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Braune Flecken und Terrorismus

Das Bundeskriminalamt hatte gerade in der Anfangszeit viele Führungskräfte mit NS-Vergangenheit. Das ist schon länger bekannt. Doch erst vor wenigen Jahren hat das BKA eine Historikerkommission eingesetzt, um gerade die Frühphase der eigenen Geschichte umfassend und systematisch aufzuarbeiten.

Von Kay Müllges | 07.04.2011
    "Als ich damit begann, vor drei Jahren etwa, und das erste Mal auch so Zahlen in Erinnerung gerufen hatte, das von 47 Führungskräften Anfang der 50er-Jahre 33 in der SS gewesen waren, war das Erstaunen groß. Die es a) nicht wussten, aber auch b) diejenigen, die mir sagten: Haben wir nichts besseres zu tun. Aber das kannte ich aus Schleswig-Holstein auch, weil das eine typische Reaktion von Leuten war, die die Diskussion nicht wollten. Die vielleicht auch fürchteten das eigene Nest zu beschmutzen. Ich bin aber davon überzeugt, dass man diese Diskussion unbedingt benötigt, weil sie auch noch eine andere Dimension hat. Es ist für mich die Dimension des Vertrauens, das die Bevölkerung in die Polizei haben muss, dass die Polizei mit den Rechten, die uns gegeben werden auch sensibel umgeht."

    Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamtes, blickt zufrieden auf den bisherigen Diskussionsprozess zur Geschichte seines Amtes zurück. Angestoßen wurde die öffentliche Debatte bereits im Jahr 2001, als der ehemalige BKA-Beamte Dieter Schenk ein Buch schrieb mit dem Titel: "Auf dem rechten Auge blind – die braunen Wurzeln des BKA." Schenk schildert darin die Bemühungen der sogenannten Charlottenburger, einer Seilschaft von Beamten, die gemeinsam an der SS-Führerschule der Sicherheitspolizei in Berlin Charlottenburg ausgebildet wurden. Sie alle fanden sich nach dem Krieg im 1951 gegründeten Bundeskriminalamt wieder, ihr Kopf war Paul Dickopf, der - viel später - auch selbst Präsident des BKA wurde. Aus Schenks Buch stammt die von Jörg Ziercke zitierte Erkenntnis, dass die Mehrheit der frühen Führungskräfte des BKA in der SS gewesen waren und viele von ihnen auch Kriegsverbrechen begangen hatten. Seit 2008 befasst sich eine von Ziercke eingesetzte Historikerkommission mit der Erforschung der Frühgeschichte des Amtes. Professor Patrick Wagner von der Universität Halle, dem Leiter der Kommission, geht es allerdings weniger um die Enthüllung weiterer brauner Flecken.

    "Wir wissen ja insgesamt über die Geschichte der Bundesrepublik, dass die Eliten dieser Republik in deren Anfangsjahrzehnten stark durch Menschen bestimmt werden, die im Nationalsozialismus stark engagiert waren. Gleichzeitig wird die Geschichte der Bundesrepublik inzwischen gerne als Erfolgsgeschichte, als Geschichte der Demokratisierung beschrieben. Und beide Befunde passen ja eigentlich nicht zusammen. Wie kann es sein, dass eine Gesellschaft, die so stark personell in Anführungszeichen kontaminiert ist mit Menschen, die aus einer Weltanschauungsdiktatur stammen, wie kann es sein, dass diese Gesellschaft demokratisch wird, dass sie nicht wieder zu einer autoritären, einer diktatorischen Herrschaft wird."

    Am Beispiel des BKA, so die Hallenser Historiker könne man zeigen, dass dies im Wesentlichen durch Anpassungsprozesse gelungen sei. Zunächst durch äußeren Druck, später aber auch – bei Einzelnen – durch verinnerlichte Normen. Natürlich habe es den Druck der Alliierten gegeben jetzt endlich ernst zu machen mit dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. Zugleich aber auch eine nahtlose Anknüpfung an tradierte Feindbilder aus der Nazizeit. Patrick Wagner nennt das Beispiel des Kriminalrats und früheren SS-Obersturmführers Dr. Josef Ochs. Der arbeitete 1952 an der Aufklärung eines missglückten Bombenanschlags auf Bundeskanzler Konrad Adenauer. Eine rechtszionistische Splittergruppe aus Israel hatte das Attentat verübt, Ochs glaubte aber viel größere Zusammenhänge erkennen zu können.

    Zürich, Paris, Amsterdam und München sind die Zentralen des Judentums in Europa und von hier aus operiert eine weitverzweigte internationale Organisation gegen Deutschland.

    Heißt es in seinem Bericht. Da man der Täter nicht habhaft werden könne, sei es ratsam Internierungslager für ihr Umfeld – aus Osteuropa stammende Juden – einzurichten.

    "Und auf der anderen Seite räsoniert er dann darüber, ja, weil den Juden ja in der Vergangenheit so viel angetan worden sei, er benennt das nicht konkreter, das bleibt immer so im Vagen, weil den Juden ja so viel angetan worden ist, muss man da sehr vorsichtig sein, darf es vor allem nicht öffentlich so breit kommunizieren und darüber sprechen."

    Einerseits also die nahtlose Weiterführung alter, aus der Nazizeit stammender Stereotype in die neue Republik, andererseits der Versuch sich dennoch an die neue Realität anzupassen. Dafür gebe es in der Frühzeit des BKA viele Beispiele, meint Patrick Wagner. Perfide werden solche Anpassungsversuche wenn es um die andauernde Diskriminierung von Minderheiten geht. Das BKA versucht Anfang der 50er-Jahre neue Aufgabenbereiche für sich selbst zu definieren. So fordert es lange – vergeblich – die Zuständigkeit für das sogenannte Landfahrerunwesen. Landfahrer, das ist der nunmehr gebrauchte Ersatzbegriff für Zigeuner. Ebenso wie die Nazis behaupten aber auch die Landfahrerexperten des BKA unerschütterlich, dass alle Zigeuner, pardon Landfahrer, auf Durchreise befindliche Kriminelle seien. Was von der eigenen Statistik widerlegt wird. Ganz selbstverständlich bediente man sich hier rassistischer Vorurteile, die sicher auch in der damaligen Gesellschaft weit verbreitet waren. Der letzte Sachbearbeiter des Amtes für reisende Straftäter - auch hier waren vorwiegend Sinti und Roma gemeint - schied im Übrigen erst 2001 aus dem Dienst aus. In den Anfangsjahren des BKA versuchten dessen Beamte also immer wieder, Restbestände der NS-Ideologie in die neuen Verhältnisse einzupassen. Das änderte sich erst Ende der 50er-Jahre. Aus zwei Gründen meint Patrick Wagner:

    "Jetzt, Ende 50er-Jahre ist klar: Das ist Normalität. Wir sind stabil, wir sind Beamte, wir werden unsere Pension bekommen, alles ist gut. Gleichzeitig beginnt aber ab 1958 die bundesdeutsche Justiz eine Kette von Ermittlungsverfahren gegen Menschen, die vor 1945 vor allem in Osteuropa massenhaft Gewaltverbrechen verübt haben. Und in den Fokus dieser Ermittlungen geraten schnell Polizeibeamte und dann auch sehr schnell Beamte des BKA. Auf der einen Seite hat man also diese Normalität und auf der anderen Seite ist die sofort prekär, weil alle sofort Angst haben müssen, dass sie im Zuge dieses neuen Interesses an Verbrechen Nachteile haben könnten, das gegen sie ermittelt werden könnte, dass sie vor Gericht gestellt werden könnten."

    Tatsächlich wurden Anfang der sechziger Jahre knapp 100 der damals etwa 400 Mitarbeiter des BKA überprüft. Mit denkbar bescheidenem Ergebnis. Am Ende wurden zehn Beamte in andere Bundesbehörden, beispielsweise das Statistische Bundesamt, versetzt. Dennoch, meint Wagner, versetzten diese Untersuchungen die Betroffenen unter einen lang andauernden Anpassungsdruck. Ja nicht auffallen, bloß keine neuen, möglicherweise kontroversen Ideen entwickeln, bloß keine Nachfragen nach der eigenen Vergangenheit provozieren – das wurde nun zur Norm für die alte Garde der BKA-Mitarbeiter. Auch ihr wichtigster Repräsentant, der 1965 zum BKA-Präsidenten aufgestiegene Paul Dickopf beschränkte sich fortan auf die Verwaltung eingespielter Routinen.

    Mit dem Amtsantritt von Horst Herold 1971 änderte sich das BKA dann grundlegend, meinen die Forscher. Die Behörde wurde erheblich vergrößert und entsprechend verjüngt. Die neuen Mitarbeiter befassten sich mit ganz neuen Herausforderungen wie etwa Terrorismus oder organisierter Kriminalität, bei denen es insgesamt wenig Anknüpfungspunkte zur Nazi-Zeit gab. Einen wichtigen Ertrag der Forschungen zur Frühgeschichte des BKA sieht Patrick Wagner vor allem auch in dem künftigen Nutzen für andere Historiker.

    "Neu ist, das das BKA jetzt diese Akten, die wir benutzt haben, an das Bundesarchiv abgeben wird. Weil unser Projekt ist gut und schön und wir sind von ihm überzeugt, aber das eigentlich Wichtige ist, dass jetzt diese Akten allgemein der Forschung zugänglich werden, das andere Kolleginnen und Kollegen - vielleicht mit anderen Fragen und einer anderen Sichtweise."