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"Bosnien-Herzegowina muss in der Lage sein, sich selber zu regieren"

In Brüssel macht man sich große Sorgen über die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina. Anders als in allen übrigen Balkanländern geht es dort nicht vorwärts, sondern rückwärts. Eindringlich forderte letzte Woche EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn die politischen Führer auf, ihre gegenseitige Blockade zu beenden und gemeinsam notwendige Entscheidungen für ihr Land zu treffen.

Von Doris Simon | 20.10.2009
    "Die politischen Führer und letztlich die Bürger in Bosnien-Herzegowina müssen entscheiden, ob das Land permanent hinter seinen Nachbarn zurückbleiben will in einem Assoziationsabkommen oder ob es seine Probleme regelt und sich ernsthaft um eine Mitgliedschaft in der EU bemüht, mit allen Rechten und Pflichten, die dazugehören."

    Andere Länder auf dem Westlichen Balkan haben Bosnien-Herzegowina inzwischen überholt, in ihrer Entwicklung und auf dem Weg in Richtung EU. Dabei fühlen sich viele europäische Politiker dem Land durchaus besonders verpflichtet, mit Blick auf die Leiden der Menschen im Bürgerkrieg. Die CDU-Europaabgeordnete Doris Pack, Berichterstatterin des Europaparlamentes für Bosnien-Herzegowina:

    "Wir haben seit Jahren ein großes Engagement finanzieller Art, aber auch mit Menschen, die vor Ort helfen im Bereich der Justiz. Wir haben also Richter und Staatsanwälte, die mit den dort vorhandenen Richtern versuchen, das Justizsystem so zu ändern, dass es unseren Vorstellungen entspricht und dass es also auch ermöglicht, dass Menschen dort investieren können und dann auf einer sicheren Grundlage stehen."

    Doch was in Bosnien und in der Herzegowina fehlt, das sind Eigenverantwortung und Engagement der führenden Politiker für das Land. Die Aufsplitterung der Macht über zwei Landesteile und zehn Kantone ist vielen Politikern aller Volksgruppen lieber als eine Stärkung des schwachen Zentralstaates. Bis jetzt nutzen bosnische Serben, bosnische Kroaten und Muslime beinahe jede Gelegenheit, sich bei Entscheidungen gegenseitig zu lähmen. Deshalb muss auch 14 Jahre nach dem Friedensvertrag von Dayton immer noch der Hohe Vertreter der EU und der internationalen Gemeinschaft wichtige Entscheidungen fällen:

    "Der hat denn die sogenannten Bonn Powers, das heißt Machtbefugnisse, wie sie eigentlich in der Demokratie niemand haben sollte, aber die notwendig waren, weil die Gräben zwischen den drei Völkern in Bosnien-Herzegowina so tief sind, dass jeder dem anderen misstraut und es eigentlich nicht zum gemeinsamen Handeln kommt."

    Die EU und die internationale Gemeinschaft hatten das Amt des Hohen Vertreters längst auflösen wollen, jetzt soll es nun endlich so weit sein. Doch davor müssten sich die politischen Führer in Bosnien-Herzegowina auf eine Verfassungsreform einigen, die diesen Namen verdient. Die erwünschte Stärkung des Staates aber würde einen Machtverlust der zwei Landeshälften bedeuten, der Republika Srpska und der bosnisch-kroatischen Föderation. Milorad Dodik, der Ministerpräsident der Republika Srpska, lehnte dies ab nach dem letzten Treffen mit EU und USA vor zehn Tagen ab. Stattdessen verlangte Dodik mehr Befugnisse für seine serbische Landeshälfte. Dann aber werde es nichts mit der europäischen Zukunft des Landes, warnte daraufhin EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn:

    "In aller Deutlichkeit: Ein Beitrittsantrag von Bosnien-Herzegowina kann nur ernsthaft beraten werden durch die EU, wenn das Amt des Hohen Vertreters aufgelöst wird. Ein Quasi-Protektorat kann der Europäischen Union nicht beitreten. Bosnien-Herzegowina muss in der Lage sein, sich selber zu regieren. Diese Gelegenheit, zu einer Einigung zu finden, wird so schnell nicht wiederkommen, man sollte sie nicht verstreichen lassen."

    Die Menschen in Bosnien und der Herzegowina merken längst, was sie der ethnische Streit und die Schwäche ihres Staates kosten. So müssen sie zusehen, wenn für Serben, Montenegriner und Mazedonier am 1. Januar 2010 der Visumzwang fällt für Reisen in die EU. Für bosnische Serben, bosnische Kroaten und Muslime ist es frühestens im Sommer 2010 so weit, schlechter sieht es nur für die Kosovaren aus. Jeder Bosnier, der kann, hat deshalb längst einen kroatischen oder serbischen Pass beantragt- das Vertrauen, dass sich die Dinge in Bosnien-Herzegowina bald zum Besseren ändern, ist im Land selber noch schwächer als in Brüssel.