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Brain Gain: Hervé Bocherens
Den ausgestorbenen Tieren der Eiszeit auf der Spur

Das Leben während der letzten Eiszeit ist das große Thema des französischen Paläobiologe Hervé Bocherens. In Tübingen forscht er zu den großen Säugetiere der Eiszeit wie Höhlenbär, Wollhaarnashorn und Mammut - und der Frage, warum sie ausgestorben sind.

Von Michael Stang | 16.08.2018
    Der Paläobiologe Herve Bocherens erforscht in Tübingen ausgestorbene Tiere der Eiszeit. Er steht in seinem Büro vor einem Mammutkopf aus Plüsch
    Der Paläobiologe Herve Bocherens erforscht in Tübingen ausgestorbene Tiere der Eiszeit (Michael Stang)
    Hervé Bocherens ist auf dem Weg in sein Labor. An der Universität Tübingen untersucht der französische Paläobiologe Tierknochen aus der letzten Eiszeit. Sein Interesse gilt aber nicht der DNA darin, sondern dem Protein Kollagen.
    "So, wir sind in dem Kollagen-Raum und hier dieses komische Geräusch ist eine Extraktion von Kollagen, wo das Knochenpulver - mit Salzsäure gemischt - gerührt wird und dann nach 15 Minuten filtriert. Dann sind alle Mineralien gelöst und es bleibt nur das Kollagen auf dem Filter."
    Im leicht gräulichen oder hellbraunen Kollagen untersucht Hervé Bocherens dann das Verhältnis bestimmter stabiler Isotope. Diese geben Hinweise auf die Ernährung der untersuchten Organismen, egal ob Mensch oder Tier.
    "Es geht um ein Projekt über die Ernährung von kleinen Raubtieren wie Füchse und Wildkatze. Das Ziel ist, zu sehen, ob die früheren Menschen die Ernährung dieser kleinen Raubtiere beeinflusst haben."
    Forschen zu den großen Säugetieren der Eiszeit
    Hervé Bocherens möchte herausfinden, welchen Einfluss die frühen Europäer auf die Population dieser Tiere hatten. Seine These: Füchse waren schon früh Kulturfolger: Sie folgten den Menschen und fraßen weggeworfene Jagd- und Essensreste – genau wie Füchse in der Stadt das bis heute machen. Die Knochen, die der Forscher untersucht, um seine These zu untermauern, sind teilweise sehr alt.
    "Die ältesten sind ungefähr 50.000 Jahre alt, also sie sind von der Neandertalerzeit."
    Hervé Bocherens kam erstmals 2005 nach Tübingen, dank eines Stipendiums der Humboldt-Stiftung. Zuvor hatte er in Paris studiert, wo er auch seine Doktorarbeit geschrieben und sich im Jahr 2000 habilitierte hat. Seit 2008 ist der Franzose ordentlicher Professor in Tübingen und kann sich – mit entsprechendem Etat und Team versehen - ganz seiner Forschung widmen. In seinem Büro prangt über dem Schreibtisch ein Mammutkopf aus Plüsch. Ein Symbol dafür, was den Forscher umtreibt: Meist geht es um die großen Säugetiere der Eiszeit wie Höhlenbär, Wollhaarnashorn und Mammut.
    "So, die Frage ist: Warum sind sie nicht mehr da? Es gibt zwei Erklärungen. Eine ist, dass das Klima sich geändert hat, es ist zu warm geworden. Dazu kommt die Verbreitung vom modernen Menschen auf den ganzen Planeten."
    Erklärung zum Aussterben der Mammuts
    Dass der Klimawandel der einzige Grund für das Aussterben von Mammut und Co war, sei nahezu ausgeschlossen, sagt Bocherens, schließlich hätten in vielen tropischen Gebieten auch große Säugetiere überlebt. Die Indizien dafür, dass der Mensch eine Rolle gespielt hat, mehren sich. Wie entscheidend sein Einfluss war, werden die kommenden Jahre zeigen, da ist der Paläobiologe optimistisch. Schließlich konnte er mithilfe seiner Methoden schon das eine oder andere Rätsel lösen. Zum Beispiel welches Fleisch unsere Vorfahren gegessen haben. Bocherens Antwort, wonach es hauptsächlich von Mammuts stammte, widersprach den bisherigen Erkenntnissen der Archäologen. Denn in den Fundstätten wurden nur Knochen von Pferd, Bison oder Rentier entdeckt, aber keine Mammutknochen.
    "Diese Diskrepanz können wir erklären, weil es logisch ist, dass die Menschen, als sie von der Jagd zurückgekommen sind, natürlich nur das Fleisch vom Mammut mitbringen und keine Knochen. Sie brauchen die Knochen nicht, das ist sehr schwer."
    Dass es Hervé Bocherens nach Deutschland verschlagen und er hier mit seiner Familie mittlerweile Wurzeln geschlagen hat, war so nie geplant. Es hat sich nach dem Humboldt-Stipendium eben einfach so ergeben – nicht zuletzt auch, weil seine Frau ebenfalls in Tübingen forscht, erklärt der Franzose.
    "Wir fühlen uns sehr wohl, weil es ist eine familienfreundliche Umwelt. Wir sind zufrieden hier."
    Als Forscher etabliert
    Nicht nur in der Stadt, sondern auch an der Universität gefällt es ihm gut, weil er sich nicht als Exot fühlt. Die Hälfte seiner Professorenkollegen im Fachbereich Geowissenschaften käme ebenfalls aus dem Ausland und über die Arbeit würden sie alle sowieso nur Englisch reden. Aber eben nur im Mikrokosmos Hochschule.
    "Persönlich das größte Problem ist die Sprache. Für den Alltag ist es manchmal ein bisschen schwierig."
    Seine beiden Kinder, von denen das jüngere in Deutschland geboren wurde, kennen solche Anpassungsprobleme nicht. Und so sieht der Franzose aktuell keinen Grund, den Wissenschaftsstandort Deutschland bald wieder zu verlassen. Das freut auch den US-amerikanischen Archäologen Nicholas Conard, der einst daran beteiligt war, Hervé Bocherens nach Tübingen zu locken. Er schätzt an seinem Kollegen, dass bei ihm – neben seiner Rolle als Wissenschaftsmanager, die er wie alle Professoren spielen muss – immer noch die eigene Forschung an erster Stelle steht.
    "Hervé ist ein hoch seriöser Forscher. Er nimmt seine Arbeit ernst, produziert super Ergebnisse, Mit ihm kann man wirklich über substanzielle Wissenschaft reden und nicht über Geld oder Politik. Und ich will meine Zeit verbringen mit echten Forschern, die was drauf haben. Und Hervé hat was drauf!"