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Boko Haram in Nigeria
Die Angst auf der Schulbank

Nach dem Anschlag auf eine Jungenschule im Nordosten Nigerias mit mindestens 48 toten und 80 schwer verletzten Schülern scheint es in der Region unmöglich, an normales Leben und Lernen zu denken. Trotzdem versuchen Schulkinder, Lehrer und Eltern, durch den Alltag zu kommen - und weiter an eine Zukunft mit Bildung zu glauben.

Von Alexander Göbel | 12.11.2014
    Schülerinnen und Lehrerinnen der Muslim Girl's High School in Ijebu Ode, Nigeria. An die staatliche Sekundarschule, eine reine Mädchenschule, gehen überwiegend muslimische Schülerinnen im Alter von 11 bis 18 Jahren.
    Schülerinnen und Lehrerinnen einer muslimischen Mädchenschule in Nigeria. (picture alliance / dpa - Hannibal Hanschke)
    Acht Uhr morgens, erste Unterrichtsstunde in der Suleiman Lawan Tanka Memorial School in Kaduna, gut zweihundert Kilometer nördlich von Nigerias Hauptstadt Abuja: eine Schule für muslimische Mädchen. Gloria Micademus steht vor ihrer Klasse. Die Mädchen, zwischen 11 und vierzehn Jahre alt, tragen weiße Kopftücher. Alles fleißige Schülerinnen, sagt die Lehrerin stolz.
    "Die Kinder sprechen hier über alles Mögliche - über Selbstbewusstsein, über Berufe, die sie später haben wollen, über HIV und Aids, darüber, wie man in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, und wie man Schüchternheit ablegt."
    Große Träume haben sie in Kaduna – viele der Mädchen wollen später studieren und selbst Lehrerinnen werden. Aber es kämen immer weniger Kinder zum Unterricht – viel weniger als noch im letzten Jahr, klagt Schulleiterin Kilkisa Tafauki. Immer mehr Eltern würden ihren Töchtern verbieten, weiter zur Schule zu gehen. Panik mache sich breit, erst recht nach dem blutigen Bombenanschlag auf die Schule von Potiskum.
    "Natürlich machen die Eltern sich große Sorgen, nach all dem, was Boko Haram angerichtet hat - nach den Anschlägen und Entführungen. Es ist nicht leicht für uns, aber wir versuchen die Eltern zu beruhigen - und sie zu überzeugen, dass sie weiter ihre Kinder zur Schule schicken."
    In einem anderen muslimischen Viertel von Kaduna liegt die private Cleverland Academy. Amina Sambo läuft über den staubigen Schulhof zu ihren Freundinnen. Alle tragen sie hier weiße Blusen, blaue Röcke, blaue Kopftücher. Amina ist fünfzehn - so wie die meisten der über 220 Mädchen, die Boko Haram Mitte April in Chibok entführt hat. Amina hat gehört, dass die Mädchen inzwischen mit Terrorkämpfern zwangsverheiratet sein sollen.
    "Ich bin sehr traurig. Es waren einfach nur normale Mädchen. Sie haben nichts Böses getan, sie wollten doch nur zur Schule gehen und etwas lernen. Und diese Männer haben sie einfach entführt. Das ist schrecklich, auch für uns."
    Trotz Sorgen Normalität wahren
    In der Pause lenken sich Amina und die anderen mit Tischtennis ab. So gut es eben geht. Der Unterricht fällt ihnen schwer. Die Angst vor dem Terror sitzt mit auf der Schulbank. Wie die Suleiman Lawan Tanka Schule bleibt auch die Cleverland Academy weiter geöffnet - bis auf weiteres, trotz des Boko-Haram-Terrors. Am Schultor stehen jetzt zwei bewaffnete Wachleute. Aber was können die schon ausrichten, wenn hier eine Horde Terroristen einfällt, fragt sich Mathelehrer Yusuf Abdul-Afeez. Auch hier in Kaduna könne es zur Katastrophe kommen, so wie gerade erst in der Jungenschule in Potiskum.
    "So etwas könnte überall passieren. Boko Haram könnte auch hier angreifen. Denn abgesehen davon, dass hier in der Stadt ein paar Polizisten mehr herumlaufen, hat die Regierung keine besonderen Maßnahmen ergriffen."
    Auf dem Schulhof der Cleverland Academy ist die Pause vorbei. Amina geht mit den anderen Mädchen zurück in den Klassenraum. Und wünscht sich, dass die Angst vor dem Terror irgendwann draußen bleibt. Die kaum oder gar nicht geschützten staatlichen Schulen in der Gegend können sich Wachleute nicht leisten, selbst für Mauern oder Zäune fehlt das Geld. Tausende Schulen müssten schließen, sagt Kato Adams Alhamdu. Mit seiner kleinen Organisation setzt er sich dafür ein, dass in den betroffenen Schulen wenigstens die Lehrer weiter bezahlt werden können – damit sie weiter Unterricht machen. Trotz Boko Haram.
    "Bildung ist sehr wichtig, und deshalb werden wir uns weiter dafür einsetzen, dass Nigerias Kinder in die Schule gehen. Und egal, was diese Fundamentalisten predigen – es wird uns nicht abschrecken."