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Blumen statt Gletscher

Polarforschung. - Heard Island ist eine kleine, unbewohnte Insel rund 4000 Kilometer südwestlich von Australien. Einst ausgebeutet von Robbenjängern und Walfängern, zählt die unwirtliche Insel heute zum Weltnaturerbe der Unesco. Doch immer noch setzt der Mensch dem rauen Idyll zu: durch den Klimawandel. Alle paar Jahre nehmen Wissenschaftler die Veränderungen auf Heard Island und zwei weiteren Inseln ihrer Art unter die Lupe.

Von Dagmar Röhrlich | 28.02.2007
    Der Wind kräuselt das türkisblaue Wasser der Lagune. Eisschollen treiben langsam darauf. Noch vor 50 Jahren floss hier der Stephenson-Gletscher ins Meer, inzwischen sieht man ihn vom Strand aus nicht mehr. Er versteckt sich hinter dem kahlen, hohen Erdwall der Endmoräne:

    " Der Gletscher hat sich dramatisch zurückgezogen. Wir haben Bilder aus dem Jahr 1949, wo der Stephenson-Gletscher hier hoch wie ein dreistöckiges Haus aufragt. Jetzt endet er mehr als einen Kilometer weiter landeinwärts. Als der Namensgeber des Gletschers, Jon Stephenson, Heard Island nach vielen Jahren wieder besuchte, stellte er fest, dass es dem Gletscher wie ihm gehe: Sie beide seien nur noch ein Schatten ihrer selbst. "

    Dana Bergstrom vom Australischen Antarktischen Dienst in Hobart, Tasmanien. Wie seit eh und je wachsen auch heute auf Heard Island weder Bäume noch Sträucher, nur niedrige Kräuter, die sich unter dem Wind ducken. Trotzdem ist der Klimawandel hier kein abstraktes Datenwerk aus Eisbohrkernen, sondern greifbar. Das von den Gletschern freigegebene Land besiedeln Pflanzen. Heard Island verändert sich. Wie, das verraten die nördlichen Nachbarinseln, die Kerguëlen und Marion-Island.

    " Unsere vorläufigen Resultate bei den Blütenpflanzen zeigen, dass sich die Blühsaison verändert. Durch den Klimawandel der vergangenen 50 Jahre ist die Lufttemperatur auf den Kerguëlen um anderthalb Grad gestiegen, was die Blühsaison um zwei Wochen verschoben hat. "

    Die Kerguëlen und Marion-Island sind fast eisfrei. Nur auf Heard Island gibt es noch Gletscher, aber der grüne Küstenstreifen wächst. Dana Bergstrom:

    " Das Stachelnüsschen gehört zu den Rosengewächsen und breitet sich seit 50 Jahren auf Heard Island aus. Es wird durch den Klimawandel begünstigt und setzt sich gegen andere Pflanzen durch. Noch finden wir auf Heard Azorella selago, eine Kissenpflanze, die riesige Polster bildet. Auf den Kerguëlen oder Marion-Island hat das Stachelnüsschen diese grünen Teppiche bereits überwuchert. Was das für das Ökosystem bedeutet, wissen wir nicht. "

    Jedenfalls reagieren die Tiere. Derzeit meist noch positiv, erklärt Eric Woehler vom Australischen Antarktischen Dienst:

    " Bei einigen Vogelarten reichen unsere Datenreihen mehr als 50 Jahre zurück. 1947 brüteten auf Heard drei Königspinguinpaare. Jetzt sind es mehr als 60.000. Die Population verdoppelt sich alle fünf Jahre, und der Trend hält an, wie fast überall in der Antarktis. Auch die Schwarzbrauen-Albatrosse nehmen zu. Wir haben keine Ahnung, warum. Ein Teil der Erklärung ist, dass der schwindende Gletscher Raum freigibt, den die Vögel für die Brut nutzen. "

    Königspinguine und Schwarzbrauen-Albatrosse profitieren wohl auch vom wärmeren Meer: Schließlich werden die fettreichen Fische mehr, die die Vögel am liebsten fressen. Das um anderthalb Grad wärmere Wasser bringt jedoch nicht jedem Vorteile: Rund um die Antarktis hat der Bestand der Felsenpinguine um bis zu 95 Prozent abgenommen. Die kleinen Pinguine finden nicht genug zu fressen. Denn ihre Futtertiere verlassen die Küstengewässer und ziehen sich ins kältere, weiter von den Inseln entfernte Wasser zurück. Und dorthin können die Vögel ihnen nicht folgen. Angesichts der vielen Veränderungen, die sie gerade verzeichnen, vermuten die Forscher, dass die Felsenpinguine nur die ersten sind, die auf den Klimawandel reagieren. Andrew McMinn von der Universität von Tasmanien in Hobart:

    " Wir sehen viele Veränderungen. Die Meere rund um die Antarktis werden durch das Meer-Eis kontrolliert. Ohne das Eis würde sie durch starke Winterstürme aufgewühlt und das Plankton würde in tiefere Wasserschichten gedrückt. Die Eisplatten beruhigen die See, und das Plankton sammelt sich unter dieser Eisdecke. Es wächst, gedeiht, und dort kann der Krill es fressen, der dann wieder im Magen der anderen Tiere landet. werden wärmer. Wärmere Meere bedeuten weniger Meer-Eis, weniger Meer-Eis heißt weniger Plankton, von dem der Rest des Ökosystems abhängt. "

    Deshalb werden letztlich alle anderen verlieren: Robben, Fische und die vielen anderen Pinguinarten auch. Der Kaiserpinguin könnte das nächste Opfer des Klimawandels werden. Wie der Eisbär am Nordpol ist auch er vom Meer-Eis abhängig. Während der Bär das Meer-Eis für die Jagd braucht, ziehen die Pinguine ihre Jungen darauf groß. Schwindet das schwimmende Eis, wird es beiden zum Schicksal werden.