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Bologna-Kritiker: Studenten lernen das Denken nicht mehr

Der Bildungsauftrag der Universitäten bestehe darin, die Studenten zur geistigen Selbstständigkeit zu führen, sagt Jochen Krauz, Kunstpädagoge an der Alanus-Hochschule. Die eng gefasste Modularisierung der neuen Bachelor- und Masterstudiengänge verhindere das. Noch sei es nicht zu spät, zum alten System zurückzukehren.

Jochen Krautz im Gespräch mit Sandra Pfister | 06.05.2011
    Sandra Pfister: Wie wirkt die abwiegelnde Haltung der Bundesbildungsministerin zur Kritik an der Bologna-Reform auf ihre Kritiker? Hören wir dazu einen Kritiker der ersten Stunde: Jochen Krautz. Er ist Hochschullehrer für Kunstpädagogik an der Alanus-Hochschule in Alfter bei Bonn. Herr Krautz, schon vor vier Jahren haben Sie mit Ihrer Kritik am Bologna-Prozess nicht hinterm Berg gehalten, Ihr Buch dazu trägt den sprechenden Titel "Ware Bildung". Konnte Annette Schavan Sie in der Zwischenzeit davon überzeugen, dass die Studiengänge doch weit besser sind, als sie gemutmaßt haben?

    Jochen Krautz: Nein, Annette Schavan konnte mich nicht überzeugen, ich fürchte auch, dass sie selber nicht wirklich überzeugt ist, sondern sie muss ja als Ministerin die Politik weiterverfolgen, die ihr die Vorgängerregierung schon eingebrockt hat. Der ganze Bologna-Prozess ist in seiner Folge eigentlich von Anfang an eine Propagandakampagne gewesen, die auf einer Basislüge aufbaut, nämlich der angeblichen Behauptung, wir seien nach der Bologna-Erklärung verpflichtet gewesen, diese Studiengänge einzuführen. Das war von Anfang an völkerrechtlich falsch und ist von Anfang an eigentlich mit einer großen Kampagne durchgesetzt worden. Man hat gesagt, man wolle bestehende Probleme verbessern, praktisch sind die Lösungen oder die vermeintlichen Lösungen, die dort gewählt wurden, haben mit den Problemen nichts zu tun und haben im Gegenteil dazu geführt, dass die Universitäten jetzt eigentlich ihrem Ende entgegengehen.

    Pfister: Nun erfüllt aber die Reform an einem Punkt doch die Erwartungen vieler Studierender, die ja manchmal gar nicht so idealistisch sind, wie Sie es vielleicht gerne hätten, die wollten nämlich eine praxisnahe Ausbildung, um nachher auf dem Arbeitsmarkt auch akzeptiert zu sein, und nicht unbedingt ein ellenlanges, sehr verwissenschaftlichtes Studium. Argumentieren Sie mit Ihrer Fundamentalkritik dann nicht ein wenig an den Studierenden vorbei?

    Krautz: Erst mal ist die Frage, wer die Studierenden sind und welche Studierende es tatsächlich sagen. Zweitens gab es genau für diese Studierenden immer schon Fachhochschulstudiengänge, die exakt auf diese Wünsche angepasst waren. Es hat aber überhaupt keine Logik, die gesamten Universitäten, die jetzt einen anderen Auftrag haben, die gesellschaftlich einen anderen Auftrag haben, die einen anderen Bildungsauftrag haben, unter die Logik mit zu packen. Die Studierenden, die das gerne wollten, dafür gab es Möglichkeiten. Und die Frage ist ja der Bildungsauftrag, und das ist auch ein Verfassungsauftrag, der Bildungsauftrag ist eben gerade, zur geistigen Selbstständigkeit zu führen und auch die Urteilsfähigkeit überhaupt zu bilden, zu beurteilen, was für ein Studium will ich denn eigentlich.

    Pfister: Muss es aus Ihrer Perspektive, wenn es denn bei diesem System bleibt, einen Master für alle geben, im Sinne einer tiefer gehenden Bildung, die Sie ja fordern?

    Krautz: Natürlich muss es einen Master für alle geben, das ist eine Beschneidung des Rechts auf Bildung, und da kann ich die Studierenden auch nur unterstützen. Der Protest, der sich erhebt, der wurde ja in den Medien vor allem an den Studiengebühren aufgehängt, das ist eigentlich sekundär, sondern die Frage ist ja tatsächlich: Gibt es noch die Möglichkeit der Bildung für alle, mit der gerade auch einmal die sogenannten fortschrittlichen Parteien angetreten waren? Das ist dann für mich die zweite Frage. Die erste Frage ist: Es müsste eigentlich ein Reformmoratorium geben, einen Reformstopp, der sagt, wir fangen jetzt noch mal an, grundsätzlich nachzudenken. Es müsste zweitens ermöglicht werden, den Universitäten ermöglicht werden, dass sie die alten Studiengänge, die ja noch laufen, wieder eröffnen, und dann wäre tatsächlicher Wettbewerb da und dann könnten die Studenten frei entscheiden, will ich in einen solchen Bachelor oder will ich doch lieber einen alten Magister- oder Diplomstudiengang. Es gäbe dann aber eine Abstimmung mit den Füßen, und dann wäre ich sehr gespannt, wer diese Abstimmung gewinnt. Ich habe da meine These zu.

    Pfister: Reformmoratorium, zurück zum alten System, es geschieht an manchen Stellen, aber im Ganzen ist das doch wohl sehr illusorisch. Was sollte denn stattdessen aus Ihrer Sicht geschehen, wenn wir wirklich in der Realität bleiben?

    Krautz: Wenn vor zehn Jahren Ihnen jemand gesagt hätte, dass innerhalb von zehn Jahren das ganze deutsche Hochschulsystem auf den Kopf gestellt würde, hätten wir das Gleiche gesagt, dass es auch illusorisch ist. Man hat das mit einem Riesenkraftakt durchgepaukt, und ich sehe keinen Hinderungsgrund, warum man die Besinnung jetzt einschiebt, besser spät als nie, und die Systeme neu anschaut. Das heißt nicht einfach - das ist ja auch eine rhetorische Figur -, das heißt nicht ewig gestrig und einfach zurück, sondern man kann ja zum Beispiel sagen, okay, eine stärkere Strukturierung der Studiengänge hinsichtlich Überschaubarkeit und so weiter, das sind alles Möglichkeiten, die muss man, die kann man anders machen als mit einer eng gefassten Modularisierung, wo die Studenten das Denken nicht mehr lernen.