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Bluttest für Schwangere
Gesellschaftliche Verantwortung statt Marktmechanismen

Sollen die Krankenkassen einen Bluttest bezahlen, mit dem schon in der Schwangerschaft festgestellt werden kann, ob das ungeborene Kind das Down-Syndrom hat? Darüber debattiert am Donnerstag der Bundestag. Katholische und evangelische Kirche haben eine unterschiedliche Haltung zu diesem Thema.

Von Ina Rottscheidt | 11.04.2019
Eine Mutter und ein Junge betrachten ein Ultraschall-Bild
Bluttests zur pränatale Diagnose von Trisomie 21 sind längst auf dem Markt - die EKD setzt sich für mehr Beratung und eventuelle Kostenübernahme ein (imago)
Die Antoniterkirche mitten in der Kölner Innenstadt: Es ist der 21. März 2019 – der Welt-Down-Syndrom-Tag. Pfarrer Wolfram Kuntze hat zu einer Andacht eingeladen. Die kleine Kirche ist gut besucht, viele Familien sind gekommen:
"Man will nicht die Hindernisse in der Gesellschaft abschaffen, sondern im Grunde geht es darum, das Down-Syndrom und andere genetische Besonderheiten aus der Welt zu schaffen", sagt er.
Kuntze wählt deutliche Worte in seiner Ansprache: 9 von 10 Kinder, bei denen das Down-Syndrom während der Schwangerschaft diagnostiziert wird, werden in Deutschland Schätzungen zufolge abgetrieben. Das Thema bewegt den Pfarrer auch persönlich, denn sein Sohn hat das Down-Syndrom.
So viel Normalität war nicht immer
Simeon ist 16 Jahre alt. An einem ganz normalen Nachmittag kommt er aus der Schule. Stellt seine Brotdose in der Küche ab, drückt dem Vater einen Schmatzer auf den Kopf.
Vieles erscheint auf den ersten Blick so wie in Millionen anderen deutschen Familien auch. Simeon besucht eine inklusive Gesamtschule. Er mag Deutsch und Geografie. Wie sein Tag so war – darüber hat der 16-Jährige keine Lust zu reden – wie viele Jungen seines Alters. Aber dass er bald Osterferien hat, findet er gut:
"Auf die Osterferien freue ich mich. Da habe ich keine Schule. Und das Coolste: Ich fahre am Freitag zum Engelshof zum Dart-Spielen mit meinen Freunden."
Soviel Normalität war nicht immer. Als ihr Sohn vor 16 Jahren auf die Welt kam, wurden die Kuntzes von der Diagnose überrascht. Noch im Krankenhaus legte ihnen eine Schwester nahe, das Kind ins Heim zu geben.
Nicht "Gott spielen"
Das Paar hatte sich bewusst gegen Tests in der Schwangerschaft entschieden. Abtreibung kam für sie nicht infrage, er wolle nicht "Gott spielen", sagt Kuntze:
"Ich werde nicht verschweigen, dass es anstrengender ist, als mit den anderen Kindern. Aber das zu einem Grund zu machen, zu sagen: Wir müssen im Vorfeld selektieren. Da kriege ich aus ethischen und menschlichen Gründen ziemliche Schwierigkeiten, weil der Ansatzpunkt anders sein müsste."
Die Frage, ob Bluttests, mit denen das Down-Syndrom schon während der Schwangerschaft diagnostiziert werden kann, jetzt von Krankenkassen bezahlt werden sollten, sieht der Pfarrer kritisch. Die hätten erst gar nicht eingeführt werden dürfen, findet er. Für ihn ist das Selektion.
Dass seine Kirche, die EKD, sich jetzt unter bestimmten Bedingungen für eine solche Kassenleistung ausspricht, gefällt ihm nicht. Auch wenn er natürlich weiß, dass sich technischer Fortschritt selten aufhalten lässt.
Umfassende Beratungsangebote
Das ist das zentrale Argument der Evangelischen Kirche, die sagt: Kassenleistung ja, bei Risikoschwangerschaften, und nur, wenn es auch zusätzlich umfassende Beratungsangebote gibt:
"Es geht nicht darum ob die zugelassen werden oder nicht, sie sind am Markt, sie werden verwendet", sagt Reiner Anselm. Er ist Professor für Theologie an der Uni München und Vorsitzender der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD. Er ist der Ansicht: Nur wenn man die werdenden Eltern erreicht, kann man sie zum Nachdenken anregen. Und möglicherweise doch noch umstimmen:
"Wohlhabendere Familien können sich so einen Test jetzt schon ohne weiteres leisten, Ärmere müssen auf die Fruchtwasseruntersuchung ausweichen, die jetzt schon von den Krankenkassen bezahlt wird, obwohl sie deutlich riskanter für das Ungeborene ist. Das halten wir für hochproblematisch. Wir möchten auf eine intensivere gesellschaftliche Debatte hinarbeiten. Aber auch da gilt: Das hat überhaupt keinen Sinn, wenn wir die Betroffenen nicht erreichen."
Die Katholische Kirche hingegen lehnt die Kostenübernahme grundsätzlich ab. Weihbischof Anton Losinger war viele Jahre Mitglied des Deutschen Ethikrates und er befürchtet, dass der gesellschaftliche Druck auf Eltern steigen könnte, ein genetisch nicht perfektes Kind abzutreiben. Er und seine Amtsbrüder hatten schon die Einführung der Tests 2012 abgelehnt:
"Ich frage mich, welches Menschenbild des Menschen mit Behinderung wir generieren, wenn wir sagen: Die Detektion eines genetischen Defekts ist ein hinreichender Grund für die Beendigung des pränatalen Lebens? Und praktisch gibt es die Dimension: Wie werden wir mit dem imperfekten Menschen umgehen, wenn ringsherum überall nach dem perfekten Menschen gestrebt wird?"
Gesellschaftliche Verantwortung statt Marktmechanismen
Der evangelische Theologe Anselm hält nicht viel von Verboten, die Tests gebe es nun mal, sagt er, darauf müsse man reagieren:
"Und ich persönlich möchte diese Fragen auch nicht dem Markt überlassen. Wenn Sie sich die Seiten der Test-Anbieter schauen, wird das dort alles sehr positiv dargestellt. Das liegt daran, dass wir eine Marktsituation haben. In dem Augenblick, in dem wir das in die gesellschaftliche Verantwortung nehmen, entziehen wir diese Fragen den Marktmechanismen und das scheint mir doch ein ganz zentrales Anliegen zu sein, das man verfolgen muss."
Dass die Tests Realität sind, sieht auch Pfarrer Wolfram Kuntze aus Köln. Dann muss man auch die Frage der Bezahlung klären, sagt er. Trotzdem ist ihm die Vorstellung, dass damit Kinder, die wie sein Sohn das Down-Syndrom haben, abgetrieben werden, schwer erträglich. Er wünscht sich, dass in der Diskussion um Behinderung nicht immer nur Belastung und Probleme im Vordergrund stehen. Simeon habe sein Leben bereichert, sagt Kuntze:
"Das schöne ist, dass dieser Mensch viele Behinderungen, die wir haben, gar nicht kennt. Er ist zum Beispiel völlig vorurteilsfrei, er geht auf alle Menschen zu, egal welche Hautfarbe, welchen wirtschaftlichen Status, welche Körpergerüche. Er geht also auch auf Menschen, die auf der Straße leben zu, und umarmt die. Wir haben ganz oft das Erlebnis, dass er sie anspricht und die Menschen glücklich werden, dadurch, dass er zum Beispiel eine Frau in der Straßenbahn anspricht und ihr sagt: Du bist für mich eine Prinzessin."