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Brasilien
Schlechte Stimmung 100 Tage vor Olympia

Eine schwere Regierungs- und Wirtschaftskrise hält Brasilien im Würgegriff. Das IOC gibt sich nach außen gelassen und hofft, dass sich bis Olympia die politischen Turbulenzen legen. Vielen Cariocas, den Einwohnern von Rio, ist die Lust auf Olympia aber vergangen: Die Investitionen in Infrastruktur und Stadien – Brasilien braucht ihrer Meinung nach ganz andere Dinge.

Von Julio Segador | 27.04.2016
    Luftbild Olympiapark in Rio de Janeiro
    Olympiapark in Rio de Janeiro (Gabriel Heusi/Brasil2016.gov.br)
    Die Präsidentin spricht von Putsch, Inflation und Arbeitslosigkeit klettern unaufhörlich nach oben, das Land wird gebeutelt vom größten Korruptionsskandal seiner Geschichte.
    Und dann bringt eine brachiale Welle auch noch den neuerbauten Fahrradweg zum Olympiapark zum Einsturz. Genau an dem Tag, an dem im griechischen Olympia die Flamme für die Spiele entzündet wurde. IOC-Präsident Thomas Bach versuchte die Wogen einigermaßen zu glätten.
    "Diese Olympischen Spiele sollen in turbulenten Tagen ein Zeichen der Hoffnung sein. Und die Flamme soll diese Botschaft in alle Winkel Brasiliens bringen. In diesen schwierigen Zeiten, die Brasilien durchlebt, ist die Flamme eine zeitlose Erinnerung, dass wir alle Teil einer einzigen Menschheit sind."

    Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff war erst gar nicht nach Griechenland gereist. Und ob sie am 5. August im Maracaná-Stadion in Rio an der Seite von Thomas Bach die Olympischen Spiele eröffnen wird, ist derzeit völlig unklar. Rousseff sieht sich einem Amtsenthebungsverfahren ausgesetzt.
    Das Olympische Feuer ist im Heiligen Hain des antiken Olympia in Griechenland entzündet worden.
    Das Olympische Feuer ist im Heiligen Hain des antiken Olympia in Griechenland entzündet worden. (picture alliance/dpa/Yannis Kolesidis)
    Voraussichtlich Mitte Mai entscheidet der Senat, ob die Präsidentin zunächst einmal für 180 Tage suspendiert wird, dann würde ihr Erzfeind, Vizepräsident Michel Temer die Spiele eröffnen. Das IOC gibt sich nach außen gelassen und hofft, dass sich bis Olympia die politischen Turbulenzen einigermaßen legen. Immerhin: Anders als bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren sind zumindest die Sportstätten rechtzeitig fertiggestellt. Auch Präsidentin Dilma Rousseff versucht damit von der verfahrenen politischen Lage abzulenken.
    Landesregierung ist so gut wie pleite
    "Wir haben viel in die Spiele investiert. Und gemeinsam mit Rios Landesregierung sorgen wir dafür, dass durch Olympia etwas Bleibendes entsteht. Es wird Schulen geben, Sportstätten, dazu eine Sportpolitik, die wie noch nie unsere Athleten unterstützt. Deshalb erwarte ich, dass wir nicht nur auf den Sportplätzen und in den Stadien Erfolg haben, sondern auch außerhalb."

    Derzeit ist von diesem Olympia-Erbe in Rio nicht viel zu spüren. Ganz im Gegenteil. Die Landesregierung ist aufgrund der Wirtschaftskrise und der Investitionen in die Olympia-Infrastruktur so gut wie pleite. Krankenhäuser haben geschlossen, in vielen Schulen streiken die Lehrer, die seit Monaten kein Gehalt bekommen haben. Auch pensionierte Beamte warten auf ihre Bezüge. Die letzten Reserven hat die Landesregierung in die Fertigstellung der U-Bahn gesteckt, die das Zentrum Rios mit dem Olympiapark verbinden soll. Noch steht nicht fest, ob sie pünktlich fertig gebaut wird. Klar ist aber, dass die Metro 54 Prozent teurer wird als vorgesehen. Vielen Cariocas, den Einwohnern von Rio, ist die Lust auf Olympia ziemlich vergangen.
    "Dilma raus" steht auf vielen Plakaten der Demonstranten in Rio de Janeiro
    "Dilma raus" steht auf vielen Plakaten der Demonstranten in Rio de Janeiro (dpa/picture alliance/Georg Ismar)
    "Meine Stimmung ist am Boden. Ich hätte mir gewünscht, dass in andere Bereiche investiert wird. Stattdessen wurde das Maracaná in kurzer Zeit zum dritten Mal umgebaut, ebenso das Olympiastadion. Das Geld hätte in Krankenhäuser, Schulen fließen müssen, - in Dinge, von denen die Bevölkerung profitiert."
    "Der Zuschlag für Olympia erfolgte vor einigen Jahren. Heute ist die Situation des Landes ganz anders. Die Investitionen für Olympia, die Infrastruktur, die Stadien – Brasilien braucht heute eigentlich ganz andere Dinge."

    Dass sich die Olympia-Stimmung grundlegend ändert ist kaum zu erwarten. Aber noch haben Rio und das IOC 100 Tage Zeit. Vielleicht geschieht ja das Olympia-Wunder.