Freitag, 19. April 2024

Archiv


Bockhahn: Dietmar Bartsch ist als Vorsitzender "sehr gut geeignet"

In der jetzigen Situation hält der Linksparteichef von Mecklenburg-Vorpommern, Steffen Bockhahn, Oskar Lafontaine nicht für den richtigen Mann an der Parteispitze. Jenseits der Personalien kranke die Linke aber derzeit vor allem daran, "dass ihr eine glaubwürdige politische Strategie fehlt".

Steffen Bockhahn im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 15.05.2012
    Tobias Armbrüster: Die Linkspartei hat sich mit ihrem Wahldebakel am vergangenen Sonntag in Nordrhein-Westfalen weiter in eine handfeste Krise geritten. Gerade mal zweieinhalb Prozent hat sie bekommen, ist damit aus dem Düsseldorfer Landtag wieder rausgeflogen. Man kann sagen, die Partei hat es nicht leicht im Westen der Republik. Aus dem Saarland hat sich nun allerdings ein alter Bekannter gemeldet, Oskar Lafontaine, der Mann, der die Linkspartei im Westen groß gemacht hat, der will es noch einmal wissen. Er überlegt, für den Bundesvorsitz zu kandidieren, vorher will er aber noch eine wichtige Sitzung abwarten. In Berlin treffen sich nämlich heute am Nachmittag der Bundesvorstand und die Landeschefs der Linkspartei, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Mit dabei sein wird auch der Linksparteichef von Mecklenburg-Vorpommern, der Bundestagsabgeordnete Steffen Bockhahn. Schönen guten Morgen, Herr Bockhahn!

    Steffen Bockhahn: Guten Morgen!

    Armbrüster: Herr Bockhahn, kann die Linkspartei einen Mann wie Oskar Lafontaine an ihrer Spitze gebrauchen?

    Bockhahn: Völlig klar ist, dass die Linke jemanden wie Oskar Lafontaine immer gut gebrauchen kann. Also ich kenne keine Partei, die auf so große Persönlichkeiten der politischen Landschaft verzichten kann. Die entscheidende Frage, die wir beantworten müssen, ist die, ob Oskar Lafontaine in dieser Situation der richtige Vorsitzende wäre – und da sage ich, das sehe ich anders, ich glaube, dass es mit Dietmar Bartsch einen Kandidaten gibt, der ein konkretes Programm vorgeschlagen hatte, der auch sehr gut geeignet ist als Vorsitzender, und der auch immer wieder gezeigt hat, dass er der Partei eine politische Idee, dass er ihr politische Projekte geben kann, die zu Erfolgen führen. Denn die 11,9 Prozent 2009 sind auch Resultat des Wahlkampfes, den Dietmar Bartsch organisiert hat.

    Armbrüster: Lassen Sie uns über Dietmar Bartsch gleich sprechen. Was spricht genau gegen Oskar Lafontaine?

    Bockhahn: Wissen Sie, für mich ist das nicht so besonders hilfreich zu erklären, warum der eine schlecht ist. Für mich ist es eher konstruktiv, darüber zu reden, warum ich diesen oder jenen unterstütze. Aber Fakt ist, dass es bei Oskar Lafontaine durchaus Dinge gibt, die ich nur begrenzt nachvollziehen kann, zum Beispiel was ich gestern gehört habe immer wieder, dass er Bedingungen stellt dafür, Parteivorsitzender zu werden. Ich kann das nicht nachvollziehen, weil für mich ist eine Kandidatur mit Angeboten verbunden und nicht mit Bedingungen. Ich glaube, da stimmt irgendwas nicht, und deswegen würde ich mir wünschen, dass wir über Angebote und nicht über Bedingungen sprechen. Und ich glaube, dass es auch andere gibt, die eher in der Lage sind, eine basisdemokratische, eine emanzipatorische Partei zu führen, und nicht so stark auf klare Ansagen von oben, die nach unten hin durchgesetzt werden sollen, setzen.

    Armbrüster: Aber sind denn nicht die Bedingungen, die Oskar Lafontaine offenbar stellt, ein Anzeichen für sein Selbstbewusstsein, und ist nicht gerade ein selbstbewusster Vorsitzender das, was die Linkspartei jetzt gerade braucht?

    Bockhahn: Ich kann Ihnen versichern, dass es in der Linkspartei sehr viele Menschen gibt, die ein starkes Selbstbewusstsein haben und auch ohne Forderung kandidieren.

    Armbrüster: Dann will ich mal so fragen: Haben die Landtagswahlen, die beiden letzten, die wir gesehen haben in NRW und in Schleswig-Holstein, haben die nicht gezeigt, dass gerade kleine Parteien ein Zugpferd brauchen, ein Zugpferd, so wie es Oskar Lafontaine sein könnte? Er hat die Partei ja insgesamt zu großen Erfolgen geführt, und viele Menschen können Ideen und Visionen mit seinem Gesicht und mit seiner Person verbinden.

    Bockhahn: Da bringen Sie mich jetzt in eine schwierige Situation, weil ich einfach weiß, wie oft Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein, in Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg unterwegs gewesen sind, und da ist alles nicht so besonders glorreich gelaufen. Ich glaube aber auch da nicht, dass es an den beiden alleine gelegen hätte oder dass das ausschließlich an Einzelpersonen liegt, nein, die Partei krankt im Moment daran, dass ihr eine glaubwürdige politische Strategie fehlt. Es ist ganz interessant zu hören, dass Klaus Ernst darüber spricht, dass wir in Nordrhein-Westfalen die richtigen Themen gesetzt haben, die Leute uns aber nicht glauben. Ich glaube, dann muss man darüber reden, warum sie das nicht tun, und da gibt es aus meiner Sicht ein Problem, nämlich dass man uns nicht zutraut zurzeit, dass wir unsere politischen Ideen auch umsetzen können. Das liegt unter anderem daran, dass wir zurzeit – und auch dafür steht Oskar Lafontaine in erster Linie – eine Abgrenzung zur SPD fahren. Ich glaube, dass es wichtiger ist, ein eigenes politisches Profil zu haben und deutlich zu machen, und wenn wir eine Chance sehen, etwas von unseren Inhalten wie Mindestlohn et cetera umzusetzen, dann werden wir dafür auch Kompromisse mit anderen schließen, ohne unsere eigene Idee dabei zu verraten. Das ist ein ganz entscheidender und handfester Konflikt, den es da zu klären gilt. Aber Wahlerfolge sind nie das Ergebnis von einem oder einer Person.

    Armbrüster: Wie lässt sich denn diese Partei, die ja ganz offenbar gespalten ist in Ost und West, wie lässt die sich wieder vereinen?

    Bockhahn: Ich glaube übrigens nicht, dass die Spaltung unbedingt in Ost und West läuft, sondern dass es da unterschiedliche Interessen und unterschiedliche Ideen von Parteiverständnis gibt. Und das zieht sich im Übrigen durch alle Bundesländer und alle Himmelsrichtungen. Und die Frage, wie sich das wieder zusammenbringen lässt, das ist genau die Frage, die vorm neuen Vorstand steht. Und deswegen wird es so wichtig sein, nicht den Fehler von vor zwei Jahren zu wiederholen und zu glauben, wenn man alle Positionen doppelt besetzt und jedem sein Pöstchen oder Pläsierchen gibt, würde sich das alles regeln – der Gegenbeweis ist traurig erbracht –, sondern wir brauchen einen Vorstand, der in der Lage ist, konstruktiv miteinander zu arbeiten und der Partei eine Richtung und eine Idee zu geben. Und wenn man ein gemeinsames politisches Projekt hat, das attraktiv ist, wie zum Beispiel jetzt die TLG-Genossenschaft, die wir ja als Partei mit betreuen, wo wir 11.500 Wohnungen im Osten, die der Bund verkaufen will, davor bewahren wollen, an Finanzspekulanten zu gehen, indem wir eine Genossenschaft gegründet haben, um diese zu kaufen. Das sind Ideen, mit denen können Sie die Parteibasis, mit denen können Sie Menschen begeistern. Und wenn man das hat, dann fällt das auch leichter, sich wieder zusammenzuraufen.

    Armbrüster: Ja, Herr Bockhahn, was genau erwarten Sie dann von dem Treffen heute Nachmittag?

    Bockhahn: Zuerst mal erwarte ich Klarheit über die Absichten Einzelner, das ist aus meiner Sicht auch ein unhaltbarer Zustand, dass wir 18 Tage vor dem Wahlparteitag über gerade mal eine Handvoll von Kandidaturen reden für einen 44-köpfigen Parteivorstand. Das ist inakzeptabel, zumal eine Diskussion an der Parteibasis zu diesen Personalvorschlägen so schlicht und ergreifend nicht möglich ist. Das ist in einer Partei, die sich als basisdemokratisch versteht, nicht hinnehmbar. Das ist aber genau das, worauf auch seit Ewigkeiten hingewiesen wurde und was leider versäumt wurde, rechtzeitig vorzubereiten. Deswegen kann ich nur hoffen, dass wir heute Abend zumindest Klarheit über Kandidaturen haben, und dann müssen wir gucken, inwieweit es uns möglich sein wird, uns da auf einen gangbaren Weg miteinander zu verständigen.

    Armbrüster: Und wenn es dann um Oskar Lafontaine geht, werden Sie dann aufstehen und sagen, ich bin dagegen?

    Bockhahn: Wissen Sie, ich habe schon vor langer Zeit erklärt, dass ich für die Kandidatur von Dietmar Bartsch bin, und ich habe keinen Grund, davon was zurückzunehmen. Dietmar Bartsch hat ein inhaltliches Angebot gemacht, ich halte ihn für persönlich absolut geeignet. Und die Delegierten meines Landesverbandes, die Kreisvorsitzenden, der Landesvorstand, haben am Wochenende noch mal ganz deutlich erklärt, dass sie die Kandidatur von Dietmar Bartsch unterstützen. Und ich habe da nichts zurückzunehmen, ganz im Gegenteil.

    Armbrüster: Ganz kurz, Ihr Parteikollege Wolfgang Neskovic hat gestern gesagt, Dietmar Bartsch sei mitverantwortlich für die Probleme der Partei, vor allem, weil er mit seiner vorzeitigen Kandidatur die Personaldiskussion erst richtig angeheizt hat. Hat er da Recht?

    Bockhahn: Wolfgang Neskovic ist übrigens nicht Mitglied der Linken, deswegen nehme ich mit großen Erstaunen zur Kenntnis, dass das Mitglied der Bundestagsfraktion, das auf dem Ticket der Partei in einem Wahlkampf, der von Dietmar Bartsch organisiert wurde, wo er ein Direktmandat gewonnen hat, so die Backen aufbläst. Ich finde es unangemessen, ich finde auch den Ton nicht richtig – abgesehen davon übersieht Wolfgang Neskovic dabei einige Dinge, die in der Partei zu klären wären. Aber das ist es mir nicht wert, mich darüber weiter auszulassen.

    Armbrüster: Sagt der Linksparteichef von Mecklenburg-Vorpommern, der Bundestagsabgeordnete Steffen Bockhahn. Besten Dank, Herr Bockhahn, für dieses Gespräch heute.

    Bockhahn: Sehr gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.