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Brasiliens Künstler und die neue Regierung
Schockstarre für die Kultur

Brasiliens Künstlerinnen und Künstler hatten aufopferungsvoll gekämpft - aber auf verlorenem Posten. Nun müssen sie sich um den Fortbestand der Kultur in ihrem Land kümmern. Unter einem Präsidenten, der sich gegen alles richtet, was sich gegen seine rechtspopulistische Gesinung stellt. Ist Flucht eine Option?

Von Michael Laages | 05.01.2019
    Ein verkleideter Demonstrant mit Binde über der Augenpartie und einer Zeitung, die Jair Bolsonaro abbildet, im Mund, nimmt an Protesten gegen den neuen Präsidenten Brasiliens teil.
    Proteste gegen den neuen Präsidenten Bolsonaro in Brasilien. (Cris Faga / imago / ZUMA Press)
    Aus einem alten Song von Chico Buarque ziehen die Schauspielerinnen und Schauspieler vom "Teatro Oficina" in Sao Paulo eine Menge Energie zum Durchhalten. Das Haus gilt als eines der "schönsten Theater der Welt" – so formulierte einst der englische "Guardian". Entworfen wurde es von der Architektin Lina Bo Bardi. Nun müssen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler hier auf mindestens vier Jahre schärfsten Gegenwind aus der Politik einrichten.
    Aber jetzt, pünktlich zum Machtantritt des alptraumhaften Präsidenten, zeigt das Ensemble um den charismatischen Regisseur Ze Celso ausgerechnet "Roda Viva" – das Stück der Musik-Ikone Chico Buarque. Der jetzt 81-jährige Theatermann inszenierte es schon vor 50 Jahren, als die Militärdiktatur Leute wie ihn, links, schwul und mit indianischen Vorfahren, zu verfolgen begann, dann folterte, ins Gefängnis warf oder ins Exil trieb. Das hat er schon erlebt - wäre Flucht jetzt wieder eine Option?
    Nein, natürlich nicht, sagt Ze Celso – er spüre gerade jetzt eine große Kraft der brasilianischen Kultur im Widerstand, auch im HipHop, auch an den Peripherien der Städte. Solange er könne, werde er vor Ort das Überleben dieses ziemlich unvergleichlichen Theaters zu sichern versuchen.
    "Roda Viva" als eine Kampfansage gegen das Regime
    Marcelo Drummond, Ze Celsos Partner in der Leitung des Hauses, nimmt derweil auf der Bühne den "bolso-bosta" ins Visier, all den "bosta", den Müll also, den das Bolsonaro-Regime schon vor und gleich nach der Machtübernahme angerichtet habe. Und das Haus jubelt, wenn Marcelo einen "brinde", also einen Toast ausbringt auf das Idol der Linken, den Ex-Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva.
    Lula sitzt weiter im Gefängnis der Justiz der Provinz-Hauptstadt Curitiba, verurteilt ohne Beweise in einem Prozess fern jeder zivilisierten Rechtsordnung. Der Untersuchungsrichter Sergio Moro war zugleich Ankläger und Richter – zum Lohn hat ihn der neue Präsident als Justizminister ins Kabinett geholt.
    "Roda Viva" ist eine Kampfansage. Die Geschichte eines jungen, mäßig begabten Sängers aus der Eckkneipe, der nach allen Regeln des Marketing zum Pop-Star aufgebrezelt wird, ist durchsetzt mit Angriffen auf die Selbstermächtigung des Präsidenten. Das "Oficina"-Ensemble attackiert mit Lust und Kraft.
    Hoffen auf ein Licht am Ende des Tunnels
    Aber auch die Gefahr ist zu spüren. Dem Regime ist Kultur egal. Sogar das weltweit vorbildliche System von SESC, dem Kultur- und Sozialverband von Handel und Wirtschaft, stellt es in Frage. Mit steuerähnlichen Zwangsabgaben finanziert, unterliegt es dem Zugriff des Staates. Die meisten führenden Regie-Talente, Christiane Jatahy etwa, Enrique Diaz oder Gabriel Villela, hätten ohne SESC daheim kaum noch Arbeitsmöglichkeiten. Kluge Unternehmer, sagt Danila Miranda, Chef-Stratege von SESC, seien wie er immer auf der Seite freier Kultur. Darum hoffe er trotz allem noch auf Licht am Ende des Tunnels.
    Auch das Rouanet-Gesetz (eine Art staatlicher Struktur-Investition für die Kultur, im Ansatz der hiesigen Filmförderung vergleichbar) geriet ins Visier der extremen Rechten. Künstlerinnen und Künstler wurden bezichtigt, sich an den Fördermitteln zu bereichern. Fernanda Montenegro, "Grande Dame" in Theater, Kino und Fernsehen, hält dagegen: Nur mit freier Kunst seien die Verpflichtungen einer Kulturnation zu erfüllen. Aber für sachliche Debatten ist derzeit kein Platz. Nicht in der Kultur, nicht bei Arbeits- und Frauen-, Schwulen- und Indio-Rechten. Und die schärfste Prüfung steht in Kürze bevor.
    In den engen Straßen etwa am Pelourinho in Salvador da Bahia proben die Trommler für den Karneval. Die Regierung erwägt, auch das heilige Kulturgut Karneval anzugreifen, und etwa die schwule Parade zu verbieten. Ob das Wahlvolk des Präsidenten –und überhaupt das Volk- dann immer noch still hält?