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Brasilien
Die umstrittene Rolle von VW während der Militärdiktatur

Mit einer Wahrheitskommission untersucht Brasilien auch die Rolle des Autoherstellers VW während der Militärdiktatur. Opfer berichten von schwerer Folter und schwarzen Listen, mit denen der Konzern zum Beispiel Gewerkschafter ausgeliefert haben soll.

Von Julio Segador | 21.03.2015
    Das Logo von Volkswagen vor der Flagge von Brasilien
    Welche Rolle spielte VW während der brasilianischen Militärdiktatur? (picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    Nachtschicht in dem brasilianischen VW-Werk in San Bernardo, unweit von Sao Paulo. Werkzeugmacher Lucio Bellentani repariert gerade eine Metallpresse, es ist kurz vor Mitternacht.
    "Ich arbeite da also, plötzlich spüre ich im Rücken einen Gewehrlauf. Ich drehe mich um und sehe einen Agenten vom Geheimdienst mit einem Maschinengewehr. Gleich daneben lehnt an einer Säule Coronel Rudge. In der Hand hielt er einen Revolver."
    Adhemar Rudge, der Mann mit dem Revolver, war der Sicherheitschef im VW-Werk. Die Arbeiter nannten den ehemaligen Militär nur Coronel, Oberst.
    "Als Erstes habe ich einen Schlag direkt ins Gesicht bekommen. Peng machte es. Schämst du dich nicht, meinten sie. Dann folgte ein Schlag in den Magen, Tritte. Sie folterten mich mitten in der VW-Personalabteilung. Dann brachten sie mich in die Geheimdienstzentrale."
    Schwere Folter für Gegner der Militärdiktatur
    Lucio Bellentani arbeitete zwischen 1964 und 1972 bei VW. Er war heimlich Mitglied der kommunistischen Partei und organisierte innerhalb des Werkes Gewerkschaftstreffen. Er habe nicht damit gerechnet, dass Volkswagen mit dem Militärregime, das alle Linksgerichteten unnachgiebig bekämpfte, gemeinsame Sache machte, meint Bellentani. Während er mit Elektroschocks und Schlägen gefoltert wird, sieht er, wie weitere seiner Kollegen in die Geheimdienstzentrale geführt werden.
    "Sie haben insgesamt 22 Leute aus dem VW-Werk hierher gebracht. Und alle wurden gefoltert – unterschiedlich stark. Aber mindestens eine schwere Sitzung haben alle durchgemacht."
    Acht Monate wird der VW-Arbeiter gefoltert, danach stecken die Schergen der Diktatur ihn noch für ein Jahr ins Gefängnis. Lucio Bellentani hat keinen Zweifel, dass Volkswagen in Brasilien während der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 eng mit der Junta kooperierte und Regimegegner auslieferte. Diese These stützt inzwischen auch der Bericht der Wahrheitskommission des Landesparlamentes Sao Paulo. Die dort protokollierten Anhörungen ehemaliger VW-Mitarbeiter werfen kein gutes Licht auf das brasilianische Werk des deutschen Autobauers. In dem Unternehmen habe eine penible, professionell aufgezogene Bewachung der Arbeiter durch mit Schlagstöcken bewaffnete Wachmänner stattgefunden, berichten Bellentani und andere seiner Kollegen. Adriano Diogo, der Vorsitzende der Wahrheitskommission, ist überzeugt, dass Volkswagen die Diktatur aktiv unterstützte.
    "Es wurden viele Leute vom VW-Sicherheitsdienst verhaftet. Die Wachdienste unterstanden meist Militärs, etwa einem Oberst. Sie waren Teil des Repressionssystems. Der private Sicherheitsdienst von Volkswagen war Teil des politischen Überwachungssystems."
    Volkswagen soll Militärs unterstützt haben
    Volkswagen soll an die Militärs auch die Kennzeichen von Gewerkschaftsfunktionären und Informationen über deren persönliche Lebensgewohnheiten weitergereicht haben. Das bestätigt auch der Historiker Rodolfo Machado, der im Auftrag der Wahrheitskommission die Archive durchforstet hat. Es habe bei VW eine Strategie gegeben, Gewerkschafter als – Zitat – "Fälle für die Polizei" zu betrachten:
    "Die unheilige Allianz, wie Volkswagen seine Arbeiter an das Regime ausliefert, wird durch eine Vielzahl von Dokumenten belegt. Da gibt es schwarze Listen. Und während durch die Zusammenarbeit Volkswagen aber auch andere Unternehmen ihre Gewinne erhöhten, wurden die Arbeiter in ihren Rechten beschnitten und regelrecht ausgebeutet."
    Schwerwiegende Vorwürfe, die in den VW-Zentralen in Sao Paulo und Wolfsburg zuletzt zu hektischer Betriebsamkeit geführt haben. Vor der Wahrheitskommission äußerte sich jüngst Rogerio Vargas von der Rechtsableitung des Autobauers. Dass VW sogenannte "schwarze Listen" seiner gewerkschaftlich organisierten Arbeiter an die Militärs weitergeleitet habe, will Vargas nicht bestätigen:
    "Das ist eine Liste mit hunderten von Angestellten, darunter auch einige Dutzend von VW. Das sind Informationen, die irgendjemand aus irgendeinem Grund zusammengetragen hat. Aber einige der Informationen, die angeblich von Volkswagen stammen, sind nicht richtig."
    VW bedauert Beteiligung von Mitarbeitern
    Im Zuge der ARD-Recherchen hat Volkswagen vor wenigen Tagen auf die Vorwürfe inzwischen reagiert. Das Unternehmen bedauere in höchstem Maße, dass den Betroffenen unter Beteiligung von VW-Mitarbeitern Leid zugefügt wurde, heißt es in einer Konzernmitteilung. Volkswagen werde auf die Betroffenen zugehen und vorbehaltlos untersuchen, wer für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sei.
    Lucio Bellentani, dem VW-Arbeiter, der über Monate schwer gefoltert wurde, geht es nicht um Rache, wenn er jetzt mit seinen Vorwürfen an die Öffentlichkeit geht. Es habe auf beiden Seiten Opfer gegeben, sagt er. Wichtig sei nur, dass die Wahrheit endlich auf den Tisch kommt.
    "Ich wünsche mir, dass VW eines Tages anerkennt: Ja, wir haben da mitgemacht. Und dass VW mir erklärt, weshalb. Ich will keine Revanche, ich verlange keine Bestrafung, das ist es nicht. Die müssen einfach ihrer Verantwortung gerecht werden. Das erwarte ich von VW und den anderen Unternehmen, die da mitgemacht haben."