Mittwoch, 24. April 2024

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Blendende Jahre für Hunde

Eine schrecklich nette Familie: Der Vater zimmert sich nach einem dramatischen Karrieresturz seinen eigenen Sarg, die Mutter deklamiert dazu mit zorniger Verve Shakespeare. Die Großmutter missioniert die Familie zum Vegetariertum, nur um mit dem ersparten Geld in Urlaub fahren zu können und dann fröhlich gereimte Feriengrüße in der Manier von Schlagertexten zu schicken: "Am wunderschönen Jalta-Strand, sitzen wir im warmen Sand, wir plaudern, häkeln und baden, erfüllt von Erinnerungsschwaden." Der Bruder entdeckt sein wahres Selbst im Leben als Indianer und der Großvater, von den Zeitläuften vergrätzt, krächzt nurmehr seinen Standardspruch "Aufhängen! Das würde helfen." Angesichts dieses Kuriositätenkabinetts scheint ein dicker altkluger Junge namens Quido, der sein existentielles Leid in surrealistischen Erzählungen sublimiert vergleichsweise normal.

Nicole Strecker | 17.03.1999
    Aus Quidos Perspektive wird der Roman erzählt. Zugleich ist die chronologisch berichtete Geschichte eines heranwachsenden Kindes gebrochen durch Einschübe, die das Erzählen selbst thematisieren. Quido hat sich nach seinen kindlichen Schreibversuchen nämlich entschlossen, Schriftsteller zu werden und was kann ein Autor überzeugender schildern als seine eigene Lebensgeschichte - zumal wenn sich derart skurrile Familienkonstellationen darin finden lassen. In Dialogen, die den Erzählverlauf unterbrechen, diskutiert der nun erwachsene Quido mit seinem Lektor über sein Werk. Anfangs noch milde gestimmt, regt dieser sanft dazu an, regimekritische Passagen zu streichen - doch irgendwann wird auch dem gutwilligen Lektor klar: Die verrückte Familiengeschichte ist nur Folie, des Autors geheimes Sehnen ist die Gesellschaftskritik, spielt sein Roman doch in Tschechiens bewegter Zeit von 1962 bis kurz nach 1989. Und das Schicksal des Vaters ist zum Entsetzen des braven Lektors hochpolitisch: Ein studierter Ingenieur ist der Vater, der nach Ende des Prager Frühlings 1968 von der Großstadt auf's Land ziehen muß, um dort in einer Glasfabrik Handlangerdienste zu verrichten. Lange widersteht der Vater einem karriereförderndem Opportunismus, die Familie leidet unter den Repressalien. Schließlich siegt vernunftbestimmte Resignation: Der Vater büffelt in Abendkursen den kommunistischen Katechismus, er spielt Fußball in der Werksmannschaft, hängt die gewünschten Fahnen aus dem Fenster und kauft schließlich sogar gegen den Willen der gesamten Familie einen Hund von seinem Vorgesetzten. Des Vaters zähneknirschender Sozialismus wirkt Wunder. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere jedoch unterläuft ihm ein melancholischer Rückfall in die Aufrichtigkeit: Ein gemeinsames Abendessen mit dem Dissidenten Pavel Kohout macht aus dem Ingenieur flugs einen Pförtner, aus dem selbstbewußten Vater einen unzugänglichen Paranoiker, der nurmehr im Flüsterton spricht und schließlich mit Liebe für's Detail den eigenen Sarg zimmert.

    An dieser Stelle ist der zensierende Lektor natürlich längst ausgestiegen, hatten ihn doch schon die Gynäkologin, die als Kartenabreißerin im Kino ihren Unterhalt verdienen muß, oder der als Heizer tätige Psychiater reichlich verstört. Dabei gelingt dem Erzähler Quido - respektive dem Autor Michal Viewegh - eine durchaus unaufdringliche Darstellung dieser doch eigentlich tragischen Lebensläufe der tschechischen Intellektuellen in den 60ern. Die politischen Hintergründe werden gar nicht erwähnt. Erzählt werden nur die Auswirkungen auf die Familienverhältnisse. Quidos kindlich-naive Sicht auf die Ereignisse erfaßt die Zusammenhänge nicht recht. Statt der politischen Umwälzungen nimmt Quido in seiner infantilen, selbstbezüglichen Weltwahrnehmung vielmehr die eigene Fettleibigkeit und den alltäglichen Familienhorror in den Fokus. In einer übercodierten, mit modernen Fremdwörtern gespickten Sprache analysiert das frühreife Kind Quido mißmutig die Welt, delektiert sich an nietzscheanischem Pessimismus und beckettscher Absurdität und wirkt in seiner selbstverliebten Ernsthaftigkeit unfreiwillig komisch. Und der Leser darf mitlachen. Unbeschwert mixt und probiert Viewegh literarische Formen, wandelt den zünftigen Ehekrach in eine schnodrige Theaterszene, changiert zwischen Erzählpassagen, Erzählreflexionen und Tagebuchaufzeichnungen des Kindergartenkindes. Wie bei seinem tschechischen Schriftstellerkollegen Milan Kundera ist das Politische zwar omnipräsent und handlungsbestimmend, taucht selbst jedoch nur schimärenhaft auf. Bei dem einem ist es der Eros, der alles verdrängt, beim anderen der Humor. Der moralisch-anprangernde Gestus ist Vieweghs Sache nicht, wohl aber die komische Übertreibung, die lustvolle Selbstironie.