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Boko-Haram-Geiseln
Befreite Chibok-Girls setzen Ausbildung fort

Boko Haram brachte sie in ihre Gewalt: Mehr als 270 Mädchen wurden im April 2014 aus einer Schule in Chibok in Nordost-Nigeria entführt. Gut hundert der jungen Frauen wurden befreit und führen nun ihre Ausbildung fort - viele Verschleppte sind aber immer noch in Geiselhaft.

Von Stefan Ehlert | 02.10.2017
    Wiedersehen eines "Chibok-Mädchens" mit seinen Angehörigen
    "Diese jungen Frauen haben die Hölle gesehen", sagt Nigerias Frauenministerin über dieses und die anderen von Boko Haram entführten "Chibok Girls". Gut hundert Befreite führen nun ihre Ausbildung fort (picture alliance / dpa / Olamikan Gbemiga)
    Fröhliche Klänge statt versteinerter Gesichter, bunte Gewänder statt schwarzer Schleier: Der Unterschied könnte kaum größer sein - zwischen den Bildern der feierlichen Übergabe der befreiten Chibok-Mädchen an ihre Familien und den Bildern, die ihre Geiselnehmer von ihren Opfern machten und ins Netz stellten.
    "Diese jungen Frauen haben die Hölle gesehen, und jetzt stellt die Regierung sicher, dass sie das Beste bekommen im Leben."
    Das verspricht Nigerias Frauenministerin Aisha Jummai Al- Hassan am Rande der Übergabe-Zeremonie in der Hauptstadt Abuja. Die Mädchen seien aus staatlicher Obhut verschleppt worden, und deswegen trage der Staat eine besondere Verantwortung für sie:
    "Sie haben drei Jahre ihres Lebens verloren. Das kann durch nichts kompensiert werden."
    Auch Michelle Obama forderte: "Bring back our Girls"
    April 2014. Mehr als 270 Mädchen werden aus einer Schule in Chibok in Nordost-Nigeria entführt. Der Terrorgruppe Boko Haram ist damit ihr wohl spektakulärster Schlag gelungen. Die Kampagne "Bring back our Girls" setzt weltweit Unterstützer in Bewegung, darunter Michelle Obama, die Gattin des US-Präsidenten.
    Doch es sollte zweieinhalb Jahre dauern, bis im Oktober 2016 die ersten 21 der Chibok-Mädchen wieder auftauchen – unter Vermittlung des Unterhändlers Zannah Mustapha. Niemand will offiziell bestätigen, dass dabei Lösegeld geflossen ist und einige Kommandeure der Islamisten frei gelassen wurden. Im Mai dieses Jahres kann Mustapha erneut 82 Chibok-Geiseln in Empfang nehmen, körperlich, vor allem aber psychisch in furchtbarem Zustand.
    Angst vor erneuter Entführung, Angst vor Rückkehr ins Konfliktgebiet
    Die Mädchen seien furchtbar traumatisiert gewesen, sagt Ministerin Aisha Al-Hassan, sie hätten Alpträume gehabt, große Angst. Angst vor erneuter Entführung, Angst auch davor, wieder zu ihren Familien zurückzugehen, ins Konfliktgebiet, wie Rebecca andeutet, eines der frei gelassenen Chibok-Mädchen:
    "Ich freue mich schon darauf nach Chibok heimzukehren, aber ich mache mir auch Sorgen, wie ich mit meinem Leben fertig werden soll. Ich überlasse es Gott, er hat die Macht."
    Sie kommen mit Krücken und Kindern zurück
    Eine Geisel trug bei der Befreiung ein Kind auf dem Arm, sie sei schon vor ihrer Entführung verheiratet und schwanger gewesen, heißt es offiziell. Eine andere kam an Krücken aus dem Busch – sie sei Opfer eines Luftangriffs durch das Militär geworden. Die jungen Frauen selbst dürfen von den Reportern nicht nach ihrer Geiselhaft befragt werden. Das traumatisiere die Frauen erneut, trotz monatelanger Rehabilitation, heißt es zur Begründung. Erlaubt sind nur Fragen nach der Zukunft.
    Sie wolle Ärztin werden, sagt Helen, die mit fester Stimme und recht selbstbewusst antwortet auf die Fragen der Reporter, die Leute litten an allen möglichen Krankheiten und es gebe nicht genügend Ärzte.
    Wiedereingliederungskurse an einer Privatuniversität
    Deshalb wolle sie die bestmögliche Ausbildung machen. Die Kosten dafür, versichert Ministerin Al-Hassan, werde die Regierung tragen. An einer prestigeträchtigen Privatuniversität im Bundesstaat Adamawa wurden extra Kurse eingerichtet für die überlebenden Chibok-Mädchen, zunächst zur Wiedereingliederung, dann folgt je nach Leistung ein Studium.
    Der Name Chibok werde ein positives Markenzeichen werden, schreibt die Uni auf ihrer Homepage. Schon seit drei Jahren betreut sie Mädchen aus Chibok, bislang nur solche, die ihren Entführern damals aus eigener Kraft entkommen konnten. Mehr als 100 Chibok-Girls sind aber nach wie vor in der Hand der Islamisten, hinzu kommen Hunderte wenn nicht Tausende weiterer Geiseln.
    Es werde weiterverhandelt, heißt es dazu von Seiten der Regierung, und zwar über alle Geiseln, nicht nur die Chibok-Girls.