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Braunkohlereserve
"Wenig Klimaschutz für viel Geld"

Sieben Jahre lang überweist der Staat den Energiekonzernen 230 Millionen Euro, dafür legen die neun Kohlekraftwerke still – das ist der Deal, mit dem Deutschland das baldige Ende der Braunkohle-Verstromung erreichen will. Ein schlechter Kompromiss, sagte Tina Löffelsend vom BUND im Deutschlandfunk. Es müssten viel mehr Kraftwerke abgeschaltet werden.

Tina Löffelsend im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 26.10.2015
    Das Braunkohlekraftwerk Kosova B in Obiliq bei Pristina im Kosovo.
    Das Braunkohlekraftwerk Kosovo B ist veraltet und muss modernisiert werden. (picture alliance / ZB / Jens Kalaene)
    Susanne Kuhlmann: Stilllegen auf Raten - neun Braunkohle-Kraftwerke sollen in den kommenden Jahren außer Betrieb gehen: im Rheinland, in der Lausitz und in Mitteldeutschland. Die Betreiber, RWE, Vattenfall und Mibrag, werden entschädigt: sieben Jahre lang mit jährlich 230 Millionen Euro, finanziert von den Stromkunden. Schrittweise soll auf insgesamt 2700 Megawatt Leistung aus Braunkohle-Kraftwerken verzichtet werden. So sieht der Kompromiss aus, den das Bundeswirtschaftsministerium mit den Energiekonzernen ausgehandelt hat, wobei die betroffenen Kraftwerke noch vier Jahre lang als Reserve für den Notfall zur Verfügung stehen sollen. Umweltverbände kritisieren den Kompromiss. - Am Telefon in Berlin ist Tina Löffelsend, Energieexpertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Hallo, Frau Löffelsend.
    Tina Löffelsend: Hallo.
    Kuhlmann: Wie fällt Ihr Urteil denn aus?
    Löffelsend: Aus unserer Sicht ist das sehr wenig Klimaschutz für sehr viel Geld, was vor allen Dingen die Verbraucher einmal mehr zu schultern haben, und aus unserer Sicht müssten tatsächlich deutlich mehr Kraftwerke stillgelegt werden, um die Klimaziele, vor allen Dingen das Klimaziel 2020 erreichen zu können. So war die Bundesregierung auch mal angetreten und dann hat sie sich auf einen schlechten Kompromiss geeinigt mit der Kohle-Lobby, der jetzt viel zu wenig für zwei Einsparungen vorsieht.
    Kuhlmann: Es müsste Ihnen im Prinzip aber doch eigentlich recht sein, dass die Ära der Verstromung von Braunkohle ihrem Ende entgegengeht?
    Löffelsend: Wenn man diesen schlechten Kompromiss so sieht, dass das der Einstieg ist in einen Anfang des Stilllegens aller Kohlekraftwerke, vor allen Dingen der Braunkohle-Kraftwerke in Deutschland, wäre das sicherlich so. Aus unserer Sicht ist das noch nicht ausgemacht. Die Bundesregierung hat sich erst einmal nur darauf geeinigt, acht Blöcke von Kraftwerken abzuschalten. Das heißt, nicht ganze Kraftwerke werden stillgelegt, sondern nur einzelne Teile, und damit soll ein gewisser Einspareffekt, was das CO2 angeht, erreicht werden. Wir sagen, ungefähr dreimal so viele Kraftwerksblöcke, Kraftwerkskapazität hätte man stilllegen müssen, um annähernd in die Liga zu kommen, die es gebraucht hätte, um auch nur das deutsche Klimaziel 2020 - wir reden da von 40 Prozent weniger CO2 gegenüber 1990 -, um das erreichbar zu machen.
    Kuhlmann: Ursprünglich sollten die Klimaziele der Bundesregierung im Energiesektor ja mit einer Klimaabgabe durchgesetzt werden. Jetzt also dieser Kompromiss.
    Löffelsend: Der Klimabeitrag wäre sicherlich die bessere Lösung gewesen. Da wäre es darum gegangen, sicher für das Klima und auch für die Verbraucher und die Beschäftigten vor Ort geplant zu Braunkohle-Kraftwerksstilllegungen zu kommen, und das potenziell auch über das Jahr 2020 hinaus, denn das ist ja das, was wir brauchen. Wir brauchen einen Plan, wie wir von der Kohleverstromung herunterkommen und wie wir das Auslaufen der Kohleverstromung organisieren. Das war gegen die Kohle-Lobby nicht durchzusetzen und deshalb dieser schlechte Kompromiss.
    "Deutschland wird seiner Vorreiterrolle hier sicher nicht gerecht"
    Kuhlmann: Zur Ausmusterung vorgesehene Braunkohle-Kraftwerksblöcke sollen ja formell in Sicherheitsbereitschaft für den Notfall bleiben, heißt es im Kompromiss. Aber dort haben wir ja auch schon moderne Gaskraftwerke.
    Löffelsend: Ja, es gibt bereits solche Reserven in Deutschland, die dafür sorgen sollen, wenn doch tatsächlich mal ein Stromnetz-Engpass passiert, dass dann die Lichter nicht ausgehen. Aktuell haben wir das Problem in Deutschland nicht. Wir haben keine Kapazitäts-Engpässe. Im Gegenteil: Wir haben massive Überkapazitäten, was es ja eigentlich auch dem Stromsektor so leicht machen sollte oder einfacher erscheinen lassen sollte, die besonders dreckigen Kraftwerke vom Netz zu nehmen, aber das ist nicht passiert. Die Regierung macht jetzt diese Braunkohlereserve, die für das Thema Versorgungssicherheit irrelevant ist, brauchen wir nicht, und dann soll es tatsächlich darüber hinaus noch eine Kapazitätsreserve geben, nicht verhandelt mit den Betreibern, sondern das wird dann ausgeschrieben und so weiter. So wird es dann langfristig noch eine weitere Reserve geben, die dann auch eine reale Versorgungssicherheitsfunktion erfüllt, das heißt wirklich dafür sorgen kann, wenn eines schönen Tages doch Stromnetz-Engpässe oder andere Engpässe auftreten, dass hier Kraftwerke einspringen können. Aber wie gesagt: Aktuell gibt es in Deutschland Überkapazitäten und keine Knappheit.
    Kuhlmann: Kurz noch zum Schluss, Frau Löffelsend. Was bedeutet dieser Kompromiss denn im Hinblick auf den Beginn der UN-Klimakonferenz in Paris in fünf Wochen?
    Löffelsend: Aus unserer Sicht kann Deutschland hiermit nicht glaubwürdig nachweisen, dass wir Energiewende und Klimaschutz endlich vereinbaren. Die Regierung hat das Problem erkannt, das ist gut, aber das Handeln ist viel zu gering und das ist das alte Thema beim Klimaschutz. Die Taten hinken dem Handeln deutlich hinterher und Deutschland wird seiner Vorreiterrolle hier ganz sicher nicht gerecht. Dass wir das Klimaziel 2020 erreichen, ist noch längst nicht ausgemacht. Im Gegenteil: Mit dem Braunkohle-Kompromiss ist es weiter in Ferne gerückt.
    Kuhlmann: Viel Geld für wenig Klimaschutz - so lässt sich zusammenfassen, was der BUND von der Einigung in Sachen Braunkohle-Kraftwerke hält. Danke nach Berlin an Tina Löffelsend, die Energieexpertin der Umweltorganisation.
    Löffelsend: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.