Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Braindrain in der Ukraine
Kostenlose Uni soll Abwanderung verhindern

Höhere Gehälter und bessere Aussichten haben in den vergangenen Jahren Tausende ukrainische IT-Fachleute ins Ausland gezogen. Diesen Braindrain will der Millionär Vasyl Khmelnytsky stoppen - und hat kurzerhand eine eigene Universität gegründet. Das Lernen ist an der "Unit factory" umsonst. Dafür müssen die Absolventen mindestens drei Jahre im Land bleiben.

Von Anja Datan | 19.10.2016
    Programmierer bei der Arbeit.
    An der privaten Universität „Unit factory“ lernen die Studierenden in täglich neu zusammen gewürfelten Zweierteams. (picture alliance / dpa)
    Die "Unit factory" sieht nicht aus wie eine Universität – eher wie eine IT-Firma. Der weiße Neubau liegt versteckt auf einem alten Industriegelände in Kiew. Hinein kommt nur, wer eine Chipkarte hat. Direktorin Valeria Zabolotna:
    "Wir haben keine Lehrer, wir haben 24 Stunden 7 Tage die Woche geöffnet. Bei uns gibt es keinen Stundenplan, keine Vorlesungen, keine Seminare."
    Bis Mitte November findet das Auswahlverfahren für den ersten Jahrgang statt. Auf die gut 300 Studienplätze hatten sich über 10.000 Ukrainer beworben. Rund 500 sind jetzt noch im Rennen. Vier Wochen lang bekommen sie nun jeden Tag neue Programmieraufgaben.
    Der 19-jährige Konstantin verbringt zurzeit mehr als 14 Stunden täglich hier – dieses Arbeitspensum mache ihm nichts aus: "Unsere Aufgabe von gestern war es zum Beispiel ein Programm für eine Bibliothek zu schreiben. Sehr interessant, viel interessanter als in der Uni, da sitzen sie nur rum und lernen nichts für die richtige Arbeitswelt."
    "Unit factory" ist bisher nicht staatlich anerkannt
    Die "Unit factory" wurde vom ukrainischen Staat bislang nicht als Universität anerkannt. Doch auch ohne diesen Titel, werde die künftige ukrainische IT-Elite aus seinem Haus kommen und vor allem in der Ukraine bleiben, ist Gründer Vasyl Khmelnytsky überzeugt. Der Unternehmer und Multimillionär hatte es satt zu sehen, dass junge IT-Fachleute nach dem Studium das Land verlassen:
    "Die Hauptidee: Die Ukrainer sollen im Land bleiben. Wir sehen, dass viele IT-ler aus der Ukraine weggehen. Das ist schlecht für unsere Wirtschaft. Wir haben einen Vertrag mit unseren Studenten, nach ihrem Studium müssen sie drei Jahre in der Ukraine arbeiten"
    Im Gegenzug studieren die jungen Ukrainer kostenlos - anders als an den meisten ukrainischen Universitäten. Der Gründer Khmelnytsky handelt dabei keinesfalls uneigennützig: Er möchte auf dem alten Fabrikgelände ein ukrainisches "Silicon Valley" aufbauen und seine Privatuni wird dafür die Fachleute ausbilden.
    "Das normale Bildungssystem der Ukraine lehrt, Wissen anzuhäufen, cleverer zu werden. Wir wollen aber, dass sie lernen, erfolgreich zu sein", sagt Khmelnytsky. Deshalb geht es auch von Beginn an, um Effektivität, um Praxistauglichkeit und darum, dass der Studierende eigenständig Ideen entwickelt, Probleme löst – ohne Professor oder Dozent.
    Studierende lernen eigenständig - ohne Professor oder Dozent
    Für die Bewerberin Darina war es gewöhnungsbedürftig, sich auf das neue, computergestützte Lernen einzulassen: "Es ist sehr schwer. Am Anfang waren alle schockiert: Wo findet man die Antworten, wen sollen wir fragen? Aber dann haben wir untereinander kommuniziert und wenn du die Aufgaben anderer löst, dann findest du Fehler und lernst auch, wo du selber Fehler gemacht hast. Das Kommunizieren hilft also – und google natürlich auch."
    In täglich neu zusammen gewürfelten Zweier-Teams analysieren sich die Studienbewerber gegenseitig, ergänzt Direktorin Zabolotna: "Wenn einem 5 Leute erklären, wie sie die Aufgabe gelöst haben, dann versteht man es wirklich und lernt auch unterschiedliche Lösungswege kennen. Du hörst von anderen wie sie es angegangen sind und du musst erklären und erklären und erklären wie du es angegangen bist. Du lernst zu kommunizieren und die anderen von deiner Lösung zu überzeugen"
    Im Team arbeiten ist die Devise. Trotzdem wird jede Aufgabe bewertet, der Studierende rutscht in einem Ranking täglich auf oder ab. Die Konkurrenz soll motivieren, sagt die Direktorin. Doch der Druck ist hoch: Allein in den letzten vier Auswahlwochen gab jeder vierte Bewerber auf. Das Modell eigne sich eben nicht für alle.