Samstag, 20. April 2024

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Boris Giltburg spielt Liszt
Tongedichte fürs Klavier

Zwölf Etudes d'execution transcendante hat Franz Liszt geschrieben - virtuose Stücke, die staunen machen, die aber auch Geschichten erzählen. Der Pianist Boris Giltburg ist dieser doppelten Aufgabe ganz selbstverständlich gewachsen. Hierbei vertraut er auf einen ganz bestimmten Flügel.

Am Mikrofon: Susann El Kassar | 13.01.2019
    Ein Mann sitzt vor einem Flügel, hat die Hände auf den Tasten und spielt Musik.
    Warmspielen vor dem Konzert: Boris Giltburg 2015 im Herkulessaal in München. (imago stock&people / Michel Neumeister)
    Manch ein Klavierschüler, manch eine Klavierschülerin denkt nur ungern an Czerny oder Hanon zurück, an die eher stumpfen Geläufigkeitsübungen, die sich die beiden Komponisten ausgedacht haben, (und) die aber zum Training der Finger oft im Unterricht vorkommen. Nach diesem Trockenfutter können dann ambitioniertere Etüden von Johann Baptist Cramer oder Frédéric Chopin folgen. Und für die allermeisten Pianistinnen und Pianisten in unerreichbarer Ferne liegen (dann) die Etüden von Franz Liszt, z.B. seine Etudes d'execution transcendante. Noch heute setzen diese Etüden von 1852 so eine Meisterschaft und Virtuosität voraus, dass es ein Wagnis ist, sich mit ihnen zu beschäftigen. Dabei ist es im Fall dieser Lisztschen Tücken nicht so, dass die Technik überwunden werden muss, um zur Musik zu kommen, wie bei Chopin; Bei Franz Liszt sind die technischen Tricks und Kniffe auch gleichzeitig seine musikalische Mittel. Beispielsweise in der letzten der 12 Etudes d'execution transcendante, mit dem Titel "Chasse-neige", auf Deutsch: Schneepflug. Auf den ersten Blick eine Studie für Tremoli, tatsächlich aber verkörpern die Tremoli das Schneegestöber:
    Musik: Etudes d'exécution transcendante Nr.12 "Chasse-Neige"
    Chasse-neige von Franz Liszt, gespielt vom jungen russisch-israelischen Pianisten Boris Giltburg. Beim Label Naxos ist in diesen Tagen seine Aufnahme der Etudes d'execution transcendante erschienen. Er umrahmt diese extremen Herausforderungen mit der Rigoletto-Paraphrase von Franz Liszt und der Konzertetüde "La leggierezza".
    Von Rachmaninow zu Liszt
    Boris Giltburg zog 2013 die Aufmerksamkeit auf sich, als er den renommierten Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel gewann. Und er hat sich dann vor allem mit Werken von Sergej Rachmaninow einen Namen gemacht; eine virtuose Musik, deren technische Ansprüche selbstverständlich sein müssen, um überhaupt in der Lage zu sein, auch ihren Sinn und Inhalt zeigen zu können. Franz Liszt – dem Paganini des Klaviers – lag besonders viel daran, das Publikum mit seinen Kunststücken von den Stühlen zu reißen, darum sind die Etüden gespickt mit großen, schnellen Akkordsprüngen, mit halsbrecherischen Läufen, oder mehrschichtigen Passagen. Für Boris Giltburg alles kein Problem.
    Musik: Etudes d'exécution transcendante Nr. 6 "Vision"
    Einige der Etudes d’execution transcendante tragen Titel, die andeuten, dass diese romantischen Etüden eher als Tondichtungen gemeint sind. Die vierte und bekannteste Etüde, "Mazeppa", z.B. hat Liszt sogar orchestriert und als sinfonische Dichtung veröffentlicht. Sie erzählt die Geschichte vom Pagen Mazeppa: Wegen einer unerlaubten Liebesbeziehung wird er zur Strafe nackt, rücklings auf ein Pferd gebunden und in die Steppe gejagt. Der wilde Pferdegalopp mit den aufsteigenden Terzen in der musikalischen Mittelebene gehört zu den schwierigsten Passagen des Etüdenzyklus, gesteht Boris Giltburg. Er geht hier aber auch ein besonders hohes Risiko ein, denn so schnell wie bei Giltburg galoppiert Mazeppas Pferd nicht immer. Hier der Anfang von Mazeppa, der Etudes d’execution transcendante Nr.4.
    Musik: Etudes d'exécution transcendante Nr.4 "Mazeppa"
    Vordergründig etwas Ruhe nach diesen wilden Figuren – vielleicht ist Ihnen kurz vor dieser Beruhigung der chromatische Oktavlauf aufgefallen, den Boris Giltburg überraschend trocken spielt, so dass sein Flügel fast wie ein mechanisches Player Piano klingt - ein cooler Effekt! Andere Interpreten lassen solche Passagen auch gerne mal im Pedalklang verschwimmen.
    Besondere Wahl des Instruments
    Boris Giltburg spielt aber auch nicht auf einem typischen Steinway-Flügel, sondern auf einem Flügel der Firma Fazioli – ein italienischer Hersteller, der seit 1981 diese Instrumente baut und unter einigen Pianisten und Pianistinnen hohes Ansehen genießt. Sie schätzen insbesondere die Mechanik und die Tonqualität: Die Höhe beispielsweise fügt sich beim Fazioli-Flügel organischer in den Gesamtklang ein. Bei Steinway-Instrumenten reißt der Diskant oft mit greller Schärfe aus dem Gesamtgefüge aus. In Konzertsälen dominiert klar die Marke Steinway, auf CD können Pianisten von diesem Standard aber abweichen.
    Musik: Etudes d'exécution transcendante Nr. 10
    Erste Ideen zu diesen Etudes d’execution transcendante hatte Franz Liszt bereits im Alter von 15 Jahren, da hießen sie noch Grandes Etudes und sollten einmal 24 Nummern umfassen – für jede Tonart eine. Es blieb aber bei zwölf Etüden und diese hat Liszt mehrmals überarbeitet. Er hat den Schwierigkeitsgrad dosiert und auch formale Änderungen vorgenommen. - 1852 erschien die letzte und heute üblicherweise gespielte Fassung. Mit Stücken wie diesen hat Liszt die Klavierkunst auf einmalige Weise geprägt, der Liszt-Zeitgenosse und Musikkritiker Francois Joseph Fétis sprach 1841 sogar von der Neuerfindung des Klaviers.
    Dramaturgisches Verständnis
    Liszt entwickelte das Klavier mit seinen 88 Tasten zu einem symphonischen Instrument und der Pianist muss wie ein Dirigent die Partitur durchdringen und abschätzen, an welchen Stellen er sich welche Freiheiten nehmen kann, nehmen muss, um das Werk an sich verständlich zu machen. Boris Giltburg ist hier hin und wieder vorsichtig, zumindest was das Herausarbeiten von Höhepunkten angeht. In der siebten Etüde, "Eroica", setzt er das Marsch-Thema edel im piano in Szene, aber das folgende Crescendo zum höchsten Zielton und zum fortissimo fehlt bei ihm, dabei würde es dem strukturellen Verständnis dieser Passage durchaus helfen. Und wäre auch dramaturgisch weitaus interessanter als der gleichbleibende Gestus.
    Musik: Etudes d'exécution transcendante Nr.7 "Eroica"
    Dass Boris Giltburg aber Gespür für die große Linie hat, und lange Bögen zu gestalten weiß, zeigt er in der Rigoletto-Paraphrase von Franz Liszt, die er auf seiner neuen CD vor die 12 Etudes d'execution transcendante gesetzt hat. Liszt hat hier ein Gesangsquartett aus Verdis Oper Rigoletto aufgegriffen und pianistisch reizvoll umspielt. Hier überzeugt Giltburg durch seinen warmen Anschlag und die perlenden Läufe.
    Musik: Rigoletto-Paraphrase
    Franz Liszt
    Etudes d'exécution transcendante
    Rigoletto-Paraphrase
    La Leggierezza
    Boris Giltburg, Klavier
    Naxos