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Blutgruppen
Weit mehr als das AB0-System

In Deutschland weiß nur jeder zweite Bundesbürger, welche Blutgruppe er hat: A, B oder null. Eine Bluttransfusion einer nicht passenden Blutgruppe wäre für den Empfänger folgenreich - zudem gibt es noch viele andere Gruppen, neben dem AB0-System.

Von Mirko Smiljanic | 21.07.2015
    Einem Patienten wird Blut abgenommen
    Einem Patienten wird Blut abgenommen (picture alliance / Klaus Rose )
    Universitätsklinik Ulm, Immunhämatologisches Labor. Ein Raum voller Arbeitstische mit technischem Equipment.
    "Wir sind hier in der Blutspendezentral in Ulm, wir bestimmen hier Blutgruppen von Patienten", erzählt die medizinisch-technische Assistentin Sabine Kaiser und zeigt auf winzige Fläschchen mit einer transparenten Flüssigkeit.
    In diesen Fläschchen oder Säulen schwimmen winzige Mengen Blut. Einige in der Mitte, andere liegen am Boden. Fachleute erkennen daran die Blutgruppe: A, B, AB oder 0.
    "Unter Blutgruppe verstehen wir Merkmale auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen", Professor Hubert Schrezenmeier, Direktor des Instituts für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik am Universitätsklinikum Ulm, "Merkmale, die bei den Menschen verschieden sein können und aufgrund dieser Verschiedenheit bei der Übertragung von roten Blutkörperchen, also bei einer Bluttransfusion, beim Empfänger zu Reaktionen führen können."
    Karl Landsteiner entdeckte Blutgruppen 1901
    Und zwar zu ausgesprochen unangenehmen. Wird das Blut verschiedener Blutgruppen gemischt, kann es sich verklumpen. Bevor der Wiener Arzt Karl Landsteiner im Jahre 1901 die Blutgruppen entdeckt hat, waren deshalb Bluttransfusionen immer auch ein Glücksspiel: Hatten Spender und Empfänger zufällig die gleiche Blutgruppe, ging alles gut, wenn nicht, starb nicht selten der Empfänger. 1901 ist schon aus diesem Grund ein wichtiges Datum: Es ist das Geburtsjahr der modernen Transfusionsmedizin. Landsteiner beschrieb das AB0-System, also die heute geläufigen Blutgruppen. Doch dabei blieb es nicht.
    "Es gibt verschiedene Blutgruppensysteme, einige sind durch Eiweiße definiert, das ist zum Beispiel das Rh- oder Rhesusblutgruppensystem, andere sind durch Zuckermoleküle, durch Kohlenhydrate definiert, das ist bei dem AB0-Blutgruppensystemen der Fall."
    Der Rhesusfaktor hat vor allem für Schwangere von Bedeutung. Hat die Mutter einen negativen Rhesusfaktor, erwartet aber ein Kind von einem rhesus-positiven Mann, kann dies zu Problemen führen, wenn das Kind vom Vater das rhesus-positive Merkmal erbt. Die Mutter bildet Antikörper gegen die Blutzellen des Kindes, was zu Sauerstoffmangel beim Ungeborenen führen kann. Glücklicherweise lassen sich solche Komplikationen heute aber verhindern. Damit die Mütter keine Antikörper bilden, wird ihnen gegen Ende der Schwangerschaft Rhesusantiserum injiziert. Die Antikörperbildung bei der Mutter unterbleibt dann.
    Neben den AB0- und dem Rhesusfaktor, gibt es etwa 30 weitere Blutgruppensysteme. Sie heißen Kell und Daffy, Diego, Indian, Cromer, Knops oder Dombrock. Jedes System beschreibt ein biochemisches Detail, das sich von Individuum zu Individuum unterscheiden kann. Manche Systeme sind vergleichsweise unwichtig, andere besitzen eine große medizinische Bedeutung, das AB0-System etwa. Bluttransfusionen oder Organtransplantationen ohne vorab die jeweiligen Blutgruppen zu testen, das ist undenkbar.
    Immunsystem bildet Antikörper gegen fremde Antigene
    Wobei die AB0-Blutgruppen mit einem auf den ersten Blick einfachen Verfahren getestet werden. Das Immunsystem bildet Antikörper gegen fremde Antigene. Mischt man nun Blut verschiedener Blutgruppen, verklumpen sich die roten Blutkörperchen, weil die Antikörper gebunden werden. Genau das nutzen Blutgruppentest aus: Man bringt Erythrozyten beziehungsweise rote Blutkörperchen mit Antiseren zusammen und schaut, was passiert.
    "Ich habe hier eine Gelkarte", Sabine Kaiser "auf die wir Erythrozyten des Patienten aufgetragen haben und die entsprechenden Antiseren, die Inkubationszeit ist beendet, sprich die Zeit also, die die Reagenzien brauchen, um miteinander zu reagieren, stelle das jetzt alles in die Zentrifuge, Deckel zu und einmal starten."
    Zehn Minuten lang schleudern die kleinen Kärtchen im Kreis. Haben sich die roten Blutkörperchen verklumpt, schaffen sie es nicht, zwischen den Gelkügelchen hindurchzuwandern und bleiben in der Mitte des Kärtchens stecken. Haben sie sich nicht verklumpt, treibt sie die Schwerkraft ans Ende des Röhrchens.
    "Die Zentrifugation ist nun beendet und ich werde die Gelkärtchen nun rausholen, der Deckel wird geöffnet, nun lässt sich sehr gut an den Reaktionen erkennen, welche Blutgruppe wir hier haben, es ist eben Anti-A keine Reaktion zu erkennen, sprich die roten Blutkörperchen sind durch diese Gelsubstanz gewandert bis ganz nach unten, beim B-Antiserum haben wir eine deutliche Verklumpung der roten Blutkörperchen, also haben wir hier die Blutgruppe B vorliegen, Rhesusfaktor haben wir eine Verklumpung vorliegen vierfach, Rhesusfaktor ist in diesem Falle positiv.
    Suche der Wirkungen von Blutgruppen
    Seit der Serologe Karl Landsteiner die Blutgruppen beschrieben hat, suchen Wissenschaftler und medizinische Laien nach Wirkungen der Blutgruppen. Viele Japaner etwa glauben, dass Menschen mit der Blutgruppe A eher verschlossen sind; B-Typen zählen zu den Kreativen; und die Träger der Blutgruppe 0 sind Führungspersönlichkeiten. Ist da was dran? Nein, sagt Hubert Schrezenmeier, auf dieser Ebene gibt es keine Zusammenhänge. Weit wichtiger ist für ihn, dass bei Transfusionen das Blut des Spenders und das Blut des Empfängers wirklich zusammen passen. Die Folgen einer Transfusionsunverträglichkeit sind dramatisch.
    "Da müsste man mit einer Verklumpung der roten Blutkörperchen im Kreislauf des Empfängers rechnen mit einer ganzen Reihe von weiteren Reaktionen, die dann im Empfängerorganismus ausgelöst werden, und das kann dann zu einer schweren Transfusionsreaktionen führen mit dem Zerfall roter Blutkörperchen, und das kann lebensbedrohlich sein."
    Gleiches gilt übrigens auch bei Organtransplantationen.
    "In der Organtransplantation versucht man eine AB0-kompatible, das heißt AB0-verträgliche Situation zwischen Spender und Empfänger zu erreichen, weil die Ergebnisse dann besser sind, das ist auch ein Kriterium für die Spenderauswahl, dass die AB0-Gruppe von Spender und Empfänger zusammenpasst."
    Kommt es trotzdem zu einer Transfusionsreaktion, steht ein ganzes Arsenal an Medikamenten zur Verfügung, um das Leben des Patienten zu retten. Es werden:
    "Medikament gegeben, die das Kreislaufsystem stützen, da es in dieser Situation häufig zu einem Abfall des Blutdrucks kommt, da werden gerinnungsbeeinflussende Medikamente gegeben, da in dieser Situation häufig eine überschießende Blutgerinnung eintritt, ein weiteres, in dieser Situation sehr gefährdetes Organ, ist die Niere, es kann ein akutes Nierenversagen auftreten, darum werden Medikamente gegeben, wie die Nierenfunktion stimulieren."
    Soweit kommt es aber nur in extrem wenigen Fällen, was auch ein Verdienst der immunhämatologischen Labore ist. Falsche Resultate beim Blutgruppentest gibt es praktisch gar nicht mehr!
    "Wir überprüfen die Antiseren jeden Tag auf Funktionalität mit Positiv-und Negativkontrolle, wenn neue Fläschchen oder Kärtchen benutzt werden, werden auch diese auf Funktionalität überprüft, zum einen sind diese Karten von der Firma selbst validiert, zum anderen überprüfen wir auch jeden Tag aufs neue, das heißt, die Bestimmung ist eigentlich 100 Prozent sicher."