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"Blood Bitch" von Jenny Hval
Pop-Feminismus und Gender Politics

Es ist noch gar nicht so lange her, dass diverse TV-Serien oder Kinofilme mit einer sexualisierten Figur des Vampirs die breite Masse begeisterten. Dabei gehörte der Vampir lange Zeit zur Subkultur - mit ihren Horrorfilmen und Gothic Novels. Die norwegische Performance-Künstlerin Jenny Hval haucht dem Vampir jetzt frisches Leben ein.

Von Vanessa Wohlrath | 01.10.2016
    Die Musikerin Jenny Hval
    Musikerin und Performance-Künstlerin Jenny Hval. Sie schlüpft gerne in andere Rollen. (Jenny Berger Myhre)
    "Worum geht es auf diesem Album, Jenny?", fragt eine Frauenstimme. "Um Vampire." lautet die Antwort. "Um Vampire und Blut." - "Nein, wie langweilig!"
    Jenny Hval, norwegische Musikerin, Performance-Künstlerin und Autorin, ist fasziniert von vermeintlich unoriginellen Themen. Gender-Fragen? Zu einseitig. Sexualität? Zu banal. Aber beides zusammen mit einer gehörigen Portion Feminismus? Das entwickelt bei Hval einen unheimlichen Sog.
    "Ich finde, dass sich gerade im musikalischen Kontext eine Art poetischer Raum öffnen kann, der erlaubt, - wenn man zum Beispiel wie ich versucht, unterschiedliche Formen von Blut miteinander in Verbindung zu setzen - zusätzlich viele andere Dinge auszudrücken. Das finde ich viel befreiender als Tabus brechen zu wollen."
    Um Tabuthemen geht es trotzdem auf dem neuen Album "Blood Bitch" von Jenny Hval. Ihre sechste Platte, mit der sie ihr Interesse für Pop-Feminismus und Gender Politics fortführt.
    Eine kohärente eigene Geschichte erzählen ist heute nicht möglich
    "Wie kann ich Menstruationsblut, Horrorfilmblut, Blut aus einer Wunde, die du dir selbst zugefügt hast, Herzschmerz - wie kann ich diese Formen besonders lebendig zusammenbringen?"
    Menstruationsblut wird so enttabuisiert und gleichzeitig in einen grotesken Kontext gebracht. Den fiktiven Rahmen liefern improvisierte Dialoge und Monologe aus der Sicht weiblicher Charaktere. Und ringt Hval selbst mal nach den passenden Worten, lässt sie auch andere sprechen. Den britischen Dokumentarfilmer Adam Curtis zum Beispiel, der erklärt, wie bedeutungslos Geschichtsschreibung in unserer Zeit sei:
    "It sums up the strange mood of our time where nothing really makes any coherent sense. We live with a constant vaudeville of contradictory stories that makes it impossible for any real opposition to emerge, because they can't counter it with a coherent narrative of their own."
    Mit dem Vampir kann sich die Musikerin gut identifizieren
    Wahrheit und Schein liegen in unserer Gesellschaft zu nah beieinander, sagt Adam Curtis. Sinnbild dafür ist für Jenny Hval der Vampir. Ein widersprüchlicher Charakter, der bedrohlich mächtig, bei der Norwegerin allerdings weiblich und sogar fruchtbar ist. Eine Figur, mit der sich die Musikerin - die schon auf ihrer letzten Tour mithilfe von Kostümen und Perücken in andere Rollen schlüpfte - auch selbst gut identifizieren kann.
    "Im letzten Jahr tourte ich zusammen mit einer Gruppe von Frauen, was ganz generell immer noch viel zu selten vorkommt, wie ich finde. Und plötzlich wurde der weibliche Zyklus Teil unseres kreativen Alltags, unserer Gespräche. Er war da, in seinem üblichen Tempo und mischte unsere Tournee auf. Aus der tourenden Musikerin wurde so ganz schnell ein Vampir."
    Spielt mit Elementen des Mainstream-Pop
    Für "Blood Bitch" ließ sich Hval insbesondere von alten Horrorfilmen inspirieren. Vorwiegend Low-Budget Streifen.
    "Ich mag diese extreme Langweile, diese ganzen verschrobenen Fetische und Begehren, egal ob logisch oder nicht. Mich als Zuschauerin von den üblichen Erwartungen an Filme zu lösen, hat mich sowohl beim Musikhören als auch beim Musikmachen sehr inspiriert."
    So, wie die B-Movie Vampir-Filme aus den siebziger Jahren Trends aus Hollywood auf fast kitschige Weise aufgreifen, spielt auch "Blood Bitch" mit Elementen des Mainstream-Pop. Das Album klingt melodischer als noch sein Vorgänger "Apocalypse, Girl" aus dem Jahr 2015; Beats bleiben über Songlängen erhalten. Bedrohlich wirken nur die verschiedenen Frauenstimmen, die mal flüstern, dann hecheln oder sirenenhaft singen.
    Ein Album wie ein Film: "Blood Bitch" ist Jenny Hvals fiktionalstes Werk geworden, aber auch ihr bislang intimstes. Obwohl die fragmentarischen Klang-Spielereien zugunsten eines großzügigen Einsatzes von Pop-Elementen weichen mussten, wirkt das Album nicht glatt. Im Gegenteil: "Blood Bitch" schafft den Sprung von der Avantgarde in die Popmusik, ohne dabei an Eindringlichkeit zu verlieren.