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Blutige Geschäfte

Auf der Leinwand und auf der Bühne spritzt das Blut, fließen die Körpersäfte und altern Menschen innerhalb weniger Minuten. Hinter diesen täuschend echten Szenen steckt jede Menge Arbeit. Die Berliner Firma "Kryolan" produziert Requisiten für die große und die kleine Showbühne.

Von Julius Stucke | 28.01.2011
    "Hierbei handelt es sich um Transparent-Blut."

    Firmenchef Wolfram Langer steht in einem der Produktionsräume des Kryolan-Stammsitzes in Berlin-Reinickendorf. Es riecht nach Schminke, Entstaubungsanlagen produzieren einen permanenten Geräuschpegel, saugen den Schmink- und Farbstaub aus der Luft.

    Langer präsentiert eine von rund 30 verschiedenen Sorten Kunstblut, tropft aus einer Tube etwas auf den Handrücken. Täuschend echt - als hätte er sich gerade geschnitten:

    "Transparent-Blut wird eben auf der Haut benutzt, gerade bei Film und Fernsehen. Und wichtig ist, dass das Blut langsam läuft - weil sie wollen bei Filmaufnahmen das langsam laufen sehen."

    Es läuft gut - das Geschäft mit dem Blut.

    "Blut in dicker Form, in getrockneter Form mit Schorfeffekten. Blut in kleinen Beutelchen, die man dann in den Mund nehmen kann - oder ganz klein, die man in die Nase schieben kann, um ein Nasenbluten zu simulieren."

    Das Kunstblut macht allerdings nur drei Prozent aus - eines riesigen Sortiments: Schminke für den professionellen Kosmetik- und Schönheitsbereich in Hunderten Farbtönen, Camouflage-Schminke zur Korrektur von Hautanomalien. Und wirklich alles, was Theaterregisseure und Maskenbildner benötigen:

    "Eitersimulation, Schlammsimulation."

    Ein kleines Fläschchen ist beschrieben mit "Sperma - extra dick":

    "Das ist für ganz besondere Theaterstücke - ob man das unbedingt sehr ästhetisch und schön finden soll, wage ich zu bezweifeln."

    Aber das ist für Wolfram Langer und Kryolan nicht entscheidend: Jeder Kundenwunsch wird erfüllt. Auch Kleinstmengen werden hergestellt und geliefert:

    "Nicht jeder Artikel wird nun besonders betriebswirtschaftlich sinnvoll sein, aber er gehört nachher zum Kompetenzbereich. Und wenn Sie die Kompetenz nachher nicht mehr haben, nützt Ihnen die Betriebswirtschaftlichkeit für die anderen Produkte auch nichts mehr."

    Viel entsteht bei Kryolan auch deshalb noch in Handarbeit. Es würde sich einfach nicht lohnen, Maschinen anzuwerfen - für eine Handvoll Schminkdosen. Andere, Standardprodukte, werden auch in großen Mengen produziert und geliefert.

    Im hauseigenen Labor entwickeln Chemiker nach wie vor neue Farbnuancen, Schminken, Mixturen. Nicht nur Sonderwünsche aus dem Theater wollen bedient werden. Die enge Bindung an die Welt der Film- und Fernsehproduktion beeinflusst auch die Kryolan-Produkte, so Yousef Atapour, Leiter der Produktentwicklung. Die Firma ist gewachsen - von den ersten Farbfilmerfahrungen bis zur heutigen High Definition, kurz, HD-Technik. Der hochauflösenden Kameratechnik für die Atapour spezielle Schminken entwickelt hat:

    "Es ist teilweise schwerer geworden, weil durch die Empfindlichkeit der Kamera wird jede Falte auf dem Gesicht ersichtlich. Und um beim Schminken dem Zuschauer nicht das Gefühl zu geben, dass das Gesicht voll mit Schminke gespachtelt ist, werden diese Schminken entwickelt."

    Nicht nur die Entwicklung - alles geschieht firmenintern, bis hin zur Auslieferung - ergänzt Wolfram Langer. Lächelnd nennt er das "Insourcing". Die Umkehrung des mittlerweile gängigen Outsourcings, also des Auslagerns von Unternehmensaufgaben an Drittfirmen.

    Einer der Erfolgsfaktoren des Unternehmens, denn, so der Firmenchef, nur so könne man flexibel und schnell auch auf spezielle Kundenwünsche reagieren:

    "Wenn das Theater es heute braucht, dann braucht es das heute. Und einen Regisseur können sie nicht davon überzeugen, er soll nächstes Jahr noch mal nachfragen. Wir haben es uns selber zur Aufgabe gemacht, den Maskenbildner mit allem dem, was er benötigt, zu beliefern. Und zwar dann zu beliefern, wenn er es braucht."

    Der Erfolg gibt ihm recht. Selbst in den vergangenen Krisenjahren hat die Firma keinen Mitarbeiter entlassen müssen:

    "Wir haben die Krise auch gespürt: Wir hatten zwei Jahre kein Wachstum. Das ist für uns eine Neuigkeit gewesen, sonst hatten wir jedes Jahr Wachstum."

    Zwar gingen die Umsätze in einigen Ländern zurück, dafür kamen in anderen Ländern neue Märkte hinzu. Das Exportgeschäft macht den größten Teil des Umsatzes aus. Fast 80 Prozent der Kryolan-Produkte gehen ins Ausland - in 82 Länder rund um den Globus. Ein wichtiger Markt ist die Filmindustrie in Indien. Und so gibt es dort mittlerweile eine Tochterfirma - außerdem in San Francisco, London, im polnischen Szczecin und in Bangladesh.

    Angefangen hat alles mit einem kleinen Berliner Betrieb in der Nachkriegszeit. Langers Vater gründete Kryolan 1945.

    Arnold Langer. Der gelernte Chemiker begann mit Hautcremes, verlegte sich aber schnell auf die Herstellung von Theaterschminke für die wiedereröffneten Berliner Bühnen. Langer Senior arbeitet auch heute noch für Kryolan - mit 90 Jahren allerdings "nur" noch an vier Tagen pro Woche. Die Geschäfte leitet mittlerweile Sohn Wolfram. Mit 60 Jahren der "Junior". Auch dessen Frau und Söhne arbeiten für die Kryolan GmbH - drei Generationen also. Und viele der rund 130 Berliner Mitarbeiter, arbeiten auch schon seit mehr als 20 Jahren hier:

    "Auch im Kundenkreis. Viele Kunden benutzen den Begriff der Kryolan-Familie. Wir haben Kunden über 50 Jahre hier. Manchmal schon in der zweiten, dritten Generation."

    Und wenn der nächste Krimi-Tote auf der Leinwand zu sehen ist - dann stammt die Blutlache wahrscheinlich wieder aus dem Hause Kryolan.