Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Blut und Erlösung

Im Anfang war das Wort. Etwas später schlug Kain den Abel tot. Und dann machten Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins Jesus & Co. zu Actionhelden. So ließe sich grob, sehr grob der unaufhaltsame Aufstieg des christlichen Thrillers vom Nischenprodukt zum Massenartikel zusammenfassen. Der sensationelle Erfolg der Left Behind Series, jener fiktiven Apokalypse in Fortsetzungen, ist ein amerikanisches Phänomen, über das sich die Europäer bereits ausgiebig gewundert haben.

Von Sacha Verna | 27.07.2004
    Der vor kurzem erschienene zwölfte und letzte Band der Serie, in dem es zum Showdown zwischen dem Antichrist und seinem heiligen Erzfeind kommt, brach sämtliche Auflagerekorde. Erstaunlich ist freilich weniger der Erfolg dieser Reihe - Kommerz, Konsum und Christentum bilden in den USA schon seit längerem eine fruchtbare Allianz - als vielmehr die Hemmungslosigkeit, mit der die Autoren darin Gewalt in Szene setzen. Da gibt es von Eingeweiden und menschlichen Gliedmassen übersäte Schlachtfelder und Massaker, angesichts derer selbst ein Hannibal Lecter zweimal schlucken würde. Betrachtet man LaHayes und Jenkin's Metzeleien neben Mel Gibsons Kinohit, dem zweistündigen Folterfest The Passion of Christ, wird klar: Die christliche Unterhaltungsindustrie hat Blut geleckt.

    Bis von wenigen Jahren wurde der christliche Buchmarkt von Ratgeber- und Erbauungsliteratur dominiert. Wobei "christlich" hier für "evangelisch" steht und alle protestantischen Gruppen in Amerika umfasst, von den Methodisten bis zu den Baptisten. Bittersüße Liebesgeschichten mit Happyends vor dem Traualtar waren bei Frauen besonders beliebt. Männer bevorzugten Titel der Sorte How to Run a Bible Group oder Pray and Make Money. Gewalt war eindeutig ein Tabu. Heute dagegen läuft, bei aller Gottgefälligkeit, ohne Mord und Totschlag kaum etwas mehr. Dem US-Branchemagazin Publishers Weekly zufolge sind Spannungsromane mit biblischer Botschaft und blutiger Handlung das derzeit schnellstwachsende belletristische Genre. 17 der 32 für die wichtigsten christlichen Literaturpreise, die Christy Awards, eingereichten Titel waren im letzten Jahr Krimis oder Thriller.

    Die Leserschaft verlangt nach Nervenkitzel und Helden, die ihren Nächsten Liebe notfalls auch einprügeln. Natürlich ergehen sich nicht alle schriftstellerisch tätigen Diener des Herrn in so drastischen Schilderungen von Gewalt wie das Duo LaHaye und Jenkins. Terri Blackstock zum Beispiel, ein Liebling der christlichen Lesergemeinde, hat sich auf solide Krimis spezialisiert. In ihrem neusten Cape Refuge liefert sie wie gewohnt präzise Beschreibungen von Tatort und Leichen - Schädeldecke zertrümmert, Würgmale am Hals et cetera - und konzentriert sich dann, wie viele ihrer weltlichen Kollegen, auf irreführende Spuren und unschuldig Verdächtigte. Tim Downs wiederum, der als vielversprechender junger Krimiautor gilt, hat Tod und Verwesung zum Beruf seines Helden gemacht. Nick Polchack in Shoofly Pie ist forensischer Entymologe, ein Insektenforscher, der Mordfälle löst, indem er die Würmer in modrig gewordenen Verbrechensopfern untersucht. Als Sonntagsschullektüre sind auch seine Bücher nicht unbedingt geeignet.

    Was rasante Plots und die obligaten Toten betrifft, steht die christliche Spannungsliteratur ihrer säkularen Konkurrenz in nichts nach. Doch wird in ihr mit Gottes Segen gemordet. Das heißt, dass jede Greueltat die Rettung mindestens einer Seele nach sich zieht. In der Regel handelt es sich beim
    Protagonisten zu Beginn eines Romans um einen modernen Durchschnittsnihilisten, der wie so viele seiner Zeitgenossen zu sehr in die Probleme des Diesseits verstrickt ist, um sich über die Akteure des Jenseits den Kopf zu zerbrechen. Im Verlauf des Geschehens trifft er auf einen zutiefst christlichen Mitmenschen, der ihm sanft, aber bestimmt den richtigen Weg weist - derweil im Hintergrund ungehindert weiter die Fetzen fliegen. Am Schluss haben zwar einige das Zeitliche gesegnet, doch der Held weiß endlich, wo's lang geht.

    Christliche Krimis und Thriller sind Bekehrungsgeschichten, deren Autoren dem Wischi-Waschi-Messianismus abgeschworen haben. Sie feiern die Rückkehr des Rächergotts und operieren mit irdischen Reizmitteln. Das Tabu Sex ist bislang noch unangetastet geblieben. In Cape Refuge ist ein Kuss im Ehebett schon der Gipfel der Erotik. Doch ein unfreiwilliger Abgang hier und ein bisschen Action da können nichts schaden. Anders, so die Einsicht, lässt sich ein von Special Effects gesättigtes Publikum nicht zum wahren Glauben führen. Die Form des Krimis oder Thrillers ist ideal. Die Fronten darin sind allen avantgardistischen Aufweichungen zum Trotz klar erkennbar: Das Gute hier, das Böse da. Archaischer, biblischer geht es nicht.

    Einer Theorie zufolge trug der Mangel an Feindbildern nach dem Ende des Kalten Krieges wesentlich zum Comeback der Bibel als Milchkuh der Unterhaltungsliteratur bei. Vom Spion, der aus der Kälte kam, verlegte man sich auf den Teufel persönlich. Inzwischen verfügen wir über neue Feindbilder. Das größte Verwertungspotential haben zweifellos islamische Fundamentalisten. Da sich der Teufel als Bösewicht bewährt hat, kombinieren manche Autoren beides geschickt und verteufeln nun eben die Islamisten. Das ist praktisch, weil es den auf Schlagworte reduzierten Islam gratis gibt und das Studium von etwaigen Alternativ-Feinden und -Religionen - Hinduismus oder Buddhismus - sich somit erübrigt.

    Einer der prominentesten dieser Autoren ist Oliver North. North, einst Sicherheitsberater und Kontraterrorismus-Beauftragter unter Ronald Reagan, schreibt Thriller, in denen es nur so wimmelt von islamischen Selbstmordattentätern und Turban tragenden Kidnappern. Der Held, Lt. Col. Peter Newman der US-Marine, kämpft für Gott und seinen Präsidenten mit einer Ausdauer, mit der nur jemand mit dem richtigen Gott und dem richtigen Präsidenten kämpfen kann. Dass in seinem jüngsten Roman The Jericho Sanction: A Novel noch immer nach Massenvernichtungswaffen in Irak gesucht wird, scheinen Gott und Präsident durchaus zu begrüßen.

    Robert L. Wise, weniger bekannt als North, aber nicht minder patriotisch und gottesfürchtig, lässt in seinem futuristischen Thriller Wired keinen Zweifel daran, wo der Hase im Pfeffer, beziehungsweise dass der Scheich in der Wüste sitzt. Bei Pfefferminztee und Donnergrollen planen sechs Staatsführer im Nahen Osten den Generalangriff auf die Vereinigten Staaten. Das demokratische System sei Amerikas Achillessehne, raunt ein gewisser Hassan Jawhar Rashid, währenddessen die gut amerikanische Familie Peck in einem Vorort von Chicago angesichts interner und externer Tragödien zurück zu Gott findet.

    Tödliche Gefahr und göttliche Gnade lautet die Formel der Gegenwart in einem Land, wo Religion im öffentlichen Leben traditionell eine weitaus grössere Rolle spielt als in Europa. Das Gute, Wahre und Schöne auf ein paar hundert Seiten gebracht und vom Pastor empfohlen: Mit christlichen
    Krimis und christlichen Thrillern werden die Mußestunden zwischen Aufstehen und Amen an Abend zum salbungsvollen Hochgenuss. Kann den Lesen Sünde sein?

    Tim F. Lahaye/Jerry B. Jenkins
    Glorious Appearing: The End of Days (Left
    Behind Nr. 12)

    Tyndale Publishers, 400 S., 24,99 Dollar

    Terri Blackstock
    Cape Refuge
    Zondervan, 385 S., 12,99 Dollar

    Tim Downs
    Shoofly Pie
    Howard Publishing, 371 S., 12,99 Dollar
    Oliver North
    The Jericho Sanction: A Novel
    Broadman & Holman Publishers, 576 P., 24,99 Dollar.

    Robert L. Wise
    Wired
    Warner Faith, 305 S., 13,95 Dollar