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Bosbach (CDU) zum Asylstreit
Das Letzte wäre, dass sich die Union zerlegt

CDU und CSU könnten nur gemeinsam Erfolge haben oder erfolglos sein, sagte CDU-Politiker Wolfgang Bosbach im Dlf. Das gelte gerade in der Flüchtlingspolitik. Man werde der Kanzlerin wohl 14 Tage Zeit geben. Es werde entscheidend sein, ob es wirklich zu einer Regelung komme, die solidarisch mitgetragen wird.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.06.2018
    Wolfgang Bosbach
    Statt "Kompromissen auf europäischer Ebene, wo anschließend jeder das herausliest, was ihm gefällt", wünscht sich CDU-Politiker Wolfgang Bosbach eine Regelung in der Flüchtlingspolitik, "die solidarisch mitgetragen wird". (CDU / Manfred Esser)
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist der Innen- und Rechtspolitiker Wolfgang Bosbach (CDU), Berater der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und ehemaliger Bundestagsabgeordneter. Guten Tag!
    Wolfgang Bosbach: Guten Tag, Herr Heinemann.
    "Wir haben klare Regeln, die nur nicht eingehalten werden"
    Heinemann: Herr Bosbach, Sie haben es gehört: Zurückweisung zunächst nur für Menschen mit Einreiseverbot und gleichzeitig Hoffen auf europäische Vereinbarungen. Wäre das ein tragfähiger Kompromiss?
    Bosbach: Da stellt sich sofort die Frage, wie lange wollen wir dann warten auf europäische Vereinbarungen, und warum gilt es nicht als europäische Vereinbarung, wenn wir das geltende Recht konsequent anwenden. Es ist ja gerade nicht so, dass wir uns auf europäischer Ebene in einem rechtsfreien Raum bewegen, der zunächst einmal durch rechtliche Regelungen gefüllt werden müsste. Wir haben klare Regeln, die nur in der Praxis nicht eingehalten werden.
    Heinemann: Was heißt das jetzt genau? Würden Sie sagen, dass Seehofers Vorschlag richtig ist?
    "Faktisch gibt es dieses Wahlrecht doch"
    Bosbach: Ja! In der Sache ist er richtig, denn nach schon lange geltendem Recht muss das Asylverfahren dort durchgeführt werden, wo der Antragsteller zum ersten Mal ein Land der Europäischen Union erreicht hat. Es gibt kein Recht für Asylbewerber, quer durch Europa zu reisen, bei offenen Grenzen, um sich ein Land aussuchen zu können, wo er den Asylantrag stellt. Wenn wie seit knapp drei Jahren das Asylgesuch an der Grenze Pass und Visum ersetzen, dann hat man nicht rechtlich, aber faktisch das Problem, dass es dieses Wahlrecht doch gibt.
    "Nie waren Außengrenzen durchlässiger"
    Heinemann: Sie haben Ihren Parteifreund Armin Laschet gehört. Schengen aussetzen, der kontrollfreie Übergang an den Grenzen, kommt überhaupt nicht in die Tüte.
    Bosbach: Ja, dafür habe ich auch Verständnis - nicht nur, weil ich im Moment ganz in seiner Nähe bin; ich sitze in der Staatskanzlei in Düsseldorf -, sondern weil ja Schengen mehr ist als das Reisen ohne Grenzkontrollen. Schengen bedeutet sichere EU-Außengrenzen Zug um Zug gegen Abbau der Binnengrenzkontrollen. Nie waren aber die Außengrenzen durchlässiger als in den letzten Jahren, und da stellt sich die Frage bei der Durchlässigkeit der EU-Außengrenzen, kann es beim grenzenlosen Reisen innerhalb des Schengen-Raums bleiben. Und was ich jetzt sage, ist vielleicht für den einen oder anderen eine Überraschung, aber es ist geltendes Recht: Grundsätzlich braucht man auch heute noch, denn wir haben ja nicht die Landesgrenzen abgeschafft, wir haben die Grenzkontrollen abgeschafft, auch heute noch brauchen wir gültige Papiere, um vom einen Land in das andere Land einreisen zu können.
    Im Moment ersetzt das Asylgesuch die übrigen Voraussetzungen für den Grenzübertritt. Versuchen Sie mal, mit Papieren einzureisen, aber Ihnen fehlt der Pass, Ihnen fehlt das Visum, und Sie stellen keinen Asylantrag an der Grenze; dann werden Sie zurückgewiesen. Zurückweisungen finden jeden Tag statt. Das weiß auch Herr Laschet. Das setzt natürlich voraus, dass an den Grenzen kontrolliert wird. Sonst könnten wir überhaupt keine Zurückweisungen vornehmen.
    "Masterplan umfasst wesentlich mehr Regelungspunkte"
    Heinemann: Sie können das Herrn Laschet alles gleich noch mal im Nebenzimmer erklären. – Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung rechnete gestern vor, dass Seehofers Abweisungsplan höchstens jeden fünften Asylbewerber betreffen würde, der eine deutsche Grenze erreicht. Kann man den Masterplan zusammenfassen mit "viel Lärm um nichts"?
    Bosbach: Nein! Ich halte die Zahl für realistisch, aber der Masterplan umfasst ja wesentlich mehr Regelungspunkte als diesen einen. Aber der Punkt wäre deshalb wichtig, weil die Bundesrepublik Deutschland damit signalisieren würde, wir nehmen das, was auf europäischer Ebene geltendes Recht ist, ernst und setzen es in Zukunft um. Die Zurückweisung von Einreisewilligen, die eine Wiedereinreisesperre haben, ist eigentlich eine pure Selbstverständlichkeit. Wenn wir keine Zurückweisungen vornehmen, machen ja auch Wiedereinreisesperren keinen Sinn. Jetzt geht es darum, auch wenn es "nur" 20 Prozent sind, zu signalisieren: Wer in einem anderen Land der Europäischen Union bereits einen Asylantrag gestellt hat, wenn dort das Asylverfahren läuft, gibt es keine Chance, in der Bundesrepublik Deutschland einen weiteren Antrag zu stellen.
    Europäisches Recht einhalten und konsequent anwenden
    Heinemann: Stichwort "pure Selbstverständlichkeit". Guiseppe Conte besucht heute Abend Angela Merkel. Rechnen Sie damit, dass die neue italienische Regierung mit Fünf Sternen und Lega Flüchtlinge zurücknehmen würde?
    Bosbach: Das muss sie. Dazu ist sie ja europarechtlich verpflichtet. Probleme haben wir in den Fällen mit unsicherer Identität, unsicherer Nationalität, oder wenn wir nicht nachweisen können, um wen es sich tatsächlich handelt und dass schon ein Asylantrag gestellt worden ist. Und wir haben Fälle, das betraf in der Vergangenheit zum Beispiel Griechenland, wo die Gerichte gesagt haben, eine Rücküberstellung ist nicht möglich, weil dort humanitäre Mindeststandards im Asylverfahren nicht eingehalten werden. Italien wäre dazu verpflichtet.
    Trotzdem ist Ihre Frage völlig berechtigt, denn es ist ja gerade nicht so, dass die europäischen Länder sich verabreden werden, dem deutschen Beispiel in der Flüchtlingspolitik zu folgen. Es gibt ganz unterschiedliche Regelungen in den europäischen Ländern, trotz eines einheitlichen Rechts - genauer gesagt eine ganz unterschiedliche Praxis. Wenn es der Kanzlerin gelingen würde, alle europäischen Länder zu verpflichten, auch in der Praxis das europäische Recht einzuhalten und konsequent anzuwenden, das wäre ein großer Erfolg.
    Andere EU-Staaten "restriktiver geworden"
    Heinemann: Zweifeln Sie daran?
    Bosbach: Ja, ich zweifle daran – nicht, weil es an guten Absichten und Bemühungen der Bundesregierung oder der Bundeskanzlerin fehlt, sondern weil die Politik der anderen EU-Staaten in den letzten Jahren bei der Aufnahme von Flüchtlingen restriktiver geworden ist, während wir unsere Grenzen nach wie vor offenhalten, weil wir ja jeden einreisen lassen, der an der Grenze einen Asylantrag oder genauer gesagt ein Asylgesuch stellt. Und ich habe nicht das Gefühl, gerade nach dem von Ihnen beschriebenen Wahlausgang in Italien und der dortigen Regierungsbildung, dass die italienische Regierung auf den Kurs der Bundesregierung einschwenkt.
    "Was machen in Fällen, wo Flüchtlinge durchgewunken werden"
    Heinemann: Besteht da vielleicht sogar die Gefahr, dass die Asylanträge gar nicht mehr entgegennehmen?
    Bosbach: Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Mich wundert, dass das bis jetzt in der öffentlichen Debatte keine Rolle spielt. Was machen wir in den Fällen des sogenannten Durchwinkens? - Wir nehmen ja jetzt schon Fingerabdrücke ab. Durch die Abnahme von Fingerabdrücken und den Abgleich in der Datei können wir feststellen, ob die Person schon registriert wurde, bejahendenfalls einen Asylantrag gestellt hat und wo. Aber was machen wir in den Fällen, wo die Flüchtlinge durchgewunken werden oder sich gar nicht registrieren lassen, unter dem Radar zum Beispiel von Italien oder Griechenland weiterwandern und an der deutschen Grenze ankommen? Dieses Problem hätten wir damit nicht gelöst.
    Das ist ja auch der Fall, das war ja der Beginn der Flüchtlingspolitik mit der Einreise der Flüchtlinge, die vor zweieinhalb Jahren auf dem Budapester Ostbahnhof unter unsäglichen Umständen in den Zügen eingepfercht waren. Eigentlich hätten sie einen Asylantrag in Ungarn stellen müssen. Das wollten sie aber nicht. Und Orbán hat gesagt, trifft sich gut, ich will ja auch gar nicht, dass ihr hier bleibt.
    "Ich brauche noch 14 Tage - daran soll es nicht scheitern"
    Heinemann: Herr Bosbach, schauen wir uns noch mal die Union an. Wie konnte es zwischen CDU und CSU soweit kommen?
    Bosbach: Herr Heinemann, das ist jetzt meine Privatdiagnose. Der Politiker liebt Kompromisse. Das ist ähnlich wie bei Tarifverhandlungen. Die Arbeitgeber bieten zwei, die Gewerkschaften wollen vier Prozent. Man ahnt, es endet bei drei Prozent. Aber bei der Frage, gestatten wir die Einreise oder verweigern wir sie, bei dieser Frage ist ein Kompromiss nicht denkbar, höchstens bei dem Personenkreis, den man einreisen lässt, oder beim Versuch der Grenzüberschreitung zurückweist, und da hat Horst Seehofer einen Vorschlag gemacht, der ja nicht revolutionär ist, sondern nur die konsequente Anwendung des geltenden Rechts bedeutet. Und die Bundeskanzlerin ist nun gerade die Vertreterin der anderen Denkschule, die sagt, wie Armin Laschet auch, wir können die Grenzen nicht schließen, keine Zurückweisungen vornehmen, wir wollen auch weiterhin jeden einreisen lassen. Das ist jetzt der schwelende Konflikt, den wir haben. Wenn die Kanzlerin sagt, ich brauche noch 14 Tage, ja daran soll es nicht scheitern. Die Frage ist nur, haben wir nach 14 Tagen eine praxistaugliche europäische Regelung, die von allen Staaten akzeptiert wird oder nicht. Ich bin da skeptischer, drücke der Kanzlerin aber beide Daumen.
    "Diskrepanz zwischen europäischer Rhetorik und Realität"
    Heinemann: Herr Bosbach, noch mal mit Blick auf die Union. Mit welchen Langzeitfolgen dieses gegenwärtigen Streits rechnen Sie?
    Bosbach: Die würde ich mal nicht unterschätzen. Niemand soll glauben, wenn die beiden Parteien auseinandergehen, wenn die Fraktionsgemeinschaft scheitert, oder gar die Regierung, die Koalition, dass irgendjemand in der Union davon einen Vorteil hätte. Die CDU hätte keinen Vorteil, die CSU hätte davon auch keinen Vorteil. Wir werden nur gemeinsam Erfolg haben, oder wir werden erfolglos sein. Und das Letzte, was wir jetzt in der schwierigen Lage gebrauchen, ist, dass die Union sich in dieser Frage zerlegt.
    Heinemann: Wer muss sich jetzt am Riemen reißen?
    Bosbach: Zunächst einmal – davon gehe ich aus, sie vermutlich aus - wird man der Kanzlerin 14 Tage Zeit geben, und dann wird es ganz entscheidend darauf ankommen, gibt es wieder einmal wolkige Formulierungen, Kompromisse auf europäischer Ebene, wo anschließend jeder das herausliest, was ihm gefällt, oder kommt man wirklich einmal zu einer Regelung, die solidarisch mitgetragen wird. Herr Heinemann, es gibt gerade in der Flüchtlingspolitik leider eine große Diskrepanz zwischen der europäischen Rhetorik und der europäischen Realität.
    Heinemann: … sagt der Innen- und Rechtspolitiker Wolfgang Bosbach (CDU). Er berät die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. – Herr Bosbach, danke schön für das Gespräch.
    Bosbach: Ich danke Ihnen! – Eine schöne Woche.
    Heinemann: Danke gleichfalls.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.