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Brasiliens Fußballer und die Politik
Wahlkampfhilfe für den rechten Präsidenten

Anfang 2019 tritt Jair Bolsonaro in Brasilien das Amt des Präsidenten an. Der Rechtspopulist, der durch radikale Äußerungen auffiel, gewann die Stichwahl auch mit dem Versprechen, gegen Korruption und Kriminalität vorzugehen. Unter seinen prominenten Unterstützern finden sich mehrere Fußballprofis.

Von Ronny Blaschke | 30.12.2018
    Brasiliens künftiger Präsident Jair Bolsonaro hebt den Pokal in die Luft, während er mit Palmeiras-Spieler den Titel feiert.
    Jair Bolsonaro hebt den Pokal in die Luft und feiert mit Palmeiras-Spieler den Gewinn der brasilianischen Meisterschaft. (AFP / Nelson Almeida)
    Das Stadion von Palmeiras São Paulo vor gut einem Monat. Der Klub feiert seinen zehnten Meistertitel. Auf dem Rasen umarmt der künftige Präsident die jubelnden Spieler. Jair Bolsonaro trägt ein Palmeiras-Trikot, auf dem Rücken die Nummer 10. Er küsst das Wappen, sendet Triumphgesten an die Fans, hebt den Pokal in die Luft. Der rechtsextreme Bolsonaro fühlt sich im Fußball wohl, sagt Antônio Leal, Gründer des brasilianischen Fußballfilmfestivals Cinefoot:
    "Die meisten Spieler in Brasilien denken nur an sich. Sie verdienen nicht so viel Geld wie in Europa. Sie halten sich mit politischen Aussagen zurück, weil sie keine Probleme haben wollen. Oder sie setzen auf den Sieger, so wie der Verein Atlético Paranaense aus dem Süden Brasiliens. Die Spieler trugen einmal T-Shirts mit einer Parole von Bolsonaro. Nur einer wollte nicht mitmachen und hielt dagegen."
    Ronaldinho trat früh der rechtsextremen Partei bei
    Jair Bolsonaro gibt sich als Macho, als Nationalist. Seine polarisierenden Aussagen scheinen im Fußball gut anzukommen, wo Provokationen eine wichtige Rolle spielen, ebenso wie Patriotismus und Männlichkeit. Der Palmeiras-Spieler Felipe Melo machte den Anfang und unterstützte Bolsonaro weit vor dem ersten Wahlgang.
    ARCHIV - Brasiliens Fußball-Star Ronaldinho am 27.06.2006 in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) während eines Spiels gegen Ghana.
    Ronaldinho, Fußball-Weltmeister von 2002, gilt als Unterstützer des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro (dpa / Felix Heyder)
    Es folgten mehr als zwei Dutzend Profis, darunter ehemalige Nationalspieler wie Rivaldo, Cafu oder Carlos Alberto. Auch Volleyballspieler und der zweimalige Formel-1-Weltmeister Emerson Fittipaldi. Einer der bekanntesten Unterstützer ist Ronaldinho, Fußball-Weltmeister von 2002, erzählt die Journalistin und Kulturmanagerin Fátima Lacerda:
    "Ronaldinho ist ein politischer Analphabet. Er war ein genialer Spieler, gar keine Frage, ich denke an seine Zeit in Barcelona, Champions League. Und er ist schon ziemlich am Anfang der Partei von Bolsonaro beigetreten. Ich hatte hier in Europa schon mit mehreren Kollegen gesprochen, weil er oft von der UEFA für Promotion-Zwecke hierher gebracht wird. Und das sollte jetzt unterbunden werden, habe ich mir sagen lassen."
    Herablassende Haltung gegenüber dunkelhäutigen Spielern
    Viele Anhänger von Jair Bolsonaro tragen bei Kundgebungen das kanariengelbe Trikot des brasilianischen Fußball-Nationalteams. Auch als Abgrenzung zum Rot der Arbeiterpartei des früheren Präsidenten Lula. In Brasilien erwartet man von den meist dunkelhäutigen Fußballern keine gesellschaftspolitischen Kommentare, schrieb Philipp Lichterbeck auf Zeit Online. Hinter dieser herablassenden Haltung stecke auch der "feudale Rassismus der weißen Oberschicht".
    Antônio Leal, Gründer des brasilianischen Fußballfilmfestivals Cinefoot.
    Antônio Leal, Gründer des brasilianischen Fußballfilmfestivals Cinefoot. (Deutschlandradio / Ronny Blaschke)
    Doch es gab in der brasilianischen Geschichte auch Spieler, die sich gegen Machthaber aussprachen: Sócrates zum Beispiel nahm während der Militärdiktatur Anfang der 1980er-Jahre an Demonstrationen und Konzerten teil, erzählt der Kulturschaffende Antônio Leal:
    "Sócrates hatte bei seinem Verein Corinthians São Paulo ein System der Selbstverwaltung geprägt. Ob Spieler, Platzwart oder Funktionäre: alle konnten sich einbringen. Die Spieler dieser 'Democracia Corinthiana' setzten sich für freie Wahlen ein. Anstelle von Sponsorenlogos trugen sie auf ihren Trikots Wahlaufrufe. Meine Freunde und ich waren damals Anfang zwanzig - Sócrates hat uns Mut gemacht. Leider ist er 2011 viel zu früh gestorben. Er würde sich heute bestimmt gegen Bolsonaro starkmachen."
    Sócrates gilt als Projektionsfigur gegen Rassismus
    Auch als redegewandter Kinderarzt ist Sócrates in die Popkultur eingezogen, in Filmen, Theaterstücken, Büchern. Vor wenigen Wochen stand er im Zentrum einer Filmvorführung in der brasilianischen Botschaft in Berlin. Es ist fraglich, ob solche kritischen Veranstaltungen nach der Amtsübergabe noch stattfinden können. Jair Bolsonaro hat die Militärdiktatur verherrlicht und Folteropfer wie die ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff verhöhnt. Er bezeichnete einige Künstler als Schmarotzer.
    "Wir stehen vor der Bedrohung, dass das Kulturministerium abgeschafft wird", sagt die in Berlin lebende Journalistin Fátima Lacerda, die seit Jahren Filmabende organisiert, "und das ist die Worst-Case-Variante für ein Land wie Brasilien mit seiner Vielseitigkeit, mit den unterschiedlichen Regionen. Das System verlangt geradezu, dass es eben ein Ministerium gibt."
    Müssen kritische Künstler wieder ins Exil?
    Die Angriffe und Drohungen auf kritische Künstler haben zugenommen. Im Oktober wurde der Musiker Moa do Katendê von einem Bolsonaro-Anhänger erstochen. Müssen Andersdenkende nun wieder ins Exil wie in der Militärdiktatur? Antônio Leal leitet Cinefoot, es ist unter den 300 brasilianischen Filmfestivals das einzige mit Fußballbezug.
    "Ob Theater, Musik oder Film: Wir sind alle unsicher. Die staatliche Unterstützung kann über Nacht gestrichen werden. Doch gerade unser Festival ist darauf angewiesen. Wir möchten unsere Vorführungen auch künftig kostenfrei anbieten. So erreichen wir Kinder und Jugendliche, die sich eine Kinokarte sonst nicht leisten können."
    Im September 2019 soll Cinefoot in Brasilien zum zehnten Mal stattfinden. Ob sich Antônio Leal und seine Mitstreiter weiter für Minderheiten stark machen können? Er hofft, dass sich mehr Fußballer gegen Jair Bolsonaro positionieren. So wie Juninho, der acht Jahre in Lyon gespielt hatte. Antônio Leal hat in einigen Ländern über den Fußballdemokraten Sócrates diskutiert, auch während der WM in Russland. Er findet, dass diese Debatte in seiner Heimat stattfinden muss. Damit die Diktatur ein Kapitel der Geschichte bleibt.