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Bologna benachteiligt Behinderte

Behinderte müssen im Studium nicht nur bauliche Barrieren überwinden: Besonders hart trifft sie zum Beispiel die Unflexibilität der neuen Studienabschlüsse Bachelor und Master. Wie man das ändern kann, darüber diskutieren Experten und Betroffene auf einer Fachkonferenz in Berlin.

Von Jens Rosbach | 03.09.2008
    Sandra Ohlenforst hat eine schwere Schulter-Erkrankung, nach einem Unfall wurden ihr künstliche Gelenke eingesetzt. Nur mit starken Schmerztabletten kommt sie über die Runden. Und dennoch studiert die 31-Jährige - und zwar Soziologie, Psychologie sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der RWTH Aachen. Sandra Ohlenforst ist froh, dass nun eine Extra-Tagung zur Lage behinderter Studenten veranstaltet wurde.

    " Also die Tagung ist sehr interessant, von den Referenten her - also die sind schon sehr kompetent - das Praxisnahe fehlt mir so ein bisschen. Also da hätte man noch ein bisschen mehr auf die Praxis eingehen können. "

    Mit der Praxis kennt sich Ohlenforst aus. Denn sie engagiert sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft Behinderung und Studium, einem Netzwerk von Betroffenen und Uni-Vertretern. In dieser AG und an ihrer Uni bekommt sie in letzter Zeit immer häufiger Klagen von anderen gehandicapten Studierenden zu hören - Klagen über die neuen Bachelorstudiengänge.

    " Also die Studierenden, die ich jetzt kennen gelernt habe, haben Probleme mit der Zeit. Das Programm ist einfach sehr, sehr straff. Und in kurzer Zeit müssen Hausarbeiten geschrieben werden, die Studierenden müssen sich auf fünf Klausuren vorbereiten und der Zeitfaktor ist halt ein großes Problem. "

    Der Tagungsveranstalter, das Deutsche Studentenwerk DSW, räumt ein: Natürlich seien auch gesunde Studenten vom Bachelorstress betroffen. Die Unflexibilität der neuen Studiengänge treffe die Behinderten aber besonders hart. DSW-Vizechefin Andrea Hoops verweist darauf, dass bei der BA-Ausbildung wesentlich mehr Prüfungen als im Diplomstudium abgelegt werden müssen - oft ohne Ausweichmöglichkeiten.

    " Wenn eine Klausur geplant ist, und ein Student dann aber feststellt, dass er behinderungsbedingt aufgrund seiner Gesundheit an diesem Tag es doch nicht realisieren kann, dann ist es oftmals so, dass er nicht die Möglichkeit hat, wenige Tage später diese Klausur nachzuholen. "

    Der Hintergrund: Behinderten Studierenden steht zwar ein so genannter Nachteilsausgleich zu. Das heißt, sie dürfen Fristverlängerungen beantragen oder verpasste Prüfungen nachholen - theoretisch. In der Praxis des Bachelorstudiums hat der Professor aber häufig gar nicht den Freiraum, dem betroffenen Studenten eine neue Chance zu geben. So klagt etwa Georg Claasen, Behinderten-Beauftragter der Freien Universität Berlin:

    " Problem ist, dass die Lehrveranstaltungen nur alle zwei Semester angeboten werden und dass er aus dem Takt gerät, dass wenn er sozusagen im ersten Semester die Scheine nicht macht, die im ersten Semester nicht vorgesehen sind, dass er die dann im dritten Semester erst wieder machen kann. Und dass er dann schnell sehr viel Zeit verlieren kann. "

    Viele der rund 100 Tagungs-Teilnehmer, ob Studenten-, Verbands- oder Behördenvertreter fordern deshalb mehr Info-Angebote für behinderte bzw. chronisch kranke Bachelorstudierende. Das Deutsche Studentenwerk, das seit 25 Jahren eine Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung betreibt, will in Zukunft verstärkt die Universitäten bei ihren Reformprojekten "coachen". Zusammen mit Behindertenvertretern hat das DSW bereits jetzt durchgesetzt, dass der bundesweit nur noch solche Studiengänge zugelassen - also akkreditiert werden - die den Benachteiligten Flexibilität garantieren.

    " Erstmal sensibilisiert es die Hochschulen dafür, die Studiengänge schon so zu konzipieren, dass sie die besonderen Belange von Studierenden mit Behinderungen gleich mitdenken und tatsächlich in ihren Planungen, diese Dinge berücksichtigen. Und zum anderen kann natürlich dann die Akkreditierungsagentur sagen, dass das Vorgelegte nicht ausreichend ist, dass da nachgebessert werden muss. "

    Einige Experten verlassen die Berliner Konferenz allerdings mit der Befürchtung, dass dennoch nicht alle Hochschulen Behinderte mit offenen Armen empfangen werden. Denn viele Einrichtungen bekommen ihre staatlichen Zuschüsse in Abhängigkeit von der durchschnittlichen Studiendauer der Absolventen. Und chronisch Kranke brauchen zumeist länger für ihre Abschlüsse, schlagen in dieser Statistik also negativ zu Buche. Birgit Galler vom Bundesbildungsministerium weist allerdings daraufhin, dass die Universitäten in Zeiten zunehmender Konkurrenz aber auch mit einem besonderen Sozial-Profil punkten können:

    " Ich könnte mir vorstellen, dass es für Hochschulen durchaus einen positiven Imagefaktor bedeuten könnte, wenn sie Studienstrukturen entsprechend gestalten könnten, dass Studierende mit Behinderungen davon profitieren könnten und die Bologna-Reform als positiv annehmen könnten. "