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Bloggen ohne Ende

"Die kritische Masse" - unter diesem Motto haben sich diese Woche zum zweiten Mal Blogger und Podcaster zur re:publica getroffen, der deutschen Konferenz zu Aspekten des Lebens im Internet. Gleich mehrere Veranstaltungen gingen dabei der Frage nach, welche Entwicklung soziale Netzwerke nehmen werden.

Von Philip Banse | 05.04.2008
    Die sozialen Netzwerke stehen vor einer neuen Entwicklungsphase: Facebook, StudiVZ, MySpace und Co. befinden sich in einem beinharten Verdrängungswettbewerb, sagt Netzaktivist Tim Pritlove vom Chaos Computer Club und Moderator der Podiumsdiskussion zur Zukunft der sozialen Netzwerke:

    "Bei den Social Networks gibt es keinen klaren Sieger. Es gibt zwar deutliche Marktführer in machen Bereichen, aber letztlich wollen natürlich alle weltweit eine Rolle spielen und derzeit blähen sich alle auf und überlegen, wie sie das in bare Münze umsetzen können."

    Geld wird - da waren sich alle einig - nur über Werbung reinkommen. StudiVZ etwa versilbert die Nutzerdaten für personalisierte Werbung. Dieses massiv kritisierte Geschäftsmodell wurde nicht thematisiert, obwohl die Geschäftsführer auf dem Podium saßen. Moderator Tim Pritlove glaubt, dass die Plattformen mit ihren Millionen Nutzern auch Geld mit anonymisierten Daten verdienen können:

    "Nicht unbedingt der Verkauf der Daten selbst, sondern der Verkauf der Analyse der Daten, das ist sicher ein Gewinn bringendes Ding. Denn wenn man schon so ein geschlossenes Kommunikationssystem kontrolliert und jede Nachricht anschauen kann, worüber wird geredet, was weiß ich: ist Pokemon noch ein aufstrebender Begriff oder wird über Transformers schon mehr geredet, ja. Letztlich geht es darum, versucht herauszufinden: Was interessiert die Leute, worüber reden sie, was würden sie kaufen? Das ist das, was da Marketing interessiert."

    Ist ein tragfähiges Geschäftsmodell gefunden, werden die verschiedenen Plattform ihren Nutzern erlauben müssen, von außen auf ihre Profile zu zugreifen, glaubt Dirk Olbertz, der ein eigenes Soziales Netzwerk programmiert hat:

    "Eine der nächsten Stufen ist einfach, sich zu öffnen. Denn es gibt jetzt schon immer mehr Leute, die sich darüber beschweren, wenn sie in ein neues Netzwerk kommen, dass sie sich wieder anmelden müssen, wieder Daten eingeben müssen, wieder sagen müssen, wer Ihre Freunde sind und so weiter. Die werden dessen einfach überdrüssig."

    Da kommt Dirk Olbertz unkommerzielles Soziales Netzwerk NoseRub ins Spiel. NoseRub heißt Nasereiben, bezeichnet das Begrüßungsritual der Inuit und meint hier ein Computer-Protokoll, mit dem Profile mit Nutzerdaten automatisch synchronisiert werden können. Soziale Netzwerke, die NoseRub nutzen, können also die Profile des jeweils anderen Netzwerks lesen, auswerten, vernetzten. Zudem ist NoseRub dezentral organisiert, jeder kann also auf seinem eigenen Server, seinem Blog ein kleines Soziales Netzwerk starten. Die Daten sind dann unter Kontrolle, gehören nicht Facebook oder MySpace. Bisher hat NoseRub nur einige Hundert Nutzer. Wesentlich attraktiver wäre die Technik natürlich, wenn NoseRub-Nutzer sich auch mit Freunden bei Facebook oder StudiVZ vernetzten könnten. Das lehnte Michael Brehm, Geschäftsführer von StudiVZ, auf der Republica jedoch ab. Die Gefahr für unerfahrene Nutzer sei zu groß, wenn Kontaktaufnahmen auch von außerhalb der sehr kontrollierbaren Netzwerk-Plattformen kommen könnten:

    "Solange die Medienkompetenz bei vielen noch nicht so hoch ist, wie sie vielleicht sein sollte, solange werden wir per Default viele Sachen noch nicht zulassen. Genauso wie beispielsweise in unseren Angaben die E-Mailadresse und Telefonnummer teilweise nicht mal für Freunde sichtbar sind, weil wir sagen: Hier wissen die Leute teilweise nicht, was das für Folgen haben kann und hier müssen wir einschreiten."

    NoseRub will jedoch nicht das Ende der Privatsphäre sein, sagt Entwickler Dirk Olbertz. In Zukunft sollen NoseRub-Nutzer verschiedene Identitäten anlegen und auch anonym bleiben können.

    "Das sehe ich gar nicht als technische Schwierigkeit, das auch so umzusetzen, dass man da mehrere Identitäten verwaltet und das auch einfach hinbekommt. Wir machen viele kleine Schritte, um zu diesem Idealzustand zu gelangen. Aber anonym im Netz sein zu können, das wird davon nicht ausgehebelt, das sehe ich wirklich gar nicht."

    Das alles reicht nicht, um unsere Privatsphäre auf Dauer zu sichern, sagte der Harvard-Professor Viktor Mayer-Schönberger der versammelten und vernetzten Bloggergemeinde. Im digitalen Zeitalter hätten Menschen das Vergessen verlernt, jede Banalität wird gespeichert, ist für Jahrzehnte abrufbar. Mayer-Schönberger forderte eine Ökonomie des Vergessens:

    "Ganz einfach, indem wir Informationen, die wir abspeichern, mit einem Verfallsdatum versehen. Ist das Verfallsdatum erreicht, wird die Information gelöscht."

    http://re-publica.de/08/