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Blick hinter die Kulissen des Politikbetriebs

Wahlkämpfe können binnen weniger Augenblicke in die eine oder andere Richtung kippen. Frank Stauss weiß das aus eigener Erfahrung: 20 Jahre lang hat er sie für die SPD organisiert. In "Höllenritt Wahlkampf" zeigt er, dass bei der Jagd nach Stimmen Inhalte wichtiger sind als Emotionen.

Von Mirko Smiljanic | 29.04.2013
    Irgendetwas muss schiefgelaufen sein in der Entwicklung des 15-jährigen Frank Stauss. Jungs in seinem Alter wollten Anfang der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts Rocksänger werden, Pilot oder Betriebswirt – aber Wählkämpfer?!?

    "Ja, da stimme ich Ihnen zu und meine Mutter würde Ihnen auch sofort zustimmen, dass da irgendetwas schiefgelaufen ist, sie weiß bis heute nicht was."

    sagt der Autor des Buches "Höllenritt Wahlkampf – Ein Insider-Bericht". Immerhin kann sich Frank Stauss an die Initialzündung erinnern, an das erste mentale Flackern:

    "1980, da war ich 15, und da habe ich den ganzen Weg von Ulm nach Hause, das waren so zwei Stunden von meiner Oma, einen Helmut-Schmidt-Aufkleber von innen gegen die Rückscheibe gedrückt, weil mein Vater mir nicht erlaubt hat, den Aufkleber aufs Auto zu pappen, und da kam glaube ich schon ein bisschen Fanatismus durch."

    Der aber glücklicherweise keine pathologischen Züge annahm. Stauss studierte zunächst Politologie in Heidelberg, Berlin und Washington DC. In den USA sammelte er 1992 auch erste praktische Wahlkampf-Erfahrungen im Rahmen der Clinton/Gore-Kampagne. Seither vergeht für ihn kaum ein Jahr ohne Wahlkampf: Kurt Beck und Ibrahim Böhme hat er beraten, Hannelore Kraft, Michael Naumann, Rudolf Scharping, Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück, Klaus Wowereit und 2005 Gerhard Schröder, dessen Wahlkampf gegen Angela Merkel im Zentrum des Buches steht. Die Liste zeigt: Frank Stauss ist ein SPD-Mann, allerdings einer, der die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Parteienlandschaft drastisch vereinfacht.

    Nahe zu auf der ganzen Welt kann man demokratische Parteien in zwei große Lager spalten. Die Lager heißen 'Mehr Staat' und 'Weniger Staat'. Die große Saga der 'Weniger Staat-Fraktion' lautet: Der Mensch braucht Raum zur Entfaltung und Anreize, um erfolgreich zu sein. Die große Sage der 'Mehr-Staat-Fraktion' lautet: Der Mensch braucht gute Startbedingungen, um erfolgreich zu sein. Je nach Himmelsrichtung wird die Argumentation noch mit Gott, Allah, Jesus, Willy Brandt, den Pilgervätern sowie nach Verfügbarkeit mit zehn oder mehr Geboten gewürzt, aber im Prinzip läuft es auch diese Konfliktlinie hinaus.

    Gespickt mit Beispielen aus mittlerweile über 20 Wahlkämpfen beschreibt Stauss Schritt für Schritt den Weg von den unstrukturierten Ideen eines windelweichen Politikers hin zur ausgereiften Kampagne auf Erfolgskurs. Am Anfang einer jeden Kampagne steht für ihn die klare Zuordnung: Sind wir eine "Weniger-Staat-Partei" oder eine "Mehr-Staat-Partei?

    ... dann folgt die Autosuggestion. Autosuggestion ist die Grundqualifikation für einen Wahlkämpfer: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns; und wer gegen uns ist, ist unser Feind. Nicht 'Gegner' oder 'Konkurrent' oder am Ende gar 'Mitbewerber!' Bullshit. Feind. FeindFeindFeindFeindFeindFeind!

    Ja, so schreibt Frank Stauss: direkt und provozierend, mitunter krass aber immer voller Herzblut – dass seine sanfte Stimme dazu in gewissem Widerspruch steht, ist unüberhörbar. Vielleicht ist das ein Erfolgsrezept: Seiner nicht selten beratungsresistenten Klientel knallharte Wahrheiten mit Engelsstimme nahezubringen. Wahlkämpfer sind immer auch Psychotherapeuten.

    "Ich will mit dem Menschen sprechen, möglichst ohne diese ganze Entourage, die Spitzenpolitiker immer um sich haben, möglichst auch nicht in seinem Büro, sondern irgendwo draußen auf einem Spaziergang, und ich will eigentlich zu seinem Kern vordringen, was diesen Menschen mal bewogen hat, in die Politik zu gehen, welche Ideale das waren, welche Vorstellungen das waren, die versuche ich wieder zu wecken, weil viele Politiker sich wirklich einen ganz dicken Panzer zulegen, um gerade diese Anfeindungen, denen sie täglich ausgesetzt sind, zu überstehen, und da geht manches verloren, und ich sehe einen Teil meines Jobs darin, dieses wieder raus zu kitzeln, damit ich für diesen Menschen einen Wahlkampf machen kann, der zu ihm passt."

    Und der möglichst zum Erfolg führt. Leider nur, schreibt Frank Stauss, können Wahlkämpfe binnen weniger Augenblicke in die eine oder andere Richtung kippen. Das ist dann der "Höllenritt": Da hat das Team alles richtig gemacht, Anzug und Brille stimmen, Sprech- und sonstige Trainings waren erfolgreich, die öffentliche Meinung tendiert Richtung "wohlwollend" – und doch wird alles durcheinandergewirbelt, weil etwa Uli Hoeneß sich selbst bei den Münchner Steuerbehörden angezeigt hat:

    "Solche Momente, sagen wir mal wie jetzt Hoeneß oder Fluten oder Anschläge, also solche Geschichten spielen natürlich immer in den Wahlkampf mit rein. Man muss dann versuchen, sie schnell einzuordnen, aber auch zu schauen, wo schlägt man jetzt vielleicht einen falschen Ton an, um das in die Kampagne zu integrieren, und das ist sicher die große Frage in den Parteizentralen, wie geht man jetzt damit so um, dass am Ende mehr Leute der Meinung sind, meine Partei wählen zu sollen."

    Wahlkampf sei ein ständiger Balanceakt, schreibt Stauss in seinem intelligenten und flüssig zu lesenden Buch, die politischen Inhalte und der emotionale Rahmen müssen im richtigen Verhältnis zueinanderstehen. Dabei spielen – anders als viele glauben – Emotionen keine so große Rolle. Im Mittelpunkt stehe

    "… die politische Idee, aber die muss über den Kandidaten vermittelt werden, das ist tatsächlich das Transportmittel, der Mittler im wahrsten Sinne des Wortes zwischen der Partei und den Wählerinnen und Wählern, weil, er ist letztendlich derjenige oder sie ist diejenige, die diese Emotionen rüber bringen muss, dass das eine Idee ist, für die es sich zu streiten lohnt, und das kann man nicht voneinander trennen."

    Für Frank Stauss, der im kommenden Bundestagswahlkampf keine aktive Rolle spielt, ist das eine entscheidende Information: Outfit und Homestories sind weniger wichtig, als viele glauben! Oder positiv ausgedrückt: Die Wähler sind kritischer, als allgemein angenommen:

    "Ja, auf jeden Fall, ich würde nicht sagen intelligent oder gebildet, aber wesentlich weniger zu verführen oder schwerer zu verführen, sage ich mal, als das viele Kommentatoren immer denken. Da geht schon wesentlich mehr im Kopf eines Menschen ab, wenn da in der Wahlkabine sein Kreuzchen macht, als, hat der in der letzte eigentlich das falsche Jackett getragen."

    Wer wissen will, wie Wahlkämpfe funktionieren, dem sei "Höllenritt Wahlkampf – ein Insider-Bericht" von Frank Stauss empfohlen. Im Übrigen ist es eine amüsante Vorbereitung auf die nächste Bundestagswahl. Unbedingt lesen!

    Frank Stauss: Höllenritt Wahlkampf.
    Ein Insider-Bericht

    dtv premium, 200 Seiten, 12,90 Euro
    ISBN: 978-3-423-24986-7