Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Böen mit Bumms

Mathematik. - Auf dem Workshop "Extreme Events" auf der spanische Ferieninsel Mallorca treffen sich mitnichten etwa Windsurfer oder Paraglider, sondern vielmehr Mathematiker mit einem besonderen Faible: sie versuchen etwa Katastrophen wie Erdbeben, Wirbelstürme oder auch Börsencrashs in Formeln zu pressen.

Von Frank Grotelüschen | 11.11.2008
    "Wer mal bei stürmischen Wetter mit dem Flugzeug gestartet ist und über dem Flughafen fliegt, der weiß, wie so ein großes Flugzeug durchgerüttelt wird."

    Als Wissenschaftler, der regelmäßig zu Konferenzen in alle Welt fliegt, bekommt Joachim Peinke manchmal selbst zu spüren, welche Wucht eine kräftige Windböe haben kann. Aber nicht deshalb versucht Peinke, Professor an der Uni Oldenburg, die Physik der Windböe so genau wie möglich zu verstehen. Nein, es geht ihm um folgende Frage: Sind es letztlich extreme, plötzliche Windböen, die viele Windkraftanlagen kaputtgehen lassen?

    "Da hat man immer wieder seine Überraschungen, dass öfters einzelne Teile der Anlagen ausfallen. Das stellt momentan ungefähr 20 bis 30 Prozent der Kosten der Windenergie dar."

    Und: Dieser Anteil droht noch größer zu werden - und zwar wenn die riesigen Windparks in Nord- und Ostsee stehen. Die nämlich lassen sich nicht so schnell reparieren wie die Windräder an Land. Peinke:

    "Wenn dann eine Anlage wegen irgendeinem Getriebeteil oder einem Lagerteil kaputtgeht, ist es meist so, dass stärkerer Wind ist. Und dann sind Wellen, dann kann ich nicht rausfahren und muss warten, bis der Wind wieder weg ist. Und dann steht die Anlage still."

    Also sind robustere Anlagen nötig - Windräder, die seltener kaputtgehen. Um sie zu konstruieren, sollte man genau wissen, wie stark ein Windrad durch Windböen belastet wird - vor allem durch extrem starke Böen, bei denen die Windgeschwindigkeit innerhalb von zwei Sekunden um 40 Stundenkilometer zulegen kann. Um das herauszufinden, hat Peinkes Team unzählige Daten von Windmessmasten ausgewertet - und zwar nicht mit den gängigen Verfahren der Mathematik, sondern mit Hilfe der so genannten fraktalen Geometrie - vereinfacht gesagt eine Art gebrochene Geometrie, die bizarre, hochkomplexe Figuren hervorbringt wie das legendäre Apfelmännchen.

    "Das sind die schönen Bilder, die selbstähnlich sind, wo das kleine Teil wie das große aussieht - wie die Puppe in der Puppe in der Puppe. Oder wie ein Baum aussieht: Dass ein kleiner Teil vom Baum so aussieht wie der ganze Baum. Das sind Konzepte, die in den 70er und 80er Jahren entstanden sind und ganz wesentlich sind für das heutige, modernere Verständnis."

    Peinke hat diese fraktale Geometrie kombiniert mit neuen Verfahren aus der Statistik. Und siehe da: Diese fraktalen Methoden können den Wind mit all seinen Schwankungen und Böen deutlich besser beschreiben als die bisherigen Modelle. Das Entscheidende: Die alten Modelle haben den Einfluss der Windböen auf die Windräder deutlich unterschätzt, meint Peinke. Nicht so sehr der stetige starke Wind sei es, der die Anlage nachhaltig schädige, sondern viele kleine Böen, die auf den Rotor einhämmern. Nun sollen die fraktalen Verfahren nicht nur helfen, robustere Windräder zu bauen. Die Forscher wollen sie auch weiterentwickeln zu einer Art aktuellen Böen-Vorhersage. Die Idee: Ein Windmesser an der Mastspitze erfasst laufend die Windgeschwindigkeit und füttert damit einen Computer. Der liest dann wie ein elektronischer Wahrsager aus dem Kaffeesatz der Messdaten heraus, ob da womöglich gleich eine heftige Böe an den Rotorblättern rüttelt. Und das hätte, so Joachim Peinke, einen handfesten Nutzen:

    "Wenn ich zwei bis drei Sekunden vorher eine Böe vorhersagen kann, könnte ich, um einer Extremlast auszuweichen, die Anlage abregeln und die Lasten reduzieren. Das nennt man auch intelligente Blätter. Dahin wird die Entwicklung in den nächsten Jahren ganz bestimmt gehen. Die Hersteller haben daran großes Interesse."