen, dass es innerhalb von 30 Minuten in ganz Europa gelungen ist, die Versorgung wieder herzustellen."

    Auch wenn der Stromausfall noch einigermaßen glimpflich abgegangen ist: Er hat gezeigt, dass einiges marode ist im deutschen Stromversorgungsnetz. Der Hauptvorwurf dieser Tage lautet deshalb: Es ist zu wenig investiert worden in den letzten Jahren. So meint Aribert Peters, Vorsitzender des Bundes der Energieverbraucher:

    "In den 90er Jahren noch hat man etwa 2,5 Prozent des Netzwertes jährlich in das Netz investiert. Das ist heute auf etwa ein Prozent gesunken. Das heißt, die deutschen Netze sind morsch. 2,5 Milliarden werden in die Netze investiert, und kassiert von den Kunden werden über 20 Milliarden jährlich. Das ist keine Relation."

    Vor allem haben sich die Netzbetreiber offenbar nicht rechtzeitig auf die Anforderungen der modernen Stromwirtschaft eingestellt: Da ist zum einen eben die Windkraft, die angeblich Mitschuld haben soll am Stromausfall des Wochenendes. Mark Waldmann, Analyst der Dresdner Bank:

    "Gerade die Windkraft erzeugt Strom sehr unregelmäßig. Immer dann, wenn der Wind besonders stark bläst, wird viel Strom erzeugt, der abtransportiert werden muss. In Norddeutschland wird die Windkraft erzeugt und vor allem in Süddeutschland wird sie gebraucht. Das stellt eine enorme Belastung für die Höchstspannungsleitungen dar. E.ON, aber auch andere Versorger. planen aus diesem Grund neue Höchstspannungsleitungen für den Abtransport der Windenergie."

    Doch hat es lange gedauert, bis sich die Energieversorgungsunternehmen dazu bereit finden konnten, kritisiert Holger Krawinkel, Energieexperte des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen:

    "Anstatt selber in Windkraftanlagen zu investieren, haben sich die Konzerne jahrelang, jahrzehntelang geweigert und haben das als Fremdkörper angesehen und haben natürlich die Netzintegration durch die Bereitstellung neuer Leitungskapazitäten, aber auch steuerungstechnisch, lange hinausgezögert. Inzwischen ist das besser geworden. Aber auch Länder wie beispielsweise Dänemark mit einem Anteil von bis zu 30 Prozent an Windenergie haben früher damit angefangen und haben sehr intelligente Steuerungsmöglichkeiten, so dass dort die Einregulierung der Windkraft keine größeren Probleme macht."

    Das Übertragungsnetz, so wie es heute in Deutschland besteht, ist historisch gewachsen: Vor 100 Jahren entstanden die ersten regionalen Versorgungsgebiete, die autark wirtschafteten. Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, schlossen im Laufe der Zeit alle bestehenden deutschen Energieversorgungsunternehmen ihre Höchstspannungsteilnetze zusammen, so entstand 1948 das Deutsche Verbundnetz. Das hatte Ende des vergangenen Jahres eine Länge von 1,67 Millionen Kilometern Länge. Dazu gehören nicht nur das Höchstspannungsnetz, das vor allem die langen Strecken des Stromtransports abdeckt, sondern auch die regionalen Verteilungsnetze, die mit Hoch- und Mittelspannung betrieben werden.

    Schon 1951 erkannten die Stromversorger, dass sie auch innerhalb Europas zusammenarbeiten mussten: Die West- und Südeuropäer bilden seither das westeuropäische Verbundsystem. Doch ist weiter jedes Land für die Betriebsführung seines eigenen Netzes zuständig. Die Schwierigkeiten aber entstehen an den Staatsgrenzen, an den so genannten Grenzkuppelstellen, erläutert Verbraucherschützer Krawinkel:

    "Man muss sich das so vorstellen: Wir haben Autobahnen in alle Länder - natürlich, es gibt Grenzübertritte. Und ausgerechnet an den Grenzen verengen sich die vier Fahrspuren auf zwei. Und jetzt wird an der Grenze sozusagen versteigert, wer da rüberfahren darf. Wer nicht bereit ist, den hohen Preis zu zahlen, der muss dann eben zu Hause bleiben. So ähnlich ist das im Strombereich, und das kann auf Dauer nicht funktionieren."

    Doch am Ausbau dieser Kuppelstellen haben die Stromnetzbetreiber nicht unbedingt Interesse, vermutet er. Denn die europäischen Energieversorger handeln mit Strom, sie verkaufen sich also gegenseitig Strom, und der muss dann physikalisch auch über die Kuppelstellen fließen.

    "Die Autobahnen sind in der Regel öffentlich, staatlich, und da macht es dann auch kein großes Problem, mit dem Nachbarland zusammenzuarbeiten. Bei den Stromnetzen ist das anders. Die sind privat organisiert - jedenfalls die meisten -, und die haben möglicherweise ein viel geringeres Interesse daran, dass diese Grenzübertrittsstellen ausgebaut werden, weil sie auch jeweils ihren eigenen Kraftwerksstrom verkaufen und ihre eigene Handelsorganisationen begünstigen wollen. Wenn der Grenzhandel stark zunimmt, dann kann das möglich sein, dass man auskonkurriert wird - entweder durch ausländische Kraftwerke oder durch ausländische Stromhändler. Und das wollen sowohl die Franzosen als auch die deutschen Unternehmen vermeiden."

    Der Stromhandel hat in den vergangenen Jahren kräftig zugenommen. Inzwischen dienen 20 Prozent der Transportleistungen in den deutschen Übertragungsnetzen dem europäischen Stromhandel. Wenn dann noch unregelmäßig Strom aus erneuerbaren Energien, also vor allem Windkraft, durch die Netze fließt, erschwere das diesen Handel noch zusätzlich, meint Joachim Schneider, Vorsitzender des Fachverbandes Energietechnik beim Branchenverband ZVEI:

    "Der Strom hat ja die Eigenart, dass er nicht da fließt, wo freie Leitungen sind, sondern da, wo der geringste Widerstand ist. Das kann dann eben dazu führen, dass plötzlich der Strom über Umwege nach Deutschland fließt, also meinetwegen aus Dänemark über die Benelux-Länder und dann von Italien wieder zurückkommt. Und durch diese Strombelastungen werden natürlich die Kuppelstellen auch zusätzlich belastet. Und wenn das im Konflikt zum Handel steht, dann kann eben nicht mehr gehandelt werden."

    Deutschland aber ist ein Transitland für Strom. Seitdem Strom nicht mehr wie früher dort erzeugt wird, wo er verbraucht wird, müssen auch die Systembetreiber umdenken, meint Schneider:

    "Die Systembetreiber hängen immer stärker voneinander ab. Ich kann also im Prinzip ein solches System nicht mehr als nationale Planungsgröße betrachten, sondern ich muss die Planung im europäischen Stil machen."

    Deshalb drängen nicht nur die Energietechniker, die für die Energiekonzerne die Netze technisch ausrüsten, auf ein stärker europäisches Miteinander und - sicher auch im eigenen Interesse zu mehr Investitionen. Doch schon im Kleinen zeigen sich die vier marktbeherrschenden Konzerne in Deutschland, also E.ON, RWE, Vattenfall Europe und EnBW, recht unlustig: Ein Blick auf den altbacken anmutenden heimischen Stromzähler genüge doch, um zu sehen, dass sich in den vergangenen Jahren in Sachen Innovation nichts getan habe, meint Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen:

    "Wenn sie das mit dem Bereich Telekommunikation vergleichen, da haben sie praktisch jeden Monat, jedes halbe Jahr neue Angebote, für ISDN, DSL und wie es alles heißt. Die Stromkonzerne stellen sich hier offensichtlich wirklich stur und machen den Kunden nicht solche Angebote. Sie sind offensichtlich zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie wirklich dem Kunden gute Angebote machen könnten, die auch tatsächlich die Versorgungssicherheit erhöhen könnten."

    Das wäre im Großen über intelligente Netzsteuerung möglich: Neue Technologien können noch besser als bisher bei einer vorausschauenden Planung helfen und auch Störungen schneller beseitigen als derzeit. Und das kostet die Konzerne nur zwei- bis dreistellige Millionenbeträge, meint Joachim Schneider vom Fachverband Energietechnik:

    "Wenn Sie diese Investitionen im Verhältnis sehen zu den Schäden, die solche Blackouts verursachen - ich kann Ihnen beispielsweise sagen, dass die Blackouts im Nordosten der USA aus dem Jahr 2003, die volkswirtschaftlichen Schäden, auf etwa sieben bis elf Milliarden US-Dollar geschätzt worden sind. Das Unangenehme an solchen Schäden ist natürlich, dass dieser Schaden nicht bei einem Einzelnen passiert, sondern sich großflächig verteilt."

    Was dabei herauskommt, wenn solche Investitionen unterlassen werden, das hat man am Wochenende gesehen. Die Energieversorger aber weisen die Schuld von sich: So unumschränkt könnten sie nicht über ihr Netz bestimmen, meint Eberhard Meller, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft:

    "Die Netze gehören zwar den vier großen Unternehmen, aber sie können nicht frei darüber verfügen, weil jeder ein diskriminierungsfreies Zugangsrecht hat. Darüber wacht die Bundesnetzagentur, so dass jeder die faire Chance hat, die Stromnetze zu den gleichen Bedingungen zu benutzen wie zum Beispiel ein großes Unternehmen, dem das Netz gehört."

    Dass die Stromerzeuger zugleich die Eigentümer des Stromnetzes sind, das halten Ökonomen für eine seltsame Konstruktion. Sie ist historisch gewachsen, gilt aber ordnungspolitisch nicht als sinnvoll. Ulf Moslener, Energieexperte des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim:

    "Der Erzeuger hat im wesentlichen den Anreiz, Strom zu produzieren und abzusetzen und diesen billig zu transportieren. Derjenige, der das Netz betreibt, hat einen Anreiz, die Einnahmen über die Netzgebühren zu maximieren. Und da bestehen für den Fall, dass diese beiden Personen identisch sind, Möglichkeiten und Gefahren des Missbrauchs."

    Dass es so gekommen ist, hält Mosleners Kollegin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin für ein Versagen von Markt und Politik. Wenn 80 Prozent des erzeugten Stroms von vier Herstellern kontrolliert werden, wenn diese vier darüber hinaus noch Alleineigentümer des Hochspannungsnetzes seien, dann habe der Wettbewerb nicht gegriffen, sagt sie, und dann müsse man auch von einem Politikversagen sprechen:

    "Ich würde schon sagen, dass wir ein Politikversagen haben. Wir müssen sehen, da wo wir heute sind, das ist die Konsequenz aus den letzten acht Jahren Politik. Man hat den Markt liberalisiert. Man wollte Wettbewerb einführen ohne eine Regulierungsbehörde, ohne Kontrolle, mit entsprechenden Fusionen, die hier genehmigt wurden. Das ist auch ein Politikversagen."

    Auf dem Strommarkt ist der Vertrieb mittlerweile teurer als das Produkt. Ein privater Haushalt muss für den Strom 25 Prozent des Rechnungsbetrages aufwenden. Gut 33 Prozent aber gehen dafür drauf, das der Strom aus der Steckdose kommt, dass er also vom Kraftwerk zum heimischen Radio und zur eigenen Küche geschickt wird. Möglichkeiten, den Strom aus anderen Netzen zu beziehen, gibt es nicht. Denn das Stromnetz gilt als natürliches Monopol. Man kann nicht ein anderes Netz nutzen, so wie man sich ein anderes Auto kaufen kann, wenn die erste Wahl zu teuer erscheint. Um den Strompreis wettbewerbsfähig zu halten, drängt die Politik deshalb darauf, die Gebühren für die Netznutzung zu senken. Auch gibt es Vorschläge, den Stromproduzenten das Netz wegzunehmen, sie - gegen Entschädigung natürlich - zu enteignen. Das sind nicht nur spätmarxistische Ideen, auch marktwirtschaftlich orientierte Ökonomen halten es für sinnvoll, durch die Trennung von Netz und Betrieb wieder einen Wettbewerb unter den Stromerzeugern zu organisieren. Ulf Moslener vom ZEW in Mannheim:

    "Ein Netzbetreiber stellt das Gut 'Transportkapazität' zur Verfügung. Wenn diese knapp ist, kann er einen hohen Preis dafür verlangen. Investiert er aber in weitere Transportkapazitäten, dann kann er weniger Knappheitspreise verlangen. Vor diesem Hintergrund kann es sinnvoll sein, dass der, der die Transportkapazität organisiert, getrennt ist von dem, der die Netze physisch besitzt."

    Doch ist Deutschland zunächst den Weg gegangen, den Stromvertrieb zu regulieren. Dafür zuständig ist die Bundesnetzagentur in Bonn unter ihrem Präsidenten Matthias Kurth. Der schaut den Netzbetreibern auf die Finger, lässt sich vorrechnen, wie viel bei der Kalkulation der Nutzungsgebühr auf den Wertansatz des Netzes, auf die Verzinsung des eingesetzten Kapitals entfällt. Denn gerade hier vermutet Kurth Maximierungsmöglichkeiten ohne große aktuelle Gegenleistung:

    "Das, was wir kürzen, betrifft nicht die zukünftigen Investitionen oder die Investitionen des Jahres 2005 oder 2006. Es betrifft das Vermögen, das, was schon verbaut worden ist in den letzten 30, 40 oder mehr Jahren. Das hat mit Neuinvestitionen nichts zu tun. Deshalb: Lassen Sie sich nicht auf diese, meines Erachtens, völlig verfehlte Debatte heben, Entgeltkürzungen würden zur Beeinträchtigung von Investitionen führen."

    Nun sind die Investitionen von heute natürlich das Vermögen von morgen, denn wer heute Geld ins Stromnetz steckt, will morgen die Früchte ernten. Deshalb drohen die großen Stromversorger mehr oder weniger offen damit, Investitionen ins Netz zu unterlassen, wenn man ihnen die Rendite darauf beschneide. In diesem Streit zwischen Netzeigentümern und Regulierer drohen die Stromverbraucher in Industrie und privaten Haushalten zerrieben zu werden. Holger Krawinkel, Energieexperte des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen:

    "Es ist aber eine schwierige Materie, weil gerade die Genehmigungsverfahren und die vielleicht nicht so große Investitionsneigung der Energiekonzerne sich bestens dazu eignen, ein Schwarze-Peter-Spiel zu veranstalten. Und deswegen ist es auch sicher besser, wenn die Netze in öffentlicher Hand wären, dann wären sicher auch die Genehmigungsverfahren leichter durchzuführen."

    Die Lösung könnte vielleicht darin liegen, dass der, der das Netz ausbaut und effizient nutzt, auch höhere Preise nehmen darf. ZEW-Ökonom Moslener stellt sich das so vor:

    "Das bedeutet, dass man die Netze in bestimmte Klassen einteilt und dann innerhalb dieser Klassen den einzelnen Netzbetreiber mit dem Klassenbesten vergleicht und so ein Maß dafür bekommt, was denn an Kosteneffizienz möglich ist. Und anhand dieses Maßes kann man dann andere Netzbetreiber regulieren oder ihnen wenigstens auf die Finger klopfen, wenn sich zeigt, dass hier die Preise für den Stromtransport über das Netz deutlich höher sind."

    Der Blackout, der von der Ems auf Europa ausstrahlte, hat womöglich auch sein Gutes: Er hat deutlich gemacht, was auf Europa zukommt, wenn sich die Strompolitik nicht weiterentwickelt. Zwei Aufgaben stehen an: Das Eigentum am Netz sollte neu geordnet, von den Erzeugern getrennt werden. Und die Netzregulierer brauchen nicht nur Kontrollrechte, sie müssen dem Anreize geben können, der das Stromnetz pflegt, ausbaut und effizient nutzt.