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Bombardierung Dresdens vor 70 Jahren
"Hoher Zustimmungsgrad" bei den Briten

Die Zerstörung deutscher Städte - besonders Dresdens - aus der Luft war strategisch geplant, um den Zweiten Weltkrieg rasch zu beenden, sagte der Augsburger Historiker Dietmar Süß im Deutschlandfunk. Ethik und Moral hätten bei den Verantwortlichen keine große Rolle gespielt. Heute sähen die meisten Briten die Zerstörung der Elbstadt als "Parabel des Friedens".

Dietmar Süß im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.02.2015
    Dresden nach den Luftangriffen vom 13. und 14. Februar 1945 - bei denen die historische Innenstadt fast völlig zerstört wurde, bis zu 25.000 Menschen fanden den Tod.
    Dresden nach dem Bombenangriff 1945, bei dem 35.000 Menschen starben und die historische Innenstadt nahezu völlig zerstört wurde. (picture-alliance / dpa / Gutbrod)
    Die Bombardierungen deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg durch die Alliierten spielten eine entscheidende Rolle für deren Vorrücken, sagte der Augsburger Historiker Dietmar Süß im Deutschlandfunk. Ethische Bedenken am Luftkrieg hätten damals in der Armeeführung kaum eine Rolle gespielt und auch in der britischen Bevölkerung sei der Zustimmungsgrat hoch gewesen. Lediglich die anglikanische Kirche hätte Protest geäußert.
    Nach der Bombardierung erhielt Dresden in der historischen Betrachtung eine besondere Bedeutung. Schon die Nationalsozialisten hätten die Zerstörung als ein "Fanal der Rache der Alliierten" ausgeschlachtet, so der Historiker. Das habe sich auch daran gezeigt, dass Joseph Goebbels bei den Opferzahlen eine Null hinzugefügt habe - und von 250.000 Toten sprach. "Eine unvorstellbar hohe Zahl", betonte Süß. Die SED habe dann in der DDR nahtlos an diese Sichtweise angeknüpft und die Zerstörung der "unschuldigen Stadt Dresden" als Ausdruck des alliierten Imperialismus bezeichnet.
    Heute werde in Großbritannien der Luftkrieg sehr differenziert gesehen. So sei etwa im Kontext des Golfkriegs 1991 der Nutzen flächendeckender Bombardements in Frage gestellt worden. Dresden stehe heute in Großbritannien auch als "Parabel des Friedens". Aus der Zerstörung heraus sei ein Neuanfang und eine Verständigung der Völker möglich gewesen. Dies zeige sich auch in Städtepartnerschaften wie zwischen Coventry und Dresden.

    Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Dietmar Süß:
    Christoph Heinemann: Vor 70 Jahren war der Krieg, der von Deutschland ausgegangen war, längst nach Hause zurückgekehrt. Pforzheim, Würzburg, Heilbronn, Kassel, Hamburg, Köln - viele Städte sind durch Bomben planmäßig zerstört worden. Am Abend des 13. Februar, Karnevalsdienstag, begann der Luftangriff auf Dresden, und 800 britische und US-amerikanische Bomber legten die Garnisonsstadt an der Elbe in Schutt und Asche. Kaum ein Bild hat das Ergebnis eindrucksvoller festgehalten als das Foto vom Rathausturm, der erstaunte Blick der steinernen Figur, die ausgestreckte Hand, die auf die menschenleere Ruinenlandschaft weist. Wie viele Menschen durch die Bombardierung und die Brände ums Leben gekommen sind, darüber wird seit 70 Jahren erbittert gestritten. Die Nazis sprachen von über 200.000 Toten, eine Historikerkommission ging von einer Zahl zwischen 18.000 und 25.000 Toten aus. Professor Dietmar Süß lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg. Er hat ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Tod aus der Luft. Kriegsgesellschaft und Luftkrieg in Deutschland und England". Ich habe ihn vor dieser Sendung gefragt, warum Briten und Amerikaner Dresden heute vor 70 Jahren dem Erdboden gleich gemacht haben.
    Dietmar Süß: Dieser Angriff auf Dresden steht ja in einer längeren Reihe von strategischen Planungen, die die Alliierten ganz am Ende des Krieges hatten. Die Alliierten hatten mit einem deutlich rascheren Kriegsende gerechnet, mit einem rascheren Kriegsende, dass ihnen auch deutlich weniger Kosten verursacht. Und die Bombardierungen deutscher Städte als Teil auch der Unterstützung für die vorrückenden alliierten Truppen spielte dabei eine ganz zentrale Rolle.
    Heinemann: Das heißt, es war schon militärisch notwendig aus alliierter Sicht?
    Süß: Für die Alliierten spielte jedenfalls die Unterstützung der Bomber für die vorrückende Front, für die vorrückenden alliierten Truppen eine ganz zentrale Rolle.
    Heinemann: Gilt das denn auch für diese Flächenbombardierungen, das heißt, die Inkaufnahme von hohen zivilen Opferzahlen?
    Süß: Über die Bedeutung und den Nutzen von Flächenangriffen wird intern durchaus diskutiert, weil insbesondere die Amerikaner argumentieren, dass diese Flächenbombardierung auch von Städten letztlich diesen Krieg nicht effizient beenden, sondern es strategische Bombardierungen sein müssten, insbesondere gegen die Treibstoffindustrie, gegen Verkehrsknoten, die deutlich zielführender seien.
    Heinemann: Die Alliierten wussten, was sie mit diesen Flächenbombardierungen anrichten würden. Wie haben sie das ethisch gerechtfertigt?
    Süß: In dieser Phase spielen längere ethische Debatten über moralische Fragen der Luftkriegsführung in den Generalstäben erst mal einfach keine besonders große Rolle. In der britischen Öffentlichkeit wird über den Sinn der Bombardierungen durchaus gesprochen, und es gibt einen relativ hohen Zustimmungsgrad, der auch im Laufe des Krieges wächst, die deutschen Städte und auch Deutschland weiter zu bombardieren. Zu dem Zeitpunkt ist man sich allerdings auch noch nicht so klar darüber, wie weitreichend die Schäden tatsächlich sind, wie groß der Grad der Zerstörung und wie groß auch die Zahl der Opfer ist. Insfoern sind diese moralisch-ethischen Debatten, die wir aus der Nachkriegszeit kennen, in den zeitgenössischen, insbesondere in den militärstrategischen Debatten eher unterrepäsentiert. Es gibt diese Stimmen, das, glaube ich, ist auch wichtig, sich das noch mal zu vergegenwärtigen, insbesondere in der anglikanischen Kirche. Bekanntestes Beispiel ist der Bischof George Bell, der frühzeitig gegen Formen der Flächenbombardierung auch protestiert. Das heißt, es gibt insbesondere im Umfeld eben der anglikanischen oder der Freikirchen, der pazifistischen Strömungen Vorbehalte, Bedenken, auch Kritik, aber es gibt doch einen weit verbreiteten Konsens darüber, dass diese Art der Kriegführung letztlich die einzig mögliche sei, um Deutschland niederzuringen.
    Heinemann: Herr Süß, viele deutsche Städte sind zerstört worden. Wieso hat Dresden diesen besonderen Stellenwert?
    Süß: Das kann man sich eigentlich nur damit erklären, dass Dresden für die nationalsozialistische oder von der nationalsozialistischen Propaganda als ganz besonders zentrales Ereignis, als ganz besonderes Fanal alliierter Rache und Blutdurst inszeniert worden ist. Das hat etwas damit zu tun, dass insbesondere Goebbels sehr frühzeitig die Opferzahlen Dresdens um eine Null erweitert hat, also in den öffentlichen Stellungnahmen war nicht von 25.000, sondern zunächst schon von 250.000 Toten die Rede, also eine unvorstellbare und natürlich auch in der internationalen Öffentlichkeit überhaupt gar nicht zu rechtfertigende Zahl.
    Heinemann: Und über diese Opferzahlen ist ja im Prinzip ab 1945 erbittert gestritten worden. Welche Rolle spielte der Luftkrieg in der geschichtspolitischen Auseinandersetzung der Nachkriegszeit?
    Süß: Er spielte eine viel größere Rolle, als das in der Debatte, die wir in den 1990er- und auch 2000er-Jahren in Anlehnung von Jörg Friedrich über den Brand eigentlich geglaubt haben. Lange Zeit hieß es damals, der Luftkrieg sei gleichsam ein Tabu der deutschen Geschichte gewesen, ein Tabu, über das die Deutschen sich nicht zu sprechen getraut hätten.
    Heinemann: War er das?
    Süß: Er war es in keiner Weise. Er war es weder in dieser Phase 44/45, er war es auch nicht in den 1950er-Jahren, als der Luftkrieg auf ganz unterschiedliche Weise Eingang gefunden hat in lokale, regionale, städtische Erinnerungstraditionen. Er wird es auch nicht in den 1960er-Jahren, als insbesondere nach den Veröffentlichungen von David Irving über Dresden die Debatte über die Opferzahlen nochmals sozusagen einen neuen Impuls bekommt .
    Heinemann: Ganz kurz, David Irving, der britische Historiker, der den Holocaust geleugnet hat, der gesagt hat, die SS-Führer Heydrich und Himmler hätten den Holocaust ohne Hitlers Wissen angezettelt. Später hat er gesagt, in Auschwitz habe es keine Gaskammern gegeben. Und er hat die Opferzahlen mit 135.000 Toten damals angegeben.
    Süß: Er war damals einer der ersten britischen oder überhaupt Historiker, die so ein größeres Buch über den Luftkrieg geschrieben haben. Und im Anschluss an dieses Buch ist diese Debatte über die Opferzahl noch mal sehr intensiv geführt worden. Damals waren aber sozusagen auch die Kenntnisse noch sehr disparat. Und die Debatte über den Luftkrieg war eben vielfach auch der Versuch von deutscher Seite, von der Schuld an den Verbrechen des Dritten Reiches, von Massenmord an den Juden, abzulenken und sich selber als Opfer, als das eigentliche Opfer des Zweiten Weltkrieges zu inszenieren.
    Heinemann: Wie ist die DDR historisch und politisch, sofern man in der DDR beides voneinander trennen konnte, mit der Zerstörung von Dresden umgegangen?
    Süß: Die DDR spielt für den Mythos Dresden eine ganz zentrale Rolle, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens, weil die DDR mit ihrer Gründung und auch die SED die Erinnerung an Dresden für sich instrumentalisiert und anknüpfen kann an nationalsozialistische Propagandaformeln des Untergangs der unschuldigen Stadt Dresden, der Zerstörung der Alliierten deutscher Kultur, das ist sozusagen die Erzählung aus der NS-Zeit, die sich nahtlos einfügt dann in die SED-Propaganda, die über Dresden dann im Ton der alliierten imperialistischen Anklage spricht. Also Dresden als Symbol für den westlichen, den alliierten Imperialismus und die Zerstörungsgewalt des Westens und insbesondere dann der Briten und der Amerikaner. Also, diese Tradition der Anklage der Alliierten als Kriegsverbrecher bekommt durch die SED-Propaganda, durch 40 Jahre DDR einen ganz großen Nährboden und erklärt auch den Zuspruch, den solche Thesen nach 1989 in Dresden dann finden konnten. Nicht alle natürlich, aber weil es eben auch, insbesondere im Umfeld der Kirchen, alternative Lesarten gibt, gerade im Kontext dann der beginnenden Friedensbewegung, die dafür eine wichtige Rolle spielt, aber doch eine ganz erhebliche Bedeutung, die die SED-Propaganda spielte.
    Heinemann: Herr Süß, 1992 enthüllte die Mutter der Königin in London ein Denkmal für den britischen Luftmarschall Arthur Harris, einen der Hauptverantwortlichen der Flächenbombardierungen einerseits, andererseits überreichte gestern der Herzog von Kent der Dresdener Oberbürgermeisterin die Ehrenmedaille des Dresden Trust, der zum Wiederaufbau der Frauenkirche gegründet wurde. Auch das Königshaus hatte ja Geld gespendet. Wie wird in Großbritannien heute über den Luftkrieg diskutiert?
    Süß: Viel kontroverser, als wir das vielleicht vielfach wahrnehmen. Gerade diese Enthüllung des Denkmals um Arthur Harris war in der britischen Öffentlichkeit alles andere als unumstritten. Denn auch in Großbritannien ist die Debatte über die Notwendigkeit, die ethische Legitimation von Flächenbombardements mit großer Heftigkeit geführt worden, insbesondere, und das darf man nicht, in den 1990er-Jahren, vergessen, im Kontext dann eben auch des Golfkrieges. Und es gibt schon seit der unmittelbaren Nachkriegszeit, seit den 1950er-Jahren, ganz verschiedene, gerade im Umfeld der Kirchen entstandene Initiativen, beispielsweise der Städtepartnerschaften zwischen Coventry und Dresden, die sich um alternative Lesarten des Luftkriegs und der Versöhnung bemüht haben, einer Lesart des Luftkriegs, die den Luftkrieg interpretiert, insbesondere auch Dresden, als eine Art von Parabel des Friedens und der Versöhnung, auf deren Trümmern eben so etwas wie eine neue Völkergemeinschaft aus den Lernerfahrungen des Zweiten Weltkriegs aufgebaut werden sollte. Und gerade diese Initiativen haben doch sehr stark mit dazu beigetragen, sich auch von der Sprache der NS-Propaganda und der Kriegsverbrecher-Rhetorik zu lösen.
    Heinemann: Der Historiker Professor Dietmar Süß lehrt an der Universität Augsburg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.