Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Blutbad an der Seine

Vor genau 50 Jahren, am 17. Oktober 1961, verübte die Pariser Polizei ein Massaker an Algeriern, die in Paris gegen die Einführung der Sperrstunde demonstrierten. Mit dem Blutbad kehrte der Algerienkrieg nach Frankreich zurück. Bis heute tut sich das Land schwer mit der Aufarbeitung dieses düsteren Geschichtskapitels.

Von Ursula Welter | 17.10.2011
    De Gaulle war Präsident, ein gewisser Maurice Papon, vormals Nazi-Kollaborateur, Polizeipräfekt von Paris. 1961. Die FLN, die algerische Nationale Befreiungsfront, hatte zur Demonstration aufgerufen gegen die Sperrstunde, die der Präfekt erlassen hatte. Zehntausende folgten dem Aufruf.

    "Oktober 1961, Das Massaker von Paris", hat Jean-Luc Einaudi sein Buch betitelt, das bei Pluriel erschienen ist. Was war die Ausgangslage für diesen Tag, den Abend, der blutig enden sollte? Es war die Zeit, da der sogenannte Algerienkrieg gleichsam nach Frankreich zurückkehrte, sagte Einaudi im französischen Rundfunk.

    Die Verhandlungen, die zwischen der französischen Regierung und der provisorischen Regierung Algeriens begonnen hatten, waren wegen des Streits um die Zukunft der Sahara abgebrochen. Die Fronten waren verhärtet, es gab zunehmend Repressionen gegen die Algerier in der Region Paris, nicht zuletzt, weil Ende August 1961 die Gruppen der FLN eine neue Serie von Attentaten gegen Polizeikräfte begonnen hatten, aufseiten der Polizei hatte es elf Tote gegeben. Von Anfang September an, sagt der Historiker, seien dann Leichen aufgetaucht, in der Seine, in den Kanälen rund um Paris.

    Man wisse inzwischen, schildert Jean-Luc Einaudi, und auch damals schon habe es Zeugen gegeben, die nur nicht gehört wurden, dass die Menschen zusammengetrieben wurden, an die Kanäle gebracht, gefesselt und ins Wasser gestoßen wurden.

    Die Polizei schießt in die Menge, die gegen den Erlass der Sperrstunde an jenem Abend auf die Straße gegangen ist. Demonstranten werden in die Seine geworfen. Offiziell ist zunächst von drei Toten die Rede, eine juristische Untersuchung gibt es nicht. 1997 erst erscheint ein offizieller Bericht, der die Zahl der Toten auf 31 nach oben korrigiert, ohne korrekt zu sein, wie der Historiker Jean-Luc Einaudi in seinem Buch schreibt.

    Nehme man alle Opfer zusammen, die des 17. Oktober und alle Toten, die schon zuvor in den Gewässern rund um Paris gefunden wurden, dann stünden auf seiner Liste 384 Opfer, aber die Zahl sei vermutlich höher, es gebe ungeklärte Fälle und Vermisste, bis heute.

    In Frankreich und in Algerien wird heute der Opfer gedacht. Die Demonstranten fordern, dass der französische Staat die Tat offiziell einräume, sich entschuldige. Leider, so sagt der Historiker Einaudi, folge der Staat bis heute den Lügen eines Maurice Papon.

    Vor einigen Jahren hatte es eine erste Andeutung des sozialistischen Premierministers Lionel Jospin gegeben, der habe immerhin von Dutzenden toten Algeriern gesprochen, ein erster Schritt, sagt der Historiker. Der nun frisch gekürte Präsidentschaftskandidat der Sozialisten, François
    Hollande, der immerhin habe angedeutet, die Tat des Staates als solche anerkennen zu wollen, sollte er gewählt werden.

    Am Wochenende hatten in der Nationalversammlung Historiker und Zeitzeugen über das Ereignis debattiert. Ein symbolischer Schritt, immerhin, sagten die Teilnehmer. Algerien, der Algerienkrieg, das Massaker von Paris, es sei zu lange geschwiegen worden, sagt diese junge Frau, man müsse offener sprechen dürfen, damit die Familien verstünden, was passiert sei, und es ihren Kindern erklären könnten.