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Blick auf gefährdete Regionen

Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Menschen wahrscheinlich andere Probleme als sich um unwirtliche und unbekannte Gebiete im ewigen Eis zu kümmern und doch begann 1882 das erste Internationale Polarjahr. 1932/33 folgte das nächste und heute beginnt das dritte. Eine Internationale Forschungskampagne, die von der Welt-Meteorologie-Organisation der Vereinten Nationen, sowie vom Internationalen Wissenschaftsrat organisiert wird, einem Zusammenschluss nationaler und internationaler Forschungsorganisationen.

Von Monika Seynsche | 01.03.2007
    Es ist ein Mammutprojekt: mehr als 50.000 Wissenschaftler aus über 60 Ländern beteiligen sich am Polarjahr. Zwei Jahre lang werden sie die Polargebiete untersuchen und eine Bestandsaufnahme machen. Das ist dringend notwendig, denn überall in der Arktis und Antarktis beobachten Forscher wie Konrad Steffen von der Universität von Colorado in Boulder Veränderungen.

    "”Ein gutes Beispiel ist der Jakobshavn Gletscher in Westgrönland. Bis Ende der 90er Jahre schob er sich mit sieben Kilometern pro Jahr ins Meer. Jetzt sind es schon 14 Kilometer pro Jahr – er hat seine Geschwindigkeit also verdoppelt!""

    Normalerweise werden die grönländischen Gletscher vom Gewicht des Eispanzers langsam in Richtung Ozean gedrückt. An den Rändern schmelzen die Gletscherzungen im warmen Ozeanwasser, während im Inneren des Eispanzers neuer Schnee hinzu kommt. Es herrscht ein Gleichgewicht zwischen Gewinn und Verlust. Aber genau dieses Gleichgewicht ist vor wenigen Jahren verloren gegangen: die Gletscher bewegen sich immer schneller, immer mehr Eis geht verloren. Mittlerweilen verliert der Eispanzer pro Jahr mehr Wasser als der Rhein jährlich in die Nordsee entlässt. Und das ist noch lange nicht das Ende. Allen Klimamodellen zufolge wird sich die Arktis in diesem Jahrhundert stärker erwärmen, als jede andere Region des Planeten.

    Sichere Vorhersagen, wie Grönland und der Rest der Polargebiete auf diesen Temperaturanstieg reagieren werden, können die Forscher erst dann treffen, wenn sie wissen, welche Prozesse dort oben ablaufen. Aber genau daran hakt es. Denn Forschungsreisen ins ewige Eis sind aufwendig und teuer. Weshalb sich Peter Wadhams von der Universität Cambridge das Militär zunutze machte, um das arktische Meereis untersuchen zu können. Wadhams:

    "In den 80ern hat uns die britische Marine noch fast jedes Jahr auf ihren U-Booten mit in die Arktis genommen. So konnten wir die Eisdicke von unten messen. Aber seit dem Ende des Kalten Krieges fahren immer seltener U-Boote in den Arktischen Ozean. In den letzten neun Jahren gab es nur noch eine Messfahrt."

    Seinen Messungen zufolge war das Eis schon in den 90er Jahren nur noch halb so dick wie noch in den 70ern. Wie es heute dort oben aussieht, darüber kann Peter Wadhams nur spekulieren. Sicher ist nur eins: das Meereis beeinflusst die Ozeanströmungen innerhalb der Arktis und weit darüber hinaus. Verschwindet es, sind die Folgen unabsehbar. Deshalb gibt es jetzt im Rahmen des Internationalen Polarjahrs europäische und amerikanische Projekte, die mit Hilfe von Forschungsschiffen, Satelliten und Messstationen direkt auf dem Eis die Dicke und Ausdehnung untersuchen. Den Kanadier Louis Fortier von der Universität Laval in Québec interessiert das Eis nicht der Ozeanströmungen wegen, sondern weil viele Tierarten auf das Meereis als Lebensraum angewiesen sind. Fortier:

    "”Es ist schwer vorstellbar, dass zum Beispiel alle zwölf Eisbärpopulationen aussterben werden und es nichts geben soll, was wir dagegen tun können. Aber gucken Sie sich die Treibhausgasemissionen an und die Art wie sich der Planet erwärmt – wir können es nicht mehr verhindern.""

    Spätestens gegen Ende dieses Jahrhunderts wird der arktische Ozean im Sommer eisfrei sein. Das Internationale Polarjahr läuft von heute bis zum 1. März 2009 – so können die Forscher zwei arktische und zwei antarktische Sommer lang die letzten weißen Flecken der Erde untersuchen.