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Borussia Dortmund
"Für die Mannschaft wird es heute viel schlimmer"

Der Sportjournalist Christoph Biermann hält es für problematisch, dass die Mannschaft von Borussia Dortmund heute wieder in der Bundesliga antreten muss. "Wir muten diesen jungen Männern zu viel zu", sagte Biermann im DLF. Die Entscheidung sei in einer komplizierten Situation getroffen worden. Dennoch hätte man mehr Rücksicht auf die Betroffenen nehmen können.

Christoph Biermann im Gespräch mit Sandra Schulz | 15.04.2017
    Fußball Champions League: Viertelfinal-Hinspiel, Borussia Dortmund - AS Monaco am 12.04.2017 im Signal Iduna Park in Dortmund (Nordrhein-Westfalen).
    "Es wird ein sehr angespannter Spieltag", sagte Sportjournalist Christoph Biermann im DLF. (dpa/picture alliance/ Federico Gambarini)
    Sandra Schulz: Heute geht die Bundesliga weiter unter hohen, unter höchsten Sicherheitsbedingungen. Was heißt das alles für den Fußball – darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen, und am Telefon ist Christoph Biermann, Mitglied der Chefredaktion des Fußballmagazins "11 Freunde". Schönen guten Tag!
    Christoph Biermann: Guten Tag!
    Schulz: Was wird das heute für ein Spieltag, der 29.?
    Biermann: Ich glaube, ein sehr angespannter Spieltag, weil die Ereignisse dieser Woche natürlich zeigen, dass etwas Neues in der Welt ist, nämlich, dass Fußballmannschaften potenzielle Anschlagsziele sind. Das hatte ja auch NRW-Innenminister Jäger gesagt, dass man das sozusagen nicht lange in der Vorstellungswelt gehabt hatte, und das ist da jetzt, weil es passiert ist.
    Das heißt, alle Mannschaften, die heute ins Stadion fahren, ob in der ersten oder zweiten Liga, werden möglicherweise ein leicht mulmiges Gefühl haben, also wie berechtigt oder auch unberechtigt, das sei dahingestellt, weil man plötzlich eben diese neue Situation hat.
    Schulz: Neu insofern auch, dass es im Vergleich zu der Situation, die wir in Frankreich gesehen haben bei den Pariser Attentaten, noch zielgerichteter auf die Profis gegangen sein könnte oder gegangen ist?
    Biermann: Ja, genau das. Also, wie gesagt, zum ersten Mal sind da eigentlich gezielt Spitzenfußballer Ziel eines Anschlags gewesen. Das haben wir in der Form nirgendwo anders gehabt. Wir haben natürlich im Irak, in Somalia sind Fußballspieler auch schon attackiert worden.
    Wir hatten hier diese diffuse Situation beim abgesagten Länderspiel in Hannover gegen die Niederlande und dann eben den versuchten Anschlag auf das Spiel der deutschen Nationalmannschaft in Paris, aber dass sozusagen da gezielt gegen Fußballprofis vorgegangen ist, das hatten wir vorher noch nicht.
    Spieleinsatz: "Ich glaube, dass wird heute noch viel schwerer"
    Schulz: Was ist denn Ihre Einschätzung? Jetzt hat sich der Anschlag ja gerichtet gegen das Dortmunder Team. Wird der BVB heute als halbwegs sortiertes Team antreten können?
    Biermann: Ich glaube, dass es für den BVB heute noch viel, viel schlimmer ist, anzutreten, als unter der Woche. Ich glaube, dass da, wenn man sich dann noch mal in die Situation reinversetzt, man wird Ziel dieses Anschlags, man realisiert das zunächst einmal gar nicht in der ganzen Auswirkung, dann steht man unter dem Stress, dass man am nächsten Tag spielen muss, morgens am Spieltag sind die Spieler noch von der Polizei befragt worden, was ja auch richtig und sinnvoll ist. Das heißt, man ist überhaupt nicht in der Lage gewesen, sich auf die Situation einzulassen.
    Dann hat man gespielt, und irgendwann ist man dann nach Hause gegangen, und dann hat es sich angefangen zu setzen, dann ist auf einmal plötzlich dieser Gedanke, Moment, was ist denn da jetzt eigentlich gewesen. Ich glaube, der hat da viel mehr Platz, viel mehr Raum greifen können als das vorher der Fall war, und dann heute wieder sich in diesen Bus zu setzen oder in einen Bus zu setzen, ins Stadion zu fahren, spielen zu müssen, ich glaube, das wird heute noch viel schwerer.
    "Man hat versucht, diese jungen Männer umzubringen"
    Schulz: Es hat ja viel Kritik gegeben an der Entscheidung der UEFA, dieses Champions-League-Spiel sofort auf den nächsten Tag mit diesem ganz, ganz knappen Abstand nur zu ziehen. Vor dem Hintergrund, auch was Sie skizzieren, dass sich das jetzt bei den Spielern möglicherweise gerade erst setzt oder anfängt zu setzen, ist es dann richtig, dass die Bundesliga dann heute ganz normal weitergeht?
    Biermann: Ich finde, dass das eine berechtigte Frage ist, die ich eben nicht so eindeutig beantworten kann. Vielleicht hätte man mit den Betroffenen darüber offen diskutieren müssen. Vielleicht hätte die deutsche Fußballliga dem Borussia Dortmund oder der Mannschaft von Borussia Dortmund das auch anbieten sollen, weil es möglicherweise eben heute besonders schwierig ist, noch mal auf die Situation des durchgeführten, dann 24 Stunde oder 22 Stunden später durchgeführten Spiels, ich glaube, dass die, die die Entscheidung gefällt haben, denen gar nicht in dem Moment, als sie dieses Spiel für den nächsten Tag angesetzt haben, vielleicht auch gar nicht die Tragweite dessen, was da an diesem Bus passiert war, klargewesen ist.
    Schulz: Wir haben jetzt das Argument gehört oder, besser gesagt, nach dem UEFA-Spiel, nach dem Champions-League-Spiel das Argument gehört, das sei so ähnlich wie bei einem Reiter, der vom Pferd stürzt. Da ist es wichtig, dass man da möglichst schnell wieder aufsteigt, dass man sich das traut. Das sind jetzt ja diese wenigen Fußballprofis, die das für die ganze Gesellschaft leisten müssen. Ist der Fußball damit dann überfordert?
    Biermann: Also ich würde gar nicht sagen, der Fußball ist überfordert. Ich finde, wir muten diesen jungen Männern – Thomas Tuchel hat das ja immer so schön gesagt – als Menschen dann einfach zu viel zu. Wir müssen uns das noch mal ganz klar machen: Man hat versucht, diese jungen Männer umzubringen. Man hat versucht, sie zu töten, und dann … Also, sozusagen als Menschen zu töten, das war jetzt nicht irgendwie so eine merkwürdige, wir zeigen denen mal, erschrecken die mal oder sowas, sondern es gab offensichtlich von irgendwelchen Leuten, die wir nicht kennen, den Vorsatz, diese Spieler umzubringen. Und dann sozusagen, ja, ihr habt so eine Art von Bringschuld, show must go on, oder wir müssen hier quasi die Freiheit auf dem Fußballplatz verteidigen, also das finde ich dann schon ein bisschen problematisch, um es vorsichtig zu formulieren.
    "Etwas mehr Empathie für die Betroffenen"
    Schulz: Ich würde das Argument aber gerne auch noch in die andere Richtung drehen: Es wird jetzt kritisiert, da gehe es ums Geschäft, das habe jetzt alles sein müssen, show must go on, aber was ist daran jetzt so überraschend, dass es dann doch unterm Strich beim Fußball auch ums Geschäft geht?
    Biermann: Na das ist überhaupt nicht überraschend. Ich glaube, wir müssen jetzt auch vorsichtig sein. Wir können natürlich hingehen und UEFA und vielleicht auch die Vereinsverantwortlichen vom BVB böse zu kritisieren, und da gibt es sicherlich auch Ansatzpunkte. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch an diesem letzten Mittwoch, Dienstag um, was weiß ich, 19:20 Uhr, eine unglaublich komplizierte Situation für jeden gewesen, und vielleicht würde man, wenn man alles, was man heute wüsste, in dieser Situation wieder neu wäre, auch einige Dinge anders entscheiden.
    Also da muss man jetzt auch vorsichtig sein, das jetzt alles im Bausch und Bogen zu verdammen, aber, wie gesagt, an der einen oder anderen Stelle wäre vielleicht etwas mehr – ich sage auch mal – Empathie für die Betroffenen. Also die da in diesem Bus gesessen haben, und dann hat es dreimal laut geknallt, weil nämlich andere versucht haben, sie zu töten, das auch vielleicht an sich heranzulassen und in folgende Entscheidungen einfließen zu lassen, aber vielleicht war das auch all denen, die diese Entscheidung getroffen haben, in dem Ausmaß nicht klar.
    Schulz: Und was meinen Sie, welche Rolle wird es jetzt spielen, noch tappen die Ermittler ja ziemlich im Dunkeln, wer nun wirklich hinter der Tat steckt, ob es eine islamistische Tat war, ob es – mit dicken Anführungszeichen – "Fangewalt" war oder, ob rechts- oder linksextremistische Gruppen dahinterstehen, was glauben Sie, welche Rolle spielt es jetzt in der Diskussion, wer es nun wirklich war?
    Biermann: Für die Betroffenen – nehmen wir mal deren Perspektive an –, ich bin jetzt kein Traumaforscher oder so etwas, aber ich glaube, wenn jemand versucht hätte, nach meinem Leben zu trachten, dann würde ich gerne wissen, wer das war und warum das passiert ist, und natürlich würde ich mir auch wünschen, dass derjenige oder diejenigen aus dem Verkehr gezogen werden. Und nicht mich erneut oder irgendjemand anderen gefährden können. Also das ist sicherlich ganz wichtig, und ich denke, dass es natürlich auch für uns alle ganz wichtig ist, dass wir wissen, wer das war und dass die verantwortlich aus dem Verkehr gezogen werden.
    Schulz: Christoph Biermann, Mitglied der Chefredaktion des Fußballmagazins "11 Freunde" heute Morgen, heute Mittag besser gesagt, hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.