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Bolschewistin und skrupellose Antikommunistin

Sie war die Schwester von Gerhart und Hanns Eisler: Ruth Fischer war die erste weibliche Vorsitzende einer kommunistischen Partei; sie setzte die Bolschewisierung der KPD durch - und fiel ihr gleichzeitig zum Opfer. Mit der Zeit wandelte sie sich zur glühenden Antikommunistin und ließ sich mit Geheimdiensten und Rechtsradikalen ein.

Von Henry Bernhard | 17.06.2013
    "Die europäischen Linksintellektuellen betrieben nach 1917 einen romantischen Kult des revolutionären Proletariers und der von ihm zu erwartenden gerechten Proletarier-Gesellschaft. Diese Intellektuellen waren zwar Kinder der Oktoberrevolution, aber sie mussten gerade wegen ihres abstrakten Radikalismus‘ rasch in Konflikt mit der realen Oktobergesellschaft geraten."

    Ruth Fischer beschreibt in diesem Radiobericht auch sich selbst: die junge, radikale Kommunistin, kompromisslos, voller Hoffnungen und Illusionen, in siegessicherer Heilserwartung der kommenden kommunistischen Welt. Geboren wurde sie 1895 in Leipzig, aufgewachsen ist sie in Wien. Gemeinsam mit ihren beiden Brüdern, dem späteren Komponisten Hanns Eisler und dem späteren KPD-, Komintern- und SED-Funktionär Gerhard Eisler, engagierte sie sich schon als Schülerin politisch, in einer Zeit, in der in Europa und auch in Österreich alles auf dem Kopf stand, wie der Autor, Mario Keßler, sehr anschaulich beschreibt.

    "Es gab natürlich all diese Ideologien – Faschismus, Antisemitismus – gab es natürlich vor 1914. Aber die hätten niemals eine geradezu explosionsartige Wirkung erzeugen können, wenn nicht die bürgerliche Welt, die bürgerlichen Parlamente, auch die Kirchen, die Universitäten 1914 so versagt hätten und sich in das Schlepptau von Nationalismus und Militarismus hätten nehmen lassen."

    Mario Keßler verfolgt ungeheuer Fakten-, Namen- und Archivalien-gesättigt die Zeitläufte und zeigt,

    Gerade in Ruth Fischer brechen sich alle politischen Strömungen, Tendenzen und Gegentendenzen ihrer Zeit mit oft ungezügelter Leidenschaft.

    Ruth Fischer war eine der Gründerinnen der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs - 1918 stellte sie sich selbst das Mitgliedsbuch Nr. 1 aus. Die Partei blieb so klein wie ihre Ansprüche riesig:

    Die intellektuellen Wortführer dieser Generation verstanden sich nicht nur als Akteure eines radikalen Neubeginns, sie dachten auch fast nur im Begriffspaar des Entweder-Oder. Sie gaben dem frühen Kommunismus, aber auch den jeweiligen Varianten eines radikalen bürgerlichen Nationalismus, schließlich dem Faschismus das Gepräge. Ihre rigorose Ablehnung überkommener Konventionen ging nur allzu oft mit dem Bestreben einher, den politischen Opponenten zum Todfeind zu erklären.

    Wien wurde Ruth Fischer bald zu klein, sie verließ Ehemann, Kind, Partei und Land in der Hoffnung darauf, in Deutschland neu anzufangen. In Berlin fand sie Anschluss an die KPD, die Liebe ihres Lebens, Arkadi Maslow, und die Hoffnung auf eine schnellere Revolution. Fischer war jung, radikal, sexy, sie überschätzte die Stärke der Kommunisten grotesk und gab nichts auf die Demokratie. Damit hatte sie Erfolg: 1924 wurde sie de facto Vorsitzende der KPD, die zu diesem Zeitpunkt schon vollständig von Moskau gesteuert wurde. Mario Keßler beschreibt eindrücklich und überzeugend den Weg der KPD in die Bolschewisierung, weg von der Toleranz Rosa Luxemburgs, hin zur Intoleranz Ruth Fischers und Ernst Thälmanns.

    Ruth Fischer setzte die Bolschewisierung der KPD durch – und fiel ihr ironischerweise selbst zum Opfer: Sie wurde 1925 nach Moskau beordert und 10 Monate festgehalten. Als sie nach Berlin zurückkehrte, war Ernst Thälmann KPD-Chef. Die Genossen schlossen sie aus der Partei aus, und Ruth Fischer wurde zur Stalin-Kritikerin.

    1933 mussten sie und ihr Lebensgefährte Arkadi Maslow vor den Nazis aus Deutschland fliehen. In Paris arbeitete Fischer als Sozialarbeiterin, Maslow journalistisch. Sie nahmen Kontakt zu Lew Trotzki auf und waren allein dadurch, dass sie in einem Moskauer Schauprozess erwähnt wurden, ihres Lebens nicht mehr sicher.

    Nicht Fischer und Maslow hatten sich von der Partei getrennt, sondern die Partei sich von ihnen. Ruth Fischer und Arkadi Maslow blieben an die Denkwelt und letztlich auch die Lebenswirklichkeit des Kommunismus gebunden. Ein Leben mit, und wie sich zeigen sollte, auch gegen Kommunisten war für Ruth Fischer denkbar, ein Leben ohne Kommunisten war es nicht.

    Ruth Fischer migrierte 1941 weiter in die USA, Maslow musste auf Kuba auf ein US-Visum warten. Als Ruth Fischer es endlich besorgt hatte, starb Maslow am selben Tag in Havanna eines gewaltsamen Todes. Mit großer Akribie und enormer Archivarbeit schlussfolgert Keßler, dass mit großer Wahrscheinlichkeit Stalins Schergen Maslow umgebracht haben.

    "Dies beschädigte Ruth Fischer irreparabel – persönlich: Sie war weder willens noch fähig, danach mit irgendeinem Mann zusammenzuleben; und es beschädigte sie natürlich politisch irreparabel."

    Maslows Tod machte aus der Antistalinistin Ruth Fischer eine skrupellose Antikommunistin. Sie schlug wie wild um sich und schreckte auch nicht davor zurück, ihre Brüder als Mörder zu denunzieren. Sie ließ sich mit Geheimdiensten, Rechtsradikalen und Rassisten ein.

    "Und hier, so meine ich, hat Stalin, den sie erbittert bekämpfte, einen schrecklichen Sieg über sie errungen, denn sie übernahm seine unmenschlichen Nomen, sie übernahm die Manie der Verschwörungstheorie – und sie wusste, dass sie es tat!"

    1951 kappte Ruth Fischer jedoch alle Kontakte zu antikommunistischen Kreisen. Die Gründe dafür waren bislang unbekannt. Mario Keßler hat sie aufgeklärt: Die Wurzeln liegen in Nazi-Deutschland. Ein SS-Mann namens Dr. Eberhard Taubert hatte 1933 Ruth Fischers 15-jährigen Sohn misshandelt.

    "20 Jahre später geriet Ruth Fischer in Kontakt zu einer antikommunistischen Spionageorganisation, dem Volksbund für Frieden und Freiheit. Hinter dieser Organisation, die vom Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen finanziert wurde, befand sich eine Propaganda- und auch Terrororganisation, deren Schlägertrupps Linke in der frühen Bundesrepublik überfielen. Durch einen Zufall fand Ruth Fischer heraus, dass dieser Taubert, der diese Organisation leitete, identisch war mit dem einstigen Folterer ihres Sohnes."

    In den ihr verbleibenden 10 Lebensjahren bis 1961 versuchte Ruth Fischer, sich aus der Schwarz-Weiß-Logik des Kalten Krieges zu lösen. Sie setzte ihre Hoffnungen auf die Dritte Welt und eine poststalinistische kommunistische Bewegung, die sich auf Lenin besinnen sollte.

    Keßlers Biografie ist eine durch und durch Politische. Seine Schlussworte sind die eines tief enttäuschten Linken, der sich dem Schmerz der historischen Wahrheit stellt.

    Der Glaube kann weder Moral noch kritisches Denken ersetzen, die zum Wissen und zum Handeln in Verantwortung führen. Ein solch falscher Glaube führt zur Selbstpreisgabe der Persönlichkeit. Erst als Ruth Fischer dies begriff, ging sie den Weg vom Glaubensmythos zur Aufklärung – einer Aufklärung, die oftmals scheitert, doch immer nötig ist, um die Welt zum Besseren zu ändern.

    Buchinfos:
    Mario Keßler: "Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895-1961)", Böhlau Verlag, (Zeithistorische Studien, Bd. 51), 759 Seiten, 59,90 Euro