Leila Slimani über "Das Land der Anderen"

Familiensaga über marokkanisch-französische Geschichte

16:09 Minuten
Die französisch-marokkanische Autorin Leila Slimani in ihrem Büro. Im Hintergrund ist eine Pinnwand mit vielen Notizzettteln und Fotos zu sehen.
Beschäftigt sich mit der jüngeren Vergangenheit ihres Geburtslandes Marokko: Leila Slimani. © imago / Hans Lucas / Celine Villegas
Moderation: Frank Meyer · 01.06.2021
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In ihrem neuen Buch taucht die Schriftstellerin Leila Slimani in die französisch-marokkanische Historie ein. "Das Land der Anderen" ist der erste Band einer geplanten Trilogie.
Frankreich, am Ende des Zweiten Weltkriegs: Amine aus Marokko, Soldat in der Armee der Kolonialmacht Frankreich, liebt Mathilde aus dem Elsass. Die beiden heiraten, Mathilde ist froh, der Enge ihrer Heimat zu entfliehen und geht mit Amine ins marokkanische Hinterland, wo die Kolonialbeamten noch immer ein privilegiertes Leben führen und Rassismus zum Alltag gehört. Erst 1955 erzwingt der marokkanische Widerstand ein Ende des Protektorats.
Die Autorin Leila Slimani erzählt in ihrem neuen Roman "Das Land der Anderen" eine Familiengeschichte, die durch ihr eigenes Leben inspiriert ist und die jüngere Vergangenheit Marokkos rekapituliert. Slimani selbst wurde als mittlere von drei Töchtern einer marokkanisch-französischen Familie 1981 in Rabat geboren und ging mit 17 Jahren nach Frankreich.

Das Leben in einer traditionellen Familie

Das Buch bildet den Auftakt einer geplanten Trilogie: Großeltern, Kinder, Enkel – in jedem Band soll eine andere Generation im Mittelpunkt stehen. Sie habe immer schon davon geträumt, eine große Familiensaga zu schreiben, sagt Slimani, die 2016 für "Chanson douce" ("Und schlaf' auch du") mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde.
Der Romantitel des ersten Bandes sei nicht nur auf die Französin Mathilde gemünzt, die sich in das beengende Leben einer traditionellen marokkanischen Familie einfügen müsse, sondern auch auf Amine, der als "Fremder" das Kriegsende an der Front zwischen Frankreich und Deutschland erlebe, sagt Slimani.

Gewalt und Rassismus im Alltag

"Die Erinnerungen und Geschichten meiner Großeltern habe eine große Rolle gespielt. Ich habe aber ansonsten fast alles in dem Buch erfunden", berichtet sie. So verstehe sie ihre Aufgabe als Autorin, betont Slimani.
Nicht erfunden seien die Zustände in Marokko der späten 40er- bis 50er-Jahre: Demütigungen und rassistische Gewalt hätten zum Alltag gehört. Gewalt sei jedoch nicht nur von Franzosen gegen Marokkanerinnen und Marokkaner, sondern auch von den marokkanischen Nationalisten gegen französische Siedler verübt worden.
Schwarzweißmalerei gebe es bei ihr nicht, sagt Slimani, und sie wolle auch nicht eine ganze Epoche auf die Gewalt reduzieren. Doch grundsätzlich sei sie keine Historikerin, sondern eben Romanautorin – "und als solche interessiert mich, was meine Figuren erleiden, welche Konflikte sie durchmachen, wie sie mit Gewalt, die ihnen angetan wird, umgehen, und wie sie sie selbst ausüben".
(mkn)

Leila Slimani: "Das Land der Anderen"
Aus dem Französischen übersetzt von Amelie Thoma
Luchterhand Literaturverlag, München 2021
384 Seiten, 22 Euro

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