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Bodybuildung
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Wer nicht fit ist, bleibt irgendwie außen vor. Und wer dick ist, erst recht. Unsere Körper sind unser Kapital. Fitness ist ein Statement. Der Historiker Jürgen Martschukat erzählt, wie wir dahin gekommen sind.

Von Thomas Palzer | 30.10.2019
Sportler trainieren vor einer Fensterfront im Sonnenaufgang auf dem Laufband
Wie konnte es soweit kommen, dass Fitness zum Credo der Gegenwart wurde? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Erfurter Historiker Jürgen Martschukat. (picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)
Der Teppich, der vorne ausgerollt wird, rollt sich gewöhnlich hinten wieder ein. Als im Anschluss an die Ära der Lebensmittelkarten Nachkriegsdeutschland von der sogenannten Fresswelle erfasst wird, beginnt im Verborgenen die Sorge um die Gesundheit zu gedeihen. In den USA werden es immer mehr Stimmen, die vor dem konsumfreudigen Lebensstil der 1950er warnen, die hinweisen auf die Verweichlichung und Korrosion des kapitalistischen Körpers durch Fernseher, Auto und Rolltreppe. In den westlichen Gesellschaften nimmt ein Prozess seinen Anfang, der im Lauf der Zeit die Mitglieder immer stärker in die Pflicht nehmen und gestreng zur Sorge um sich anhalten wird. Und so kommt es, dass Dicksein, was einst Zeichen für Wohlstand war, heute buchstäblich als Armutszeugnis gilt.
Krankheit als Chance
Wenn heute die Neurologie gewisse psychische Defekte nicht mehr als etwas betrachtet, das unbedingt behoben werden muss, dann hat dieser biopolitische Prozess einen neuen Kulminationspunkt erreicht. Dann wird nämlich sogar der seelische Defekt zur Chance umgedeutet.
Mach etwas aus Dir, lautet demnach der unausgesprochene Imperativ, der zur neoliberalen Gesellschaft und ihren Idealen passt. In der Krankheit wird mit einem Mal ein Rohstoff gesehen, den man womöglich für das eigene Leistungsportfolio ausbeuten kann – Resultat eines gesellschaftlichen Imaginären, das unermüdlich zur unermüdlichen Arbeit an sich selbst aufruft. Am Ende steht die Einsicht, dass auch die Krankheit nichts anderes ist als Ressource. Dass diese Umdeutung zur Voraussetzung hat, dass der gesunde Körper längst in die Pflicht genommen ist, versteht sich von selbst. Spätestens seit der Gesundheitswelle in der 1970ern - und dem von Jane Fonda ventilierten Aerobic-Wahn in der 1980er Jahren ist Gesundheit etwas, dass erarbeitet und "geleistet" werden muss. Seitdem tracken wir alle uns unentwegt selbst – einfach, um immer auf dem Laufenden zu sein, um Gesundheit und Fitness des Körpers im Griff zu haben.
"Die 1970er Jahre brachten nicht nur die Wende hin zu weniger staatlicher Regulierung, den Bürgerinnen und Bürgern wurde überdies fortan mehr Eigenverantwortung abverlangt, auch für den eigenen Körper, dessen Fitness und Leistungsfähigkeit. Entsprechend gewann im Gleichschritt mit dem Billigzeitalter ein Diskurs an Dynamik, der von den Menschen immer dringlicher forderte, ‚richtig zu essen‘ und ‚sich gut zu ernähren‘, sich um den eigenen Körper und sich selbst zu kümmern...
Survival of the Fittest
Wie konnte es nun soweit kommen, dass Fitness zum Credo der Gegenwart wurde? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Erfurter Historiker Jürgen Martschukat in seinem neuen Essay unter dem Titel Das Zeitalter der Fitness. Fakt ist: um 1970 herum – also vor fünfzig Jahren – besaß noch kaum ein Erwachsener ein Fahrrad - und die Zahl der Fitness-Studios konnte man in den USA wie erst recht hierzulande an einer Hand abzählen. Martschukats Antwort: Die Kultur der Fitness ist wie die damit einhergehende Furcht vor Fatness Teil eines gesellschaftlichen Wandels, bei dem weniger auf Gemeinschaft gesetzt wird denn auf Selbstverantwortung. Was zur Folge hat, dass beispielsweise in den USA nur zehn Jahre später, Anfang der 80er Jahre, jährlich 30 Milliarden Dollar für Laufschuhe, Energydrinks und andere Utensilien ausgegeben werden.
Nachdem, so der Autor, Darwin Mitte des 19. Jahrhunderts den Ausdruck Survival of the Fittest von dem Sozialphilosophen Herbert Spencer übernommen und weltberühmt gemacht hat, wandelt sich in der Folge die Bedeutung des Begriffs: Fitness wird zu etwas, das aktiv herbeigeführt werden kann. Doch meint Fitness zur Zeit Darwins noch etwas eher Passives - nämlich Zweckmäßigkeit oder Passförmigkeit. Berühmt geworden und in aller Munde, dynamisiert sich der Begriff jedoch und nimmt eine modulierte Geltung an. So geht es in den deutschen Übersetzungen nach 1900 plötzlich nicht mehr um das Überleben des Passendsten, sondern um das Überleben des Tüchtigsten. Fitness gilt nun als unabdingbare Voraussetzung, um Erfolg zu haben. Fitness wird zu etwas, um das man sich kümmern und bemühen muss. Man hat sie sich zu erarbeiten; sie ist nicht einfach gegeben. Die Idee des Wettbewerbs wird so zum Ordnungsprinzip der Natur erhoben. Nietzsche meint dazu bissig, dass die Ellenbogenmoral des Büros mit dem Darwinismus erfolgreich in die Natur hineinverlegt worden sei.
Buchcover: Jürgen Martschukat: "Das Zeitalter der Fitness"
Buchcover: Jürgen Martschukat: "Das Zeitalter der Fitness" (S. Fischer Verlag)
Regeln für den Menschenpark
Fitness, der Begriff taucht in Deutschen zuerst in den 1960er Jahren auf, wird in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Antidot des Wohlstandsbauchs – und fängt an, dabei Differenzen zu produzieren, nämlich zwischen denen, die an sich arbeiten und fit sind, und den anderen, die faul sind und fett bleiben. Dem spielt in die Hände, dass seit Beginn des 20. Jahrhunderts eugenische Betrachtungen angestellt werden, die zur Verbesserung des Menschen beitragen sollen.
"Wissenschaftlich wie politisch war die Eugenik anerkannt und etabliert und keinesfalls ein Spielfeld randständiger Rassisten. So beschwor der renommierte US-amerikanische Soziologe D. Collin Wells im Jahr 1907 im angesehenen American Journal of Sociology, eugenisches Denken müsse zur neuen Religion moderner Gesellschaften werden und zu einem entsprechend politischen Handeln führen. Im selben Jahr verabschiedete der Staat Indiana in den USA in erstes Eugenikgesetz, also bereits geraume Zeit vor Deutschland und andren europäischen Ländern."
Allgegenwärtiges Ranking
Selbstoptimierung und Verbesserung sind prinzipiell "eugenisch", zielen sie doch darauf, theoretische Konzepte auf die Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik anzuwenden. Foucault schafft dafür den Begriff Biopolitik. Man denke an den seinerzeit zum Skandal erklärten Essay von Peter Sloterdijk aus dem Jahr 1997, der den schönen Titel trägt: Regeln für den Menschenpark. Zu den ersten Regeln zählt die Arbeit an sich selbst. Sie ist zentral für den Begriff Fitness.
"Halb belustigt, halb bewundernd berichtete der Spiegel im Februar 1980 über einen neuen Trend in amerikanischen Unternehmen. Sogenannte Workouts während der Mittagspause wurden dort immer beliebter. Bei Boeing an der amerikanischen Westküste joggte man durch ein Tunnelsystem unter den Fabrikhallen, bei Prudential Insurance, einem Versicherungs- und Finanzkonzern an der Ostküste, gab es trendige Fitnessgymnastik auf dem Wolkenkratzerdach."
Auch die volkswirtschaftliche bzw. nationale Ebene wird unter dem Aspekt der Fitness gesehen, weshalb die Verbindung zwischen individuellem Gesundheitsbewusstsein und nationaler Leistungsstärke enger geknüpft wird, was wiederum zu international vergleichenden Untersuchungen anreizt, zum allgegenwärtigen Ranking. Herz- und Kreislauferkrankungen, Adipositas, Krebs – das sind die Marker, die für den biopolitischen Score einer Bevölkerung verantwortlich gemacht werden – und damit für die volkswirtschaftlichen Kosten, die bestimmte Lebensweisen verursachen.
Mit dem Kopf essen
Mithin rückt also die Ernährung in den Blickpunkt. Seitdem wird Nahrung als Energieversorgung konzipiert, als Lieferant für Mineralien, Vitamine und Ballaststoffe. Diese Verwissenschaftlichung eines Bedürfnisses, das weit mehr ist als ein solches – nämlich Genuss, Kultivierung, Geist – hat dazu geführt, dass wir keinen Wein mehr trinken, sondern Alkohol, und kein Honigbrot mehr essen, sondern Kalorien zu uns nehmen. Auf der anderen Seite boomen Fertiggerichte und Lieferdienste, die Zeit sparen und die Mühe des Kochens für erledigt erklären. Außerdem: Wer kocht schon gern mit der Kalorienwaage? So greift eins ins andere. Was einmal kulinarische Kunst war, wird solange gewogen und gemessen, also auf seine intrinsischen "Leistungsträger" reduziert, bis es zur Astronautennahrung verdampft ist – allerdings unbedingt gesund.
Martschukats Essay ist ein lehrreicher und unterhaltsamer Parcours durch die Begriffsgeschichte der Fitness – von Darwin bis heute und zur unmittelbaren Gegenwart, wo das Paradigma, dass Fatness unvereinbar mit Fitness ist, Risse bekommen hat. Stichwort: body positivity - Defizienz als Ressource. Vor allem in den USA fordern Frauen dicke Models auf die Cover. Eine deutsche Frauenzeitschrift hob eine Zeitlang ganz normale Frauen aufs Titelbild. Und das Leben des Couch potatoes darf als moderne Form des Widerstands begriffen werden.
Ehedem ein eher deskriptiver Begriff, ist Fitness aller inneren Dynamik zum Trotz zur unbedingten Norm mutiert - politisch hoch aufgeladen, wenn man an die Fett-Aktivistinnen denkt, die sich mehr und mehr Gehör verschaffen. Das Zeitalter der Fitness – ein lesenswerter Essay, den man – einziger Einwand – um ein Drittel hätte ohne Verluste kürzen können.
Jürgen Martschukat: "Das Zeitalter der Fitness. Wie der Körper zum Zeichen für Erfolg und Leistung wurde."
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 352 Seiten, 25 Euro.